“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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                                             Morgengedichte

                                                        oder

     „Ich habe zu früh Tag gemacht.  - Der Morgen ist so schön. Ich will ausfahren.“ (Prinz von Guastalla)

                              

 

        Andreas Gryphius (1616 – 1664)

        Morgen Sonnet.

        DIe ewig-helle Schaar wil nun ihr Licht verschlissen /

            Diane steht erblaßt; die Morgenrötte lacht

            Den grauen Himmel an / der sanffte Wind erwacht /

        Vnd reitzt das Federvolck / den neuen Tag zu grüssen.

        Das Leben dieser Welt /eilt schon die Welt zu küssen /

            Vnd steckt sein Haupt empor / man siht der Stralen Pracht

            Nun blinckern auff der See: O dreymal höchste Macht

        Erleuchte den / der sich itzt beugt vor deinen Füssen!

            Vertreib die dicke Nacht / die meine Seel umbgibt /

            Die Schmertzen Finsternüß / die Hertz und Geist betrübt /

        Erquicke mein Gemütt / und stärcke mein Vertrauen.

            Gib/ daß ich disen Tag / in deinem Dinst allein

                  Zubring: und wenn mein End' und jenerTag bricht ein

              Daß ich dich / meine Sonn mein Licht mög ewig: schauen.

                   *

     

        Christian Knorr von Rosenroth (1636 – 1689)

        Morgenandacht

        Morgenglanz der Ewigkeit,

        Licht vom unerschöpften Lichte,

        Schick uns diese Morgenzeit

        Deine Strahlen zu Gesichte

        Und vertreib durch deine Macht

        Unsre Nacht!

         

        Die bewölkte Finsternis

        Müsse deinem Glanz entfliegen,

        Die durch Adams Apfelbiß

        Uns, die kleine Welt, bestiegen,

        Daß wir, Herr, durch deinen Schein,

        Selig sein.

            

        Deiner Güte Morgentau

        Fall auf unser matt Gewissen;

        Laß die dürre Lebensau

        Lauter süßer Trost genießen;

        Und erquick uns, deine Schar,

        Immerdar!

         

        Gib, daß deiner Liebe Glut

        Unsre kalten Werke töte

        Und erweck uns Herz und Mut

        Bei entstandner Morgenröte,

        Daß wir, eh wir gar vergehn,

        Recht aufstehn!

         

        Laß uns ja des Sündenkleid

        Durch des Bundes Blut vermeiden,

        Daß uns die Gerechtigkeit

        Mög als wie ein Rock bekleiden

        Und wir so vor aller Pein

        Sicher sein!

         

        Ach! du Aufgang aus der Höh,

        Gib, daß auch am Jüngsten Tage

        Unser Leichnam aufersteh

        Und entfernt von aller Plage

        Sich auf jener Freudenbahn

        Freuen kann!

         

        Leucht uns selbst in jener Welt,

        Du verklärte Gnadensonne,

        Führ uns durch das Tränenfeld

        In das Land der süßen Wonne,

        Da die Lust, die uns erhöht,

        Nie vergeht!

               *

 

        Albrecht von Haller (1708  - 1777)

        Morgen-Gedanken.

        Der Mond verbirget sich / der Nebeln grauer Schleyer

             Dekt Lufft und Erde nicht mehr u;

        Der Sternen Glanz verschwindt / der Sonne reges Feuer/

             Stört alle Wesen aus der Ruh.

         

        Der Himmel färbet sich mit Purpur und Saphiren /

             Die frühe Morgen-Röhte lacht;

        Und vor der Rosen Glanz / die ihre Stirne zieren /

             Entflieht das blasse Heer der Nacht.

         

        Durch's rothe Morgen-Thor der heitern Sternen-Bühne

             Naht das verklärte Äug der Welt;

        Der Wolken Schimmel glänzt von blizendem Rubine

             Und glühend Gold bedeckt das Feld.

         

        Die Rose öffnet sich / und spiegelt an der Sonne

             Des frühen Morgens Perlen-Thau;

        Der Lilgen Ambra-Dampff belebt zu unsrer Wonne

             Der zarten Blätter Atlas grau.

         

        Der wache Akers-Mann eilt in die rauhen Felder /

             Und treibet den gewohnten Pflug;

        Der Vögeln rege Schaar erfüllet Lufft und Wälder /

             Mit ihrer Stimm und frühem Flug.

         

        O Schöpffer! was ich sieh / sind Deiner Allmacht Werke /

             Durch Dich belebt sich die Natur;

        Der Sternen Lauff und Licht / der Sonne Glanz und Stärke /

             Sind Deiner Hand Geschöpf und Spuhr.

         

        Du zünd'st die Fakel an / die in der Sonne leuchtet/

             Du giebst den Winden Flügel zu;

        Du leyhst dem Mond den Thau / damit er uns befeuchtet/

             Du (heilst der Sternen Lauff und Ruh.

         

        Du hast der Bergen Talg aus Thon und Staub gedrehet/

             Der Grünten Erzt aus Sand geschmelzt;

        Du hast das Firmament an seinen Ort erhöhet /

             Der Wolken Kleid darum geweltzt.

         

        Dem Fisch der Ströme blaßt / und mit dem Schwänze stürmet

             Hast Du die Adern ausgehöhlt;

        Du hast den Elefant aus Erden aufgethürmet/

             Und seinen Knochen-Berg beseelt.

         

        Des weiten Himmel-Raums saphirene Gewölber

             Sind Deiner Händen leichtes Spil;

        Das ungemeßne All / begränzt nur durch sich selber

             Kost dich nichts als das Wort: Ich will.

         

        Doch dreymahl grosser GOtt / es sind erschaffne Seelen /

             Vor Deine Thaten viel zu klein;

        Sie sind unendlich groß / und wer sie will erzehlen /

             Muß wie DU ohne Ende seyn.

         

        O ewigs Wesen-Quell! ich bleib in meinen Schranken /

             Du Sonne blend'st mein schwaches Licht;

        Und wem der Himmel selbst / sein Wesen hat zu danken /

             Braucht eines Wurmes Lob-Spruch nicht.

                          (1732)

             *

            Friedrich von Hagedorn (1708-1754)

            Der Morgen

            Uns lockt die Morgenröte

            In Busch und Wald,

            Wo schon der Hirten Flöte

            Ins Land erschallt.

            Die Lerche steigt und schwirret,

            Von Lust erregt;

            Die Taube lacht und girret,

            Die Wachtel schlägt.

             

            Die Hügel und die Weide

            Stehn aufgehellt,

            Und Fruchtbarkeit und Freude

            Beblümt das Feld.

            Der Schmelz der grünen Flächen

            Glänzt voller Pracht,

            Und von den klaren Bächen

            Entweicht die Nacht.

             

            Der Hügel weiße Bürde,

            Der Schafe Zucht,

            Drängt sich aus Stall und Hürde

            Mit froher Flucht.

            Seht, wie der Mann der Herde

            Den Morgen fühlt

            Und auf der frischen Erde

            Den Buhler spielt!

             

            Der Jäger macht schon rege

            Und hetzt das Reh

            Durch blutbetriefte Wege,

            Durch Busch und Klee.

            Sein Hifthorn gibt das Zeichen,

            Man eilt herbei;

            Gleich schallt aus allen Sträuchen

            Das Jagdgeschrei.

             

            Doch Phyllis' Herz erbebet

            Bei dieser Lust;

            Nur Zärtlichkeit belebet

            Die sanfte Brust.

            Laß uns die Täler suchen,

            Geliebtes Kind,

            Wo wir von Berg und Buchen

            Umschlossen sind!

             

            Erkenne dich im Bilde

            Von jener Flur!

            Sei stets, wie dies Gefilde,

            Schön durch Natur,

            Erwünschter als der Morgen,

            Hold wie sein Strahl,

            So frei von Stolz und Sorgen

            Wie dieses Tal!

                         (1744)

 

            Johann Wolfgang Goethe (1749 – 1832)

            Erwache, Friederike,

            Vertreib die Nacht,

            Die einer deiner Blicke

            Zum Tage macht.

            Der Vögel sanft Geflüster

            Ruft liebevoll,

            Dass mein geliebt Geschwister    

            Erwachen soll.

             

            Ist dir dein Wort nicht heilig  

            Und meine Ruh' ?

            Erwache! Unverzeihlich —

            Noch schlummerst du!

            Horch, Philomelens Kummer

            Schweigt heute still,

            Weil dich der böse Schlummer

            Nicht meiden will.

                 

            Es zittert Morgenschimmer

            Mit blödem Licht                    

            Errötend durch dein Zimmer

            Und weckt dich nicht.

            Am Busen deiner Schwester,

            Der für dich schlagt,

            Entschläfst du immer fester,

            Je mehr es tagt.

             

            Ich seh' dich schlummern, Schöne,

            Vom Auge rinnt

            Mir eine süße Träne

            Und macht mich blind.

            Wer kann es fühllos sehen,

            Wer wird nicht heiß,

            Und war' er von den Zehen

            Zum Kopf von Eis l

             

            Vielleicht erscheint dir träumend

            — O Glück! — mein Bild,

            Das halb voll Schlaf und reimend

            Die Musen schilt.

            Erröten und erblassen

            Sieh sein Gesicht;

            Der Schlaf hat ihn verlassen,

            Doch wacht er nicht.

             

            Die Nachtigall im Schlafe

            Hast du versäumt,

            So höre nun zur Strafe,

            Was ich gereimt.

            Schwer lag auf meinem Busen

            Des Reimes Joch:

            Die schönste meiner Musen,

            Du, schliefst ja noch.

                        *                                   (1771)

            Anm.:

            Geschwister     ( Z 7 = Friederike und die neben ihr schlafende Schwester)

            heilig               (Z 9 = versprochener Morgenspaziergang)

            blöde               (Z 18 = schwach schimmernd)

                     *

 

          Johann Wolfgang Goethe (1749 – 1832)

          Künstlers Morgenlied

          Ich hab' euch einen Tempel baut,

          Ihr hohen Musen all',

          Und hier in meinem Herzen ist

          Das Allerheiligste.

           

          Wenn morgends mich die Sonne weckt,

          Warm froh ich schau umher,

          Steht rings ihr ewig Lebenden

          In heil'gem Morgenglanz.

           

          Ich bet' hinan, und Lobgesang

          Ist lauter mein Gebet,

          Und freudeklingend Saitenspiel

          Begleitet mein Gebet.

           

          Ich trete vor den Altar hier

          Und lese, wie sich's ziemt,

          Andacht liturg'scher Lektion

          Im heiligen Homer.

           

          Und wenn der in's Getümmel mich

          Von Löwenkriegern reißt,

          Und Göttersöhn' auf Wagen hoch

          Rachglühend stürmen an,

           

          Und Roß dann vor dem Wagen stürzt,

          Und drunter und drüber sich

          Freund', Feind’ sich wälzen in Todesblut,

          Er sengte sie dahin

           

          Mit Flammenschwert, der Heldensohn,

          Zehntausend auf einmal,

          Bis denn auch er gebändiget

          Von einer Gottheit Hand

           

           'rab auf den Totenrogus stürzt,

          Den er sich selbst gehäuft,

          Und Feinde nun den schönen Leib

          Verschändend tasten an —

           

          Da greif’ ich mutig auf und fass':

          Die Kohle wird Gewehr,

          Und jene meine hohe Wand

          In Schlachtfeld-Wogen braust.

           

          Hinan, hinan! Es heulet laut

          Gebrüll der Feinde Wut.

          Und Schild an Schild und Schwert auf Helm

          Und um den Toten Tod.

           

          Ich dränge mich hinan, hinan,

          Da kämpfen sie um ihn,

          Die tapfern Freunde, tapferer

          In ihrer Tränen Wut.

           

          Ach, rettet! Kämpfet! Rettet ihn,

          Ins Lager bringt ihn 'rück,

          Und Balsam gießt dem Toten auf

          Und Tränen, Totenehr'.

           

          Und find' ich mich zurück hierher,

          Empfängst du, Liebe, mich,

          Mein Mädchen! Ach, im Bilde nur,

          Und so im Bilde warm.

           

          Ach, wie du ruhtest neben mir,

          Mich schmachtetst liebend an,

          Und mir's vom Aug' durchs Herz hindurch

          In'n Griffel schmachtete —

           

          Wie ich an Aug' und Wange mich

          Und Mund mich weidete,

          Und mir's im Busen jung und frisch

          Wie einer Gottheit war!

           

          O kehre doch und bleibe dann

          In meinen Armen fest,

          Und keine, keine. Schlachten mehr -

          Nur dich in meinem Arm!

           

          Und sollst mir, meine Liebe, sein

          Alldeutend Ideal,

          Madonna sein, ein Erstlingskind,

          Ein heilig's, an der Brust.

           

          Und haschen will ich Nymphe dich

          Im tiefen Waldgebüsch,

          Ein geiles Schwänzchen hinten vor,

          Die Ohren aufgereckt...

           

          Und liegen will ich Mars zu dir,

          Du Liebes-Göttin stark,

          Und ziehn ein Netz um uns herum

          Und rufen dem Olymp,

           

          Wer von den Göttern kommen will,

          Beneiden unser Glück,

          Und soll's die Fratze Eifersucht —

          An'n Bettfuß angebannt!

           

                *

          Johann Wolfgang Goethe (1749 – 1832)

          Morgenklagen

          O du loses, leidigliebes Mädchen *,      

          Sag' mir an, womit hab' ich's verschuldet,

          Dass du mich auf diese Folter spannest,

          Dass du dein gegeben Wort gebrochen ?

           

          Drucktest doch so freundlich gestern abend        

          Mir die Hände, lispeltest so lieblich:

          „Ja, ich komme, komme gegen Morgen

          Ganz gewiss, mein Freund, auf deine Stube."

           

          Angelehnet ließ ich meine Türe,

          Hatte wohl die Angeln erst geprüfet              

          Und mich recht gefreut, dass sie nicht knarrten.

           

          Welche Nacht des Wartens ist vergangen!

          Wacht' ich doch und zählte jedes Viertel:

          Schlief ich ein auf wenig Augenblicke,

          War mein Herz beständig wach geblieben,        

          Weckte mich von meinem leisen Schlummer.

           

           Ja, da segnet' ich die Finsternisse,

          Die so ruhig alles überdeckten,

          Freute mich der allgemeinen Stille,

          Horchte lauschend immer in die Stille,

          Ob sich nicht ein Laut bewegen möchte.

           

          „Hätte sie Gedanken, wie ich denke,

          Hätte sie Gefühl, wie ich empfinde,

          Würde sie den Morgen nicht erwarten,

          Würde schon in dieser Stunde kommen."

           

          Hüpft' ein Kätzchen oben übern Boden,

          Knisterte das Mäuschen in der Ecke,

          Regte sich, ich weiß nicht was, im Hause,

          Immer hofft' ich, deinen Schritt zu hören,

          Immer glaubt' ich, deinen Tritt zu hören.

           

          Und so lag ich lang und immer länger,

          Und es fing der Tag schon an zu grauen,

          Und es rauschte hier und rauschte dorten.

           

          „Ist es ihre Türe? Wär's die meine!"

          Saß ich aufgestemmt in meinem Bette,

          Schaute nach der halb erhellten Türe,

          Ob sie nicht sich wohl bewegen möchte.

          Angelehnet blieben beide Flügel

          Auf den leisen Angeln ruhig hangen.

           

          Und der Tag ward immer hell- und heller;

          Hört' ich schon des Nachbars Türe gehen,

          Der das Taglohn zu gewinnen eilet,

          Hört' ich bald darauf die Wagen rasseln,

          War das Tor der Stadt nun auch eröffnet,

          Und es regte sich der ganze Plunder

          Des bewegten Marktes durcheinander.

           

          Ward nun in dem Haus ein Gehn und Kommen

          Auf und ab die Stiegen, hin und wieder

          Knarrten Türen, klapperten die Tritte;

          Und ich konnte, wie vom schönen Leben,

          Mich noch nicht von meiner Hoffnung scheiden.

           

          Endlich, als die ganz verhasste Sonne

          Meine Fenster traf und meine Wände,

          Sprang ich auf und eilte nach dem Garten,

          Meinen heißen, sehnsuchtsvollen Atem

          Mit der kühlen Morgenluft zu mischen,

          Dir vielleicht im Garten zu begegnen;

          Und nun bist du weder in der Laube

          Noch im hohen Lindengang zu finden.

                                               (1788 )

                                                                              Anm:  Z 1    =  Christiane Vulpius

              *

        Friedrich Hölderlin ( 1770 – 1843)

        Des Morgens

        Vom Taue glänzt der Rasen; beweglicher

            Eilt schon die wache Quelle; die Buche neigt

                Ihr schwankes Haupt und im Geblätter

                    Rauscht es und schimmert; und um die grauen

         

        Gewölke streifen rötliche Flammen dort,

            Verkündende, sie wallen geräuschlos auf;

                Wie Fluten am Gestade, wogen

                    Höher und höher die Wandelbaren.

         

        Komm nun, o komm, und eile mir nicht zu schnell,

            Du goldner Tag, zum Gipfel des Himmels fort!

                Denn offner fliegt, vertrauter dir mein

                    Auge, du Freudiger! zu, so lang du

         

        In deiner Schöne jugendlich blickst und noch

            Zu herrlich nicht, zu stolz mir geworden bist;

                Du möchtest immer eilen, könnt ich,

                    Göttlicher Wandrer, mit dir! — doch lächelst

         

        Des frohen Übermütigen du, dass er

            Dir gleichen möchte; segne mir lieber dann

                Mein sterblich Tun und heitre wieder

                    Gütiger! heute den stillen Pfad mir.

                                    (1800)

                   *

            Karoline von Günderrode ( 1780 – 1806)

            Des Knaben Morgengruß

            Morgenlicht! Morgenlicht

            Scheint mir hell ins Gesicht!

            Wenn ich Tag kommen seh,

            wird mir leid und weh;

            Denn im Grabe liegt

            Ein jung Mägdelein;

            Des Frührots Schein

            Sieht traurig hinein

            In das enge Kämmerlein.

            Mögt wecken das Jungfräulein,

            Das kann von Schlaf nicht erstehn,

            Morgenlicht nicht sehn;

            Drum wenn ich Frühroth kommen seh,

            Wird mir leid und weh.

             

               *

      Joseph von Eichendorff  ( 1788  - 1857)

      Der Morgen

      Fliegt der Morgenstrahl

      Durch das stille Nebeltal,

      Rauscht erwachend Wald und Hügel

      Wer da fliegen kann, nimmt Flügel!

       

      Und sein Hütlein in die Luft

      Wirft der Mensch vor Lust und ruft:

      Hat Gesang doch auch noch Schwingen,

      Nun so will ich fröhlich sing!

            *

                          Foto: Sandra Heik

                           

      Joseph von Eichendorff ( 1788  - 1857)

      Aus Wolken, eh im nächtgen Land

      Erwacht die Kreaturen,

      Langt Gottes Hand,

      Zieht durch die stillen Fluren

      Gewaltig die Conturen,

      Strom, Wald und Felsenwand.

      Wach auf, wach auf! Die Lerche ruft,

      Aurora taucht die Stralen

      Verträumt in Duft,

      Beginnt auf Berg und Thalen

      Ringsher ein himmlisch Mahlen

      In Meer und Land und Luft.

       

      Und durch die Stille lichtgeschmückt

      Aus wunderbaren Locken

      Ein Engel blickt –

      Da rauscht der Wald erschrocken,

      Da geht die Morgenglocken,

      Die Gipfel stehn verzückt.

       

      O lichte Augen ernst und mild,

      Ich kasnn nicht von euch lassen!

      Bald wieder wild

      Stürmts her von Sorg und Hassen –

      Durch die verworrnen Gassen

      Führ ich, mein göttlich Bild!

                     (1831)

            *

      Joseph von Eichendorff   (1788  - 1857)

      Morgengebet

      O wunderbares, tiefes Schweigen,

      Wie einsam ist's noch auf der Welt!

      Die Wälder nur sich leise neigen,

      Als ging' der Herr durchs stille Feld.

       

      Ich fühl' mich recht wie neu geschaffen,

      Wo ist die Sorge nun und Not?   

      Was mich noch gestern wollt' erschlaffen,

      Ich schäm' mich des im Morgenrot.

       

      Die Welt mit ihrem Gram und Glücke

      Will ich, ein Pilger, frohbereit

      Betreten nur wie eine Brücke

      Zu Dir, Herr, übern Strom der Zeit.

       

      Und buhlt mein Lied, auf Weltgunst lauernd,

      Um schnöden Sold der Eitelkeit:

      Zerschlag' mein Saitenspiel, und schauernd

      Schweig' ich vor Dir in Ewigkeit.

          *

           

      Joseph von Eichendorff  ( 1788  - 1857)

      Morgenlied

      Kein Stimmlein noch schallt von allen

      In frühester Morgenstund',

      Wie still ist's noch in den Hallen

      Durch den weiten Waldesgrund.

       

      Ich stehe hoch überm Tale

      Stille vor großer Lust,

      Und schau' nach dem ersten Strahle,

      Kühl schauernd in tiefster Brust.

       

      Wie sieht da zu dieser Stunde

      So anders das Land herauf,

      Nichts hör' ich da in der Runde

      Als von fern der Ströme Lauf.

       

      Und ehe sich alle erhoben

      Des Tages Freuden und Weh,

      Will ich, Herr Gott, Dich loben

      Hier einsam in stiller Höh'. -

       

      Nun rauschen schon stärker die Wälder,

      Morgenlicht funkelt herauf,

      Die Lerche singt über den Feldern,

      Schöne Erde, nun wache auf!

       

                       *

          Theodor Körner ( 1791 – 1813)

          Der Morgenstern

          Stern der Liebe, Glanzgebilde,

              Glühend wie die Himmelsbraut,

              Wanderst durch die Lichtgefilde

              Kündend, dass der Morgen graut.

           

          Freundlich kommst du angezogen,

              Freundlich schwebst du himmelwärts,

              Glitzernd durch des Äthers Wogen,

              Strahlst du Hoffnung in das Herz.

           

          Wie in schäumende Pokalen

              Traubenpurpur mutig schwellt,

              So durchleuchten deine Strahlen

              Die erwachte Frühlingswelt.

           

          Wie im herrlichen Geschiebe

              Sich des Goldes Pracht verschließt,

              So erglänzst du, Stern der Liebe,

              der den Morgen still begrüßt.

           

          Und es treibt dich nach den Sternen,

              Hell im Dunkel zu erglühn.

              Über Berge über Fernen

              Möcht’ ich einmal mit dir ziehn.

           

          Fasst mich, fasst mich, heil’ge Strahlen,

              Schlingt um mich das goldne Band,

              Dass ich aus den Erdequalen

              Fliehe in ein glücklich Land!

           

          Doch ich kann dich nicht erfassen,

              Nicht erreichen; stehst so fern!

              Kann ich von der Sehnsucht lassen?

              Darf ich’s, heil’ger Himmelsstern?

                            *

           

            Theodor Körner ( 1791 – 1813)

            Sängers Morgenlied

            Süßes Licht aus goldnen Pforten

                Brichst du siegend durch die Nacht.

                Schöner Tag, du bist erwacht!

            Mit geheimnisvollen Worten,

            In melodischen Akkorden

                Grüß ich deine Rosenpracht.

             

            Ach! Der Liebe sanftes Wehen

                Schwellt mir das bewegte Herz,

                Sanft wie ein geliebter Schmerz.

            Dürft’ ich nur auf goldnen Höhen

            Mich im Morgenduft ergehen!

                Sehnsucht zieht mich himmelwärts.

             

            Und der Seele kühnes Streben

                Trägt im stolzen Riesenlauf

                Durch die Wolken mich hinauf.

            Doch mit sanftem Geisterbeben

            Dringt das Lied ins innre Leben,

                löst den Sturm melodisch auf.

             

            Vor den Augen wird es helle;

                Freundlich auf der zarten Spur

                Weht der Einklang der Natur

            Und begeistert rauscht die Quelle.

            Munter tanzt die flücht’ge Welle

                Durch des Morgens stille Flur.

             

            Und von süßer Luft durchdrungen,

                Webt sich zarte Harmonie

                Durch des Lebens Poesie.

            Was die Seele tief durchklungen,

            Was berauscht der Mund gesungen,

                Glüht in hoher Melodie.

             

            Des Gesanges muntern Söhnen

                Weicht im Leben jeder Schmerz

                Und nur Liebe schwellt ihr Herz.

            In des Liedes heil’gen Tönen

            Und im Morgenglanz des Schönen

                Fliegt die Seele himmelwärts.

           

                *

          Heinrich Heine (1797 – 1856)

          „In der Frühe“

              Meine gute, liebe Frau,

          Meine güt’ge Geliebte,

          Hielt bereits den Morgenimbiss,

          Braunen Kaffee, weiße Sahne.

           

              Und sie schenkt ihn selber ein,

          Scherzend, kosend, lieblich lächelnd.

          In der ganzen Christenheit

          Lächelt wohl kein Mund so lieblich!

           

              Auch der Stimme Flötenton

          Findet sich nur bei den Engeln,

          Oder allenfalls hienieden

          Bei den besten Nachtigallen.

                         *

          Heinrich Heine (1797 – 1856)

          Morgens steh ich auf und frage:

          Kommt Feinsliebchen heut?

          Abends sink ich hin und klage:

          Ausblieb sie auch heut.

           

          In der Nacht mit meinem Kummer

          Lieg’ ich schlaflos, wach;

          Träumend wie im halben Schlummer,

          Wandle ich bei Tag.

           

             *

            Eduard Mörike    (1804 – 1875)  

            Septembermorgen

            Im Nebel ruhet noch die Welt,

            Noch träumen Wald und Wiesen:

            Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,

            Den blauen Himmel unverstellt,

            Herbstkräftig die gedämpfte Welt

            In warmem Golde fließen.

                           (1827)

                            *

            Eduard Mörike    (1804 – 1875)  

            In der Frühe

            Kein Schlaf noch kühlt das Auge mir,

            Dort gehet schon der Tag herfür

            An meinem Kammerfenster.

            Es wühlet mein verstörter Sinn

            Noch zwischen Zweifeln her und hin

            Und schaffet Nachtgespenster.

            — Ängste, quäle

            Dich nicht länger, meine Seele l

            Freu dich! Schon sind da und dorten

            Morgenglocken wach geworden.

                             (1828)

                        *

      Eduard Mörike    (1804 – 1875)  

      An einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang

      O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!

      Welch neue Welt bewegest du in mir?

      Was ist's, dass ich auf einmal nun in dir

      Von sanfter Wollust meines Daseins glühe?

       

      Einem Kristall gleicht meine Seele nun,

      Den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen;

      Zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruhn,

      Dem Eindruck naher Wunderkräfte offen,

      Die aus dem klaren Gürtel blauer Luft

      Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.

       

      Bei hellen Augen glaub ich doch zu schwanken;

      Ich schließe sie, dass nicht der Traum entweiche.

      Seh ich hinab in lichte Feenreiche?

      Wer hat den bunten Schwärm von Bildern und Gedanken

      Zur Pforte meines Herzens hergeladen,

      Die glänzend sich in diesem Busen baden,

      Goldfarbgen Fischlein gleich im Gartenteiche?

       

      Ich höre bald der Hirtenflöten Klänge,

      Wie um die Krippe jener Wundernacht,

      Bald weinbekränzter Jugend Lustgesänge;

      Wer hat das friedenselige Gedränge

      In meine traurigen Wände hergebracht?

       

      Und welch Gefühl entzückter Stärke,

      Indem mein Sinn sich frisch zur Ferne lenkt!

      Vom ersten Mark des heutgen Tags getränkt,

      Fühl ich mir Mut zu jedem frommen Werke.

      Die Seele fliegt, so weit der Himmel reicht,

      Der Genius jauchzt in mir! Doch sage,

      Warum wird jetzt der Blick von Wehmut feucht?

      Ist's ein verloren Glück, was mich erweicht?

      Ist es ein werdendes, was ich im Herzen trage?

      — Hinweg, mein Geist! hier gilt kein Stillestehn:

      Es ist ein Augenblick, und alles wird verwehn!

       

      Dort, sieh, am Horizont lüpft sich der Vorhang schon!

      Es träumt der Tag, nun sei die Nacht entflohn;

      Die Purpurlippe, die geschlossen lag,

      Haucht, halbgeöffnet, süße Atemzüge:

      Auf einmal blitzt das Äug, und, wie ein Gott, der Tag

      Beginnt im Sprung die königlichen Flüge!   

       

                                                (1825)

        Theodor Storm (1817 – 1888)

        Morgenwanderung

        Im ersten Frühschein leuchtet schon die Gasse;

        Noch ruht die Stadt, da ich das Haus verlasse.

        Drei Stunden muss gewandert sein,

        Mein Lieb, dann kehr ich bei dir ein!

         

        Noch schläfst du wohl; im kleinen Heiligtume

        Bescheint die Sonne ihre schönste Blume.

        Der Frühling streift dein süß Gesicht;

        Du lächelst, doch erwachst du nicht.

         

        Und hoch durchs Blau der Sonne Strahlen dringen;

        Hoch schlägt mein Herz, und hell die Lerchen singen.

        Jetzt scheint auch dich die Sonne wach,

        Und träumend schaust du in den Tag.

         

        Was konnt die Nacht so Süßes dir bereiten? –

        Wie durch die Hand die dunklen Flechten gleiten,

        So sprichst du sinnend Wort um Wort,

        Und halbe Träume spinnst du fort.

         

        Die liebe Sonn’, was hat sie dir genommen?

        Hast du geträumt, du sähst den Liebsten kommen?

        Wach auf, mein Lieb! Schleuß auf die Tür!

        Der Traum ist aus, die Liebste hier.

                            *

         

            Theodor Fontane ( 1819 – 1899)

            Guter Rat

            An einem Sommermorgen

                Da nimm den Wanderstab,

            Es fallen deine Sorgen

                Wie Nebel von dir ab.

             

            Des Himmels heitere Bläue

                Lacht t dir ins Herz hinein,

            Und schließt, wie Gottes Treue,

                Mit seinem Dach  dich ein.

             

            Rings Blüten nur und Triebe

                Und Halme von Segen schwer,

            Dir ist, als zöge die Liebe

                Des Weges nebenher.

             

            So heimisch alles klinget

                Als wie im Vaterhaus,

            Und über die Lerchen schwinget

                Die Seele sich hinaus.

                  *

         

          Detlev von Liliencron (1844 – 1909)

          Heimgang in der Frühe

          In der Dämmerung,

          Um Glock zwei, Glock dreie,

          Trat ich aus der Tür

          In die Morgenweihe.

           

          Klanglos liegt der Weg,

          Und die Bäume schweigen,

          Und das Vogellied

          Schläft noch in den Zweigen.

           

          Hör ich hinter mir

          Sacht ein Fenster schließen.

          Will mein strömend Herz

          Übers Ufer fließen?

           

          Sieht mein Sehnen nur

          Blond und blaue Farben?

          Himmelsrot und Grün

          Samt den ändern starben.

           

          Ihrer Augen Blau

          Küsst die Wölkchenherde,

          Und ihr blondes Haar

          Deckt die ganze Erde.

           

          Was die Nacht mir gab,

          Wird mich lang durchbeben,

          Meine Arme weit

          Fangen Lust und Leben.

           

          Eine Drossel weckt

          Plötzlich aus den Bäumen,

          Und der Tag erwacht

          Still aus Liebesträumen.

                       *

           

            Richard Dehmel  (1863—1920)

            Morgenandacht

            Sehnsucht hat mich früh geweckt;

            Wo die alten Eichen rauschen,

            Hier am Waldrand hingestreckt,

            Will ich dich, Natur, belauschen.

             

            Jeder Halm steht wie erwacht;

            Grüner scheint das Feld zu leben,

            Wenn im kühlen Tau der Nacht

            Warm die ersten Strahlen beben.

             

            Wie die Fülle mich beengt!

            So viel Großes! so viel Kleines l

            Wie es sich zusammendrängt

            In ein übermächtig Eines!

             

            Wie der Wind im Hafer surrt,

            Tief im Gras die Grillen klingen,

            Hoch im Holz die Taube gurrt,

            Wie die Blätter schauernd schwingen,

             

            Wie die Bienen taumelnd sammeln

            Und die Käfer lautlos schlüpfen —

            O Natur! was soll mein Stammeln,

            Seh ich all das dich verknüpfen:

             

            Wie es mir ins Innre dringt,

            All das Große, all das Kleine,

            Wie's mit mir zusammenklingt

            In das übermächtig Eine!

                           *

             

      Max Dauthendey (1867 – 1918)

      Morgenduft

      Schwergebogen nasse Zweige.

      Trübe Aprikosenblüten.

      Unter tiefem Himmel schleichen

      Feuchte Wege.

       

      Aschenweiche Buchenwälder.

      Kahle, perlenmatte Fjorde.

      Kaltes Schilf. Auf nacktem Grunde

      Spielen scheue Rosenmuscheln.

              *

       

      Max Dauthendey (1867 – 1918)

      In der Frühe

       (Auf Java, 9. September 1916)

       

      Große weiße Malvenblüten, frischbetaute,

      Sah ich in der Frühe, da das Taglicht graute,

      In dem Garten, und es schliefen noch die Laute.

       

      Jede runde Blüte leuchtete und brachte

      Hellen Schmelz dem Himmel, der erwachte,

      Als das Gartendunkel noch der Nacht gedachte.

       

      In der Ferne stand ein blauer Berg gehoben,

      Lange Wolken sich am freien Gipfel schoben,

      Und vom Licht lag dort die neue Spur gewoben.

       

      Und ich dachte: Blüten, Berg und Licht, sie wissen,

      Daß sie heut am hellen Tage nichts vermissen,

      Und nur ich, nur ich bin heimatlos, zerrissen.

              *

           

              Stefan George ( 1868 – 1933)

              Von welchem wundern lacht die morgen-erde

              Als wär ihr erster tag? Erstauntes singen

              Von neuerwachten welten trägt der wind

              Verändert sieht der alten berge form

              Und wie im kindheit-garten schaukeln blüten . .

              Der strom besprengt die ufer und es schlang

              Sein zitternd silber allen staub der jahre

              Die schöpfung schauert wie im stand der gnade.

              Kein gänger kommt des weges dessen haupt

              Nicht eine ungewusste hoheit schmücke.

              Ein breites licht ist übers land ergossen . .

              Heil allen die in seinen strahlen gehen!

                    *

                   

        Hugo von Hofmannsthal  ( 1874 – 1929)

        Vor Tag

        Nun liegt und zuckt am fahlen Himmelsrand

        In sich zusammgesunken das Gewitter.

        Nun denkt der Kranke: „Tag! jetzt werd ich schlafen!"

        Und drückt die heißen Lider zu. Nun streckt

        Die junge Kuh im Stall die starken Nüstern

        Nach kühlem Frühduft. Nun im stummen Wald

        Hebt der Landstreicher ungewaschen sich

        Aus weichem Bett vorjährigen Laubes auf

        Und wirft mit frecher Hand den nächsten Stein

        Nach einer Taube, die schlaftrunken fliegt,

        Und graust sich selber, wie der Stein so dumpf

        Und schwer zur Erde fällt. Nun rennt das Wasser,

        Als wollte es der Nacht, der fortgeschlichnen, nach

        Ins Dunkel stürzen, unteilnehmend, wild

        Und kalten Hauches hin, indessen droben

        Der Heiland und die Mutter leise, leise

        Sich unterreden auf dem Brücklein: leise,

        Und doch ist ihre kleine Rede ewig

        Und unzerstörbar wie die Sterne droben.

        Er trägt sein Kreuz und sagt nur: „Meine Mutter!"

        Und sieht sie an, und: „Ach, mein lieber Sohn!"

        Sagt sie. — Nun hat der Himmel mit der Erde

        Ein stumm beklemmend Zwiegespräch. Dann geht

        Ein Schauer durch den schweren, alten Leib:

        Sie rüstet sich, den neuen Tag zu leben.

        Nun steigt das geisterhafte Frühlicht. Nun

        Schleicht einer ohne Schuh von einem Frauenbett,

        Läuft wie ein Schatten, klettert wie ein Dieb

        Durchs Fenster in sein eigenes Zimmer, sieht

        Sich im Wandspiegel und hat plötzlich Angst

        Vor diesem blassen, übernächtigen Fremden,

        Als hätte dieser selbe heute nacht

        Den guten Knaben, der er war, ermordet

        Und käme jetzt, die Hände sich zu waschen

        Im Krüglein seines Opfers wie zum Hohn,

        Und darum sei der Himmel so beklommen

        Und alles in der Luft so sonderbar.

        Nun geht die Stalltür. Und nun ist auch Tag.

         

                 *

    Rainer Maria Rilke ( 1875 – 1926)

    Venezianischer Morgen

                                                                    Richard Beer-Hofmann zugeeignet

    FÜRSTLICH verwöhnte Fenster sehen immer,

    was manchesmal uns zu bemühn geruht:

    die Stadt, die immer wieder, wo ein Schimmer

    von Himmel trifft auf ein Gefühl von Flut,

     

    sich bildet ohne irgendwann zu sein.

    Ein jeder Morgen muß ihr die Opale

    erst zeigen, die sie gestern trug, und Reihn

    von Spiegelbildern ziehn aus dem. Kanäle

    und sie erinnern an die ändern Male:

    dann giebt sie sich erst zu und fällt sich ein

     

    wie eine Nymphe, die den Zeus empfing.

    Das Ohrgehäng erklingt an ihrem Ohre;

    sie aber hebt San Giorgio Maggiore

    und lächelt lässig in das schöne Ding.

                      (1908)

          *

      Oskar Loerke (1884 – 1941)

      Gleichnis an Morgen

       

      Milchweiße Ringe quillen aus dem Grund

      Am Berge auf, als sänge sie ein Mund

       

      Aus Tiefem. Das gesprochene Bildwerk steigt,

      Tanzt rund und hoch, als würd ihm aufgegeigt.

       

      Es nimmt den schweren Berg in sich hinein ,

      Kein Ahnen bleibt vom geisternd blauen Stein.

       

      Mir ist, ihn zwang der Nebelwörter Chor

      Und reißt ihn durch die Luft als Meteor:

       

      Da wickelt sich der Gipfel wie aus Werg,

      Und qualm bleibt Qualm, Wort Wort, und Berg bleibt Berg. 

       

                                                                                                  (1911)

      Oskar Loerke (1884 – 1941)

      Rondell von der Posaune

       

      Die Posaune Ükriki

      Spielt der Rotbart im Federvieh.

      Mit dem Rufe Ükriki

      Wird die Welt erst die und die.

       

      Kriecht die Sonne Gott ums Knie,

      Mondhorn spricht zu Mondhorn; Flieh.

      Denn posaunend Ükriki

      Wird die Welt erst die und die.

       

      Wird  der Traum Mythologie,

      Das Geschehen spricht: Geschieh!

      Und die Last zum Schimmel: Zieh’,

      Und zur Last der Schimmel: Nie!

      Und die Welt ist die und die.

       

                                   aus: Pansmusik , 1916 ; darin: Ländliche Rondelle)

 

 

            Max Herrmann-Neiße (1886 – 1941)

          Tagesbeginn

           

          Der Tag beginnt. Im Neubau wird gehämmert.

          Die Kavalkade* trabt zum Morgenritt.

          Der letzte tröstlich gute Traum verdämmert,

          darin man keine Wirklichkeit erlitt.

           

          Es rauscht das Wasser in die Badewanne.

          Das Tor schlägt an. Man bringt das Morgenblatt.

          Du witterst den Geruch der Kaffeekanne

          Und hebst dich hungrig von der Laderstatt.

           

          Vor deinem Fenster ist dies graue Grauen,

          in das die Straße leer und lustlos gähnt.

          Was wird sich ihr gezwungen anvertrauen

          im Gang zum Werke, das man wichtig wähnt.

           

          Noch steht der Nebel hemmend vor den Wegen,

          es sänftigen Geschäftigkeit und Hast.

          Ich will mich auf die andre Seite legen

          Und weiter schlafen als ein träger Gast.

           

          Wird nebenan das Telefon auch tosen,

          ich halte mich, solang ich es vermag,

          Schmarotzer in dem wohlig Wesenlosen

          verborgen vor dem anspruchsvollen Tag.

                                  *                                                                                 (April 1936)

                   *  Z 2:  festlicher Aufzug einer berittenen Formation

                *

          Jakob van Hoddis ( Pseudonym für Hans Davidson) (1887 – 1942)

          Aurora

           

          Nach Hause stiefeln wir verstört und alt,

          Die grelle, gelbe Nacht hat abgeblüht.

          Wir sehn, wie über den Laternen, kalt

          Und dunkelblau, der Himmel droht und glüht.

           

          Nun winden sich die langen Straßen, schwer

          Und fleckig, bald, im breiten Glanz der Tage.

          Die kräftige Aurore bringt ihn her,

          Mit dicken, rotgefrornen Fingern, zage.

           

                        (aus: Die Aktion 3, 1913)

                   

            Jakob van Hoddis ( Pseudonym für Hans Davidson) (1887 – 1942 ?)

            Morgens

            Ein starker Wind sprang empor.

            Öffnet des eisernen Himmels blutende Tore.

            Schlägt an die Türme.

            Hellklingend laut geschmeidig über die eherne Ebene der Stadt.

            Die Morgensonne rußig. Auf Dämmen donnern Züge.

            Durch Wolken pflügen goldne Engelflüge.

            Starker Wind über der bleichen Stadt.

            Dampfer und Kräne erwachen am schmutzig fließenden Strom.

            Verdrossen klopfen die Glocken am verwitterten Dom.

            Viele Weiber siehst du und Mädchen zur Arbeit gehn.

            Im bleichen Licht. Wild von der Nacht. Ihre Röcke wehn.

            Glieder zur Liebe geschaffen.

            Hin zur Maschine und mürrischem Mühn.

            Sieh in das zärtliche Licht.

            In der Bäume zärtliches Grün.

            Horch! Die Spatzen schrein.

            Und draußen auf wilderen Feldern

            Singen Lerchen.

                          (aus: Die Aktion 4, 1914)

 

      Alfred Lichtenstein (1889 – 1914)

      Der Morgen

      -… Und alle Straßen liegen glatt und glänzend da.

      Nur selten hastet über sie ein fester Mann.

      Ein fesches Mädchen haut sich heftig mit Papa.

      Ein Bäcker sieht sich mal den schönen Himmel an.

       

      Die tote Sonne hängt an Häusern, breit und dick.

      Vier fette Weiber quietschen spitz vor einer Bar.

      Ein Droschkenkutscher fällt und bricht sich das Genick.

      Und alles ist langweilig hell, gesund und klar.

       

      Ein Herr mit weisen Augen schwebt verrückt, voll Nacht,

      Ein siecher Gott . . .  in diesem Bild, das er vergaß.

      Vielleicht nicht merkte  -  Murmelt manches. Stirbt. Und lacht.

      Träumt von Gehirnschlag, Paralyse, Knochenfraß.

                        (1911)          

              *

          Ernst Blass (1890 – 1939)

          DIE TAGESGESÄNGE

          Tagesgesang I

          Da doch das Bergeshaupt bereits durchstach

          Des morgendlichen Nebels feuchtes Tuch

          War es ein Wunder, daß aus Sträuchern brach

          Beschienen sich entfaltender Geruch –

           

          Da Vormittag schon übe, den Geländen,

          Durchwärmend sie, zu flimmern anbegann

          Und dann in Himmelsfarben blendend spann

          Die rege Welt, sonnig an allen Enden?

           

          Des Flusses pflanzengrüne Spiegelglätte

          Still schillernd war sie wie ein Feenkleid,

          Und an der Ufer hingereckter Stätte

          Gesträuch und Gras waren zum Duft bereit,

           

          Der treibend kam mit schüchternem Gelinge

          Und einzog ins erweiterte Gemüt -

          Bis alles wird ein Immer-Aufwärts-Klingen

          Zum Himmel der mit tausend Ästen blüht.

                                                                                       (1915)

               

            Eva Zeller © (* 1923)

            Trauriges Morgenlied

             

            Nun hab ich aber den

            geköpften Hahn noch

            weiterrennen sehn in

            seinem Wahn er müsse

            bis zum Misthaufen mit

            der Sonne um die Wette

            laufen der güldenen voll

            Freud und Wonne die ohne

            ihn und sein Geschrei

            ihr herzerquickend Licht

            nicht zünden kann und

            ich zum Schluss mitansehn

            muß wie Federn durch die

            Lüfte segeln

                    *

            aus: Eva Zeller, Das unverschämte Glück. Neue Gedichte, Radius Verlag Stuttgart 2006, S. 70

       

            Eva Zeller (* 1923)

            Morgenlied

             

            Wer

            Hand aufs Herz

            der das Fenster

            aufstößt

            traut schon

            dem Frieden

             

            Der Strohhalm

            im Schnabel der Taube

            läßt zwar vermuten

            daß sich die Wasser verliefen

             

            Was anderes aber

            beweist

            der Regenbogen

            über wieder aufgestiegenen Städten

            als daß ein Tropfen

            das Licht ablenkt

            und in sein Spektrum zerlegt

             

            Wer

            läßt sich wie Noah

            gesagt sein

            hier sei ein Hoffnungsschimmer

            dies sei die letzte

            Sintflut gewesen

            und wir könnten

            die selbstgezimmerte Arche

            als blutige Anfänger

            wieder verlassen?

                      *

        aus: Eva Zeller, Sage und schreibe. Gedichte, DVA Stuttgart 1971, S. 60 f

        Der Autorin für die freundliche Abdruckerlaubnis vom 26. 08. 2011 ganz herzlichen Dank

 

 

          Albert von Schirnding (* 1935)

          Morgen

           

          Funkelnd ging mein Schmerz am Himmel auf

          spiegelt sich im Fluß an dem ich streune

          Allerwege recken über Zäune

          schlitzäugig Blumen sich mir aufzulauern

           

          Aufspringen des Morgens goldene Schnallen

          aus meinen Händen quillt der Tag

          indessen ich in königlichen Hallen

          mein Erbe prüfend Truhen Lichtes öffne

 

 

          Albert von Schirnding (* 1935)

          Delos

           

          Das Licht

           malt einen  Fleck

           auf deine Kniescheibe

           

           Hier

           auf der

           weißen Insel

           wird der Morgen geboren

           ein Sänger ohne Stimme

           ein Tänzer mit verkrüppelten Füßen

           Apollon mit zerbrochenem Geschlecht

 

                                      *

         aus: Albert von Schirnding: Übergabe. Achtzig Gedichte. Ebenhausen b. München 2005,  S. 12 und S. 24

     Langewiesche-Brandt KG

    Dem Autor für die spontane Antwort vom 16. 02. 2012  - und sein großzügiges Einverständnis mit einer Gedichtauswahl

    für einen Abdruck hier - meinen  ganz herzlichen Dank. (Ad)

 

 

            Erich Adler © (* 1944)

            Aussicht

            Morgens

            ich zerre das Rollo in die Höhe

            bereits dringt Licht durch die Spalten die

            der begonnene Tag freigibt

             

            Im Frühling sterben  -

            das wird ganz leicht sein.

 

 

            Noch graut kein Morgen:

             

    Wilhelm Klemm (1881 – 1968) Morgen (Des Morgens, wenn die Erde der Sonne/ entgegenatmet, ...)

    Bertolt Brecht ( 1898– 1956) Morgendliche Rede an den Baum Griehn

                                  (Griehn, ich muss Sie um Entschuldigung bitten.)

    Hilde Domin (1909 – 2006) Morgens und abends (Immer wieder die schwarzen Vögel)

    Hermann Lenz (1913 – 1998)   In der Frühe (Ein schläfriges Erwachen)

    Walter Gross (1924 - 1999)     Dezembermorgen (Lange war kein solcher Morgen)

    Jürgen Becker (* 1932) Gedicht, sehr früh (In der Frühe um fünf weckt mich)

                 Morgens, mittags (Hinter der Kurve, über den Kiefern)

    Reiner Kunze ( * 1933) Meditieren (Was das sei, tochter?)

                                        Verregneter Sommer (Morgen für morgen blickst du ins land …)

    Wulf Kirsten ( * 1934) Landleben (den herrschaftlichen gespanne)

                            Vor der Haustür (manchmal morgens, /wenn ich vor die haustür trete)

    Guntram Vesper (* 1941) Sommermorgen (Ich schreibe im Schlafzimmer)

    Thomas Brasch (1945 – 2001)   Erinnerung am Morgen (Auf den Dächern unsrer Häuser)

                                                                           

  

> Guten Morgen, PDF

 

Ein Danke  am Morgen an Sandra Heick:

Fuchs s. Motiv Humor mit  Katz und Krümel,

 im  Sommer  und  Einsam (e  Gebrauchslyrik)

> Gedichtform Rondell