Barthold Heinrich Brockes (1680 – 1747)
Kirschblüte bei Nacht
Ich sahe mit betrachtendem Gemüte
Jüngst einen Kirschbaum, welcher blühte,
In kühler Nacht beim Mondenschein;
Ich glaubt‘, es könne nichts von größrer Weiße sein.
Es schien, ob wär ein Schnee gefallen.
Ein jeder, auch der kleinste Ast
Trug gleichsam eine rechte Last
Von zierlich-weißen runden Ballen.
Es ist kein Schwan so weiß, da nämlich jedes Blatt,
indem daselbst des Mondes sanftes Licht
Selbst durch die zarten Blätter bricht,
Sogar den Schatten weiß und sonder Schwärze hat.
Unmöglich, dacht ich, kann auf Erden
Was Weißers ausgefunden werden.
Indem ich nun bald hin, bald her
Im Schatten dieses Baumes gehe,
Sah ich von ungefähr
Durch alle Blumen in die Höhe
Und ward noch einen weißern Schein,
Der tausendmal so weiß, der tausendmal so klar,
Fast halb darob erstaunt, gewahr.
Der Blüte Schnee schien schwarz zu sein
Bei diesem weißen Glanz. Es fiel mir ins Gesicht
Von einem hellen Stern ein weißes Licht,
Das mir recht in die Seele strahlte.
Wie sehr ich mich an Gott im Irdischen ergetze,
Dacht ich, hat Er dennoch weit größre Schätze.
Die größte Schönheit dieser Erden
Kann mit der himmlischen doch nicht verglichen werden.
(1727)
Johann Peter Uz (1720 – 1796)
Theodicee
Mit sonnenrotem Angesichte
Flieg ich zur Gottheit auf! Ein Strahl von ihrem Lichte
Glänzt auf mein Saitenspiel, das nie erhabner klang.
Durch welche Töne wälzt mein heiliger Gesang,
Wie eine Flut von furchtbarn Klippen
Sich strömend fort und braust von meinen Lippen!
Ich will die Spötter niederschlagen,
Die vor dem Unverstand, o Schöpfer, dich verklagen:
Die Welt verkündige der höhern Weisheit Ruhm!
Es öffnet Leibniz mir des Schicksals Heiligtum,
Und Licht bezeichnet seine Pfade,
Wie Titans Weg vom östlichen Gestade.
Die dicke Finsternis entweiche,
Die aus dem Acheron, vom stygischen Gesträuche
Mit kaltem Grausen sich auf meinem Wege häuft,
Wo stolzer Toren, Schwarm in wilder Irre läuft
Und auch der Weise furchtsam schreitet,
Oft stillesteht und oft gefährlich gleitet.
Die Risse liegen aufgeschlagen,
Die, als die Gottheit schuf, vor ihrem Auge lagen:
Das Reich des Möglichen steigt aus gewohnter Nacht.
Die Welt verändert sich mit immer neuer Pracht
Nach tausend lockenden Entwürfen,
Die eines Winks zu schnellem Sein bedürfen.
Doch Dämmerung und kalte Schatten
Gehn über Welten auf, die mich entzücket hatten:
Der Schöpfer wählt sie nicht! Er wählet unsre Welt,
Der Ungeheuer Sitz, die, Helden beigesellt,
In ewigen Geschichten strahlen,
Der Menschheit Schmach, das Werkzeug ihrer Qualen.
Eh ihn die Morgensterne lobten
Und aufsein schaffend Wort des Chaos Tiefen tobten,
Erkor der Weiseste den ausgeführten Plan.
Und wider seine Wahl will unser Maulwurfswahn
In stolzer Blindheit recht behalten
Und eine Welt im Schoß der Nacht verwalten?
Von welcher Sonne lichtem Strahle
Weicht meine Finsternis! Wie, wann aus feuchtem Tale
Der frühe Wandersmann auf hohe Berge dringt,
Schnell eine neue Welt vor seinem Aug entspringt,
Und Reiz die große Weite zieret,
Wo sich der Blick voll reger Lust verlieret.
Denn Fluren, die von Blumen düften,
Gefilde voll Gesangs und herdenvolle Triften
Und hier kristallne Flut, vom grünen Wald umkränzt,
Dort ferner Türme Gold, das durch die Wolken glänzt,
Begegnen ihm, wohin er blicket.
So wird mein Geist auf seinem Flug entzücket.
Ich habe mich emporgeschwungen!
Wie groß wird mir die Welt! Die Erde flieht verschlungen.
Sie macht nicht mehr allein die ganze Schöpfung aus.
Welch kleines Teil der Welt ist Rheens finstres Haus!
Und Menschen, welche kleine Herde
Seid ihr nur erst auf dieser kleinen Erde!
Gönnt gleiches Recht auf unserm Balle
Geschöpfen andrer Art! Ihr Schöpfer liebt sie alle.
Die Weisheit selbst entwarf der kleinsten Fliege Glück.
Ihr Schicksal ist bestimmt, so gut als Roms Geschick
Und als das Leben einer Sonne,
Die glänzend herrscht in Gegenden der Wonne.
Seht, wie in ungemeßner Ferne
Orion und sein Heer, ein Heer bewohnter Sterne,
Vor seinem Schöpfer sich in lichter Ordnung drängt.
Er sieht, er sieht allein, wie Sonn an Sonne hängt,
Und wie zum Wohl oft ganzer Welten
Ein Übel dient, das wir im Staube schelten.
Er sieht mit heiligem Vergnügen
Auf unsrer Erde selbst sich alle Teile fügen
Und Ordnung überall, auch wo die Tugend weint;
Und findet, wann sein Blick, was bös und finster scheint,
Im Schimmer seiner Folgen siehet,
Daß, was geschieht, aufs beste stets geschiehet.
Die ihr ein Stück vom Ganzen trennet,
Vom Ganzen, das ihr bloß nach euerm Winkel kennet,
Verwegen tadelt ihr, was Weise nicht verstehn.
O könnten wir die Welt im Ganzen übersehn,
Wie würden sich die dunkeln Flecken
Vor unserm Blick in größern Glanz verstecken!
Soll Welten alles Böse fehlen?
So mußte nie den Staub der Gottheit Hauch beseelen;
Denn alles Böse quillt bloß aus des Menschen Brust.
So muß der Mensch nicht sein: welch größerer Verlust!
Die ganze Schöpfung würde trauern,
Die Tugend fliehn und ihren Freund bedauern.
Ihr Weisen hättet nie entzücket,
Die ihr die Schöpfung mehr als hundert Sonnen schmücket,
Und Ordnung herrschte nicht im Reiche der Natur,
Die niemals flüchtig springt und stufenweise nur
Auf ihrer güldnen Leiter steiget,
Wo sich der Mensch auf mittlern Sprossen zeiget.
Vom Wurme, der voll größter Mängel
Auf schwarzer Erde kreucht, und vom erhabnen Engel
Sind Menschen gleich entfernt und beiden gleich verwandt.
Ihr freier Wille fehlt, ihr himmlischer Verstand
Entflieget nie der engen Sphäre.
Stets fesselt ihn des Leibes träge Schwere.
In allen Ordnungen der Dinge,
Die Gott als möglich sah, war Menschenwitz geringe.
Der Mensch war immer Mensch, voll Unvollkommenheit.
Durch Tugend soll er sich aus dunkler Niedrigkeit
Zu einem höhern Glanz erheben,
Unsterblich sein nach einem kurzen Leben.
Mein Schicksal wird nur angefangen,
Hier, wo das Leben mir in Dämmrung aufgegangen,
Mein Geist bereitet sich zu lichtern Tagen vor
Und murrt nicht wider den, der mich zum Staub erkor,
Mich aber auch im Staube liebet
Und höhern Rang nicht weigert, nur verschiebet.