“... Lesen schadet den Augen! ”

                          

                             Das Ding - Gedicht

                                                

                                             Konkrete Poesie - im Barock

     Reinhard Döhl wird 1965 seinen berĂĽhmten Wurm durch den  visuellen “Apfel” kriechen lassen -             Johann Helwig (1609 -1674)  ahnt schon frĂĽher, dass im Leben der Wurm steckt: tempus fugit!

           

           

          Salomo Franck  (1659 – 1725)

          Erläuterung des Kupffer-Blats.*

           

          Ob die Natur allein,

          Durch ihre Krafft geschickte Dichter mache,

          Ist eine noch nicht klare Sache!

          Ich sage sonder Scheu;

          Daß die Natur hier nicht hinlänglich sey!

          Das Naturel zur edlen Poesie

          Kommt zwar von einer höhern Flamme;

          Doch ist die Kunst, durch Ăśbung, FleiĂź und MĂĽh,

          Der reinen Gluth Ernehrerin und Amme!

          Man sehe diese FrĂĽchte!

          Sie wachsen von Natur,

          Und von der Sonnen-Krafft und Lichte;

          Jedoch erlangen Sie

          Von Kunst und klugen FleiĂź,

          Den recht vollkommnen PreiĂź!

          Drum geb' ich zum Berichte:

          Natur und Kunst macht ein galant Gedichte!

                          (1711)

          * Das Blatt zeigt Topfblumen in einem von der Sonne bestrahlten Gewächshaus.

                                                           *

           

          Friedrich Gottlieb Klopstock ( 1724 - 1803)

          Das Rosenband

          Im FrĂĽhlingsschatten fand ich sie,

          Da band ich sie mit Rosenbändern: 

          Sie fĂĽhlt es nicht und schlummerte.  

           

          Ich sah sie an; mein Leben hing

          Mit diesem Blick an ihrem Leben,

          Ich fĂĽhlt es wohl und wusst es nicht.

           

          Doch lispelt ich ihr sprachlos zu

          Und rauschte mit den Rosenbändern:

          Da wachte sie vom Schlummer auf.

           

          Sie sah mich an; ihr Leben hing

          Mit diesem Blick an meinem Leben,

          Und um uns ward's Elysium.

           

          (Elyium = nach der griech. Mythologie der „Himmel“; Ort der Seligen)

     

     

      Friedrich Schiller (1756 - 1805)

      Der Ring des Polykrates (Ideenballade)

      Der Handschuh  (Ideenballade)

     

     

          Justinus Kerner (1786 - 1862)

           An das Trinkglas eines verstorbenen Freundes

           Du herrlich Glas, nun stehst du leer,

          Glas, das er oft mit Lust gehoben;

          Die Spinne hat rings um dich her

          Indes den dĂĽstern Flor gewoben.

           

          Jetzt sollst du mir gefĂĽllet sein

          Mondhell mit Gold der deutschen Reben!

          In deiner Tiefe heil’ gen Schein

          Schau ich hinab mit frommem Beben.

           

          Was ich erschau in deinem Grund,

          Ist nicht Gewöhnlichen zu nennen,

          Doch wird mir klar zu dieser Stund,

          Wie nichts den Freund vom Freund kann trennen.

           

          Auf diesen Glauben, Glas so hold!

          Trink ich dich aus mit hohem Mute.

          Klar spiegelt sich der Sterne Gold,

          Pokal, in deinem teuren Blute.

           

          Still geht der Mond das Tal entlang,

          Ernst tönt die mitternächt'ge Stunde,

          Leer steht das Glas, der heil'ge Klang

          Tönt nach in dem kristallnen Grunde.

     

     

      Eduard Mörike  (1804 - 1875)

      Auf eine Lampe

      Noch unverrückt, o schöne Lampe, schmückest du,

      An leichten Ketten zierlich aufgehangen hier,

      Die Decke des nun fast vergessnen Lustgemachs.

      Auf deiner weiĂźen Marmorschale, deren Rand

      Der Efeukranz von goldengrĂĽnem Erz umflicht,

      Schlingt fröhlich eine Kinderschar den Ringelreihn.

      Wie reizend alles! lachend, und ein sanfter Geist

      Des Ernstes doch ergossen um die ganze Form -

      Ein Kunstgebild der echten Art. Wer achtet sein?

      Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst.

                                                                                           (1846)

     

          Theodor Fontane (1819 - 1898)

          Zeitung

          Wie mein Auge nach dir späht,

          Morgens früh und abends spät.

           

          Die besten Plätze sind alle leer,

          Was noch lebt, gefällt mir nicht mehr.

           

          Aber wie sie mogeln und sich betören,

          Davon mag ich noch gerne hören.

           

          Wie sie sich zanken und sich verhetzen,

          Ist mir gar nicht zu ersetzen.

           

          Stöcker, Hammerstein, Antrag Kanitz

          Edler zu Putlitz und Edler von Planitz,

           

          Liu-Tang und Liu-Tschang,

          Christengemetzel am Jangtsekiang -

           

          Wie sie mogeln und sich betören,

          Davon will ich täglich hören.

           

          Will mir, wenn sie ganz arg es treiben,

          Vor Vergnügen die Hände reiben,

           

          Und will aus dem Leitartikel erfahren

          Die Gedanken des Sultans oder des Zaren.

           

          Vielleicht entbehrt es des rechten Lichts,

          Aber enfin; das schadet nichts,

           

          Im ganzen ist es doch immer noch besser,

          Als ein Weisheitsschnitt mit eignem Messer,

           

          Und nichts kann mich so tief empören,

          Als auf Zeitungsschreiber schimpfen zu hören.

           

          Da stehn sie mit hochgetragnen Nasen:

          “Aus deiner Zeitung - das ist ja zum Blasen,

           

          Die Kerle, die’s schreiben, halb Füchse, halb Hasen.

          Und was sie schreiben, sind elende Phrasen.”

           

          Aber nehmt uns die Phrasen auch nur auf drei Wochen,

          So wird der reine Unsinn gesprochen,

           

          Und du - du suchst wohl krampfhaft zu lachen -

          Du wĂĽrdest keine Ausnahme machen.

     

 

      Conrad Ferdinand Meyer ( 1825 - 1898) 

      Zwei Segel

       Zwei Segel erhellend

      Die tiefblaue Bucht!

      Zwei Segel sich schwellend

      Zu ruhiger Flucht!

       

      Wie eins in den Winden

      Sich wölbt und bewegt,

      Wird auch das Empfinden

      Des andern erregt.

       

      Begehrt eins zu hasten,

      Das andre geht schnell,

      Verlangt eins zu rasten,

      Ruht auch sein Gesell.

     

          Conrad Ferdinand Meyer ( 1825 - 1898) 

          Rom: Springquell

          Es steigt der Quelle reicher Strahl

          Und sinkt in eine schlanke Schal.

          Das dunkle Wasser ĂĽberflieĂźt

          Und sich in eine Muschel gieĂźt.

          Es überströmt die Muschel dann

          Und fĂĽllt ein Marmorbecken an.

          Ein jedes nimmt und gibt zugleich

          Und allesammen bleiben reich,

          Und obs auf allen Stufen quillt,

          So bleibt die Ruhe doch im Bild.

                                                                     (1860)

     

         Conrad Ferdinand Meyer ( 1825 - 1898) 

         Der Brunnen

        In reichem Strahle steigt der Quell

        Und sinkt in eine Muschel hell,

        In eine breite Schale gieĂźt

        Die Muschel was zu viel ihr ist,

        Es überströmt die Schale dann

        Und fĂĽllt ein Marmorbecken an,

        Und alle Stufen bleiben reich,

        Denn jede gibt und nimmt zugleich,

        Und wenn es allenthalben quillt,

        So ist [zuerst: bleibt] es doch ein ruhig Bild.       

                        (1862)

     

            Conrad Ferdinand Meyer ( 1825 - 1898) 

            Der Brunnen

            In einem römischen Garten

            Verborgen ist ein Bronne,

            BehĂĽtet von dem harten

            Geleucht der Mittagssonne,

            Er steigt in schlankem Strahle

            In dunkle Laubesnacht

            Und sinkt in eine Schale

            Und ĂĽbergieĂźt sie sacht.

             

            Die Wasser steigen nieder

            In zweiter Schale Mitte

            Und voll ist diese wieder,

            Sie fluten in die dritte:

            Ein Nehmen und ein Geben,

            Und alle bleiben reich,

            Und alle Fluten leben

            Und ruhen doch zugleich.    

                                                           (1865)

       

       Conrad Ferdinand Meyer ( 1825 - 1898) 

       Der römische Brunnen

      Aufsteigt der Strahl und fallend gieĂźt

      Er voll der Marmorschale Rund,

      Die, sich verschleiernd, ĂĽberflieĂźt

      In einer zweiten Schale Grund;

      Die zweite gibt, sie wird zu reich,

      Der dritten wallend ihre Flut,

      Und jede nimmt und gibt zugleich

             Und strömt und ruht. 

                                                              (1882)

     

     

          Rainer Maria Rilke ( 1875 - 1926)

          Römische Fontäne*

          Borghese

           

          Zwei Becken, eins das andre ĂĽbersteigend

          aus einem alten runden Marmorrand,

          und aus dem oberen Wasser leis sich neigend

          zum Wasser, welches unten wartend stand,

           

          dem leise redenden entgegenschweigend

          und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand,

          ihm Himmel hinter GrĂĽn und Dunkel zeigend

          wie einen unbekannten Gegenstand;

           

          sich selber ruhig in der schönen Schale

          verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis,

          nur manchmal träumerisch und tropfenweis

           

          sich niederlassend an den Moosbehängen

          zum letzten Spiegel, der sein Becken leis

          von unten lächeln macht mit Übergängen.

 

 

      Rainer Maria Rilke ( 1875 - 1926)

      O Brunnen-mund, du gebender, Du Mund,

      der unerschöpfliche Eines, Reines, spricht,

      du, vor des Wassers flieĂźendem Gesicht,

      marmorne Maske. Und im Hintergrund

       

      der Aquädukte Herkunft. Weither an

      Gräbern vorbei, vom Hang des Apennins

      tragen sie dir dein Sagen zu, das dann

      am schwarzen Altern deines Kinns

       

      vorüberfällt in das Gefäß davor.

      Dies ist das schlafend hingelegte Ohr,

      das Marmorohr, in das du immer sprichst.

       

      Ein Ohr der Erde. Nur mit sich allein

      redet sie also. Schiebt ein Krug sich ein,

      so scheint es ihr, dass du sie unterbrichst.

            *

 

        Johannes Trojan  (1837 – 1915)

        Mein Regenschirm

        Einst in ein Wirthshaus kehrt' ich ein

        's war nicht von erstem Range —

        Doch weil vortrefflich war der Wein,

        So trank ich viel und lange.

        Da liess ich beim Nachausegehn

        Den Regenschirm im Winkel stehn.

         

        Ich kam zurĂĽck am Tag darauf,

        Um mir den Schirm zu holen;

        Den Wein auch sucht' ich wieder auf.

        Der gut' sich mir empfohlen.

        Aufs Neu blieb beim Nachhausegehn

        Mein Regenschirm im Winkel steht.

         

        Noch manchen Tag so ging es mir,

        Wenn ich hinkam und zechte.

        Der Wirth war aller Wirthe Zier,

        Der Wein genau der rechte;

        Doch wenn ich ging, blieb an der Wand

        Mein Regenschirm da, wo er stand.

         

        An einem Abend aber, da

        Sich schwarz die Wolken thĂĽrmten,

        Dacht' ich des Schirmes, weil. ich sah,

        Dass Andre sich beschirmten.

        Ich sucht' und suchte hier und dort —

        Vergebens alles! Er war fort.

         

        Da hab' ich bei mir selbst gedacht:

        Mein Schirm ist gutgeartet —

        Hat manchen Tag und manche Nacht

        Umsonst auf mich gewartet.

        Ich schätz' ihn nicht deshalb gering,

        Weil er zuletzt mĂĽd war und ging,

         

        Fortan bin ich in seiner Schuld,

        Der mein mit Langmuth harrte.

        Jetzt ists an mir, dass mit Geduld

        Auf ihn ich pass' und warte.

        Hier will ich bleiben, unbeirrt

        Vertrauend, dass er kommen wird.

         

        Drum wer midi oft hier sitzen sieht

        Auf diesem Platz, der denke:

        Mein Regenschirm ists, der mich zieht,

        Hinein in diese Schenke.

        Und seinetwegen trink ich dann,

        Weil ich nicht dĂĽrstend warten kann.

         

        Schon wieder gehts auf Mitternacht,

        und er ist nicht gekommen!

        Ich sass und trank und hab gewacht

        Zu meines Schirmes Frommen.

        Vielleicht noch kommt er, eh' es Eins — —

        Herr Wirth! Noch einen Schoppen Weins!

              *

 

          Christian Morgenstern  (1871 - 1914)

          Der Rock

          Der Rock, am Tage angehabt,

          er ruht zur Nacht sich schweigend aus;

          durch seine hohlen Ă„rmel trabt

          die Maus.

           

          Durch seine hohlen Ă„rmel trabt

          gespenstisch auf und ab die Maus . . .

          Der Rock, am Tage angehabt,

          er ruht zur Nacht sich aus.

           

          Er ruht, am Tage angehabt,

          im SchoĂź der Nacht sich schweigend aus,

          er ruht, von seiner Maus durchtrabt,

          sich aus.

        *

            Joachim Ringelnatz (1883 . 1934)

            Bumerang

            War einmal ein Bumerang

            War ein weniges zu lang.

            Bumerang flog ein StĂĽck,

            Aber kam nicht mehr zurĂĽck.

            Publikum - noch stundenlang

            Wartete auf Bumerang.

 

 

              Joachim Ringelnatz (1883 . 1934

              Die Schnupftabakdose 

              Es war eine Schnupftabaksdose,

              Die hatte Friedrich der GroĂźe

              Sich selbst geschnitzelt aus Nussbaumholz.

              Und darauf war sie natĂĽrlich stolz.

               

              Da kam ein Holzwurm gekrochen.

              Der hatte Nussbaum gerochen.

              Die Dose erzählte ihm lang und breit

              Von Friedrich dem GroĂźen und seiner Zeit.

               

              Sie nannte den alten Fritz generös.

              Da aber wurde der Holzwurm nervös

              Und sagte, indem er zu bohren begann:

              "Was geht mich Friedrich der GroĂźe an!"

 

 

        Oskar Loerke ( 1884 – 1941)

        Das Segelschiff des Knaben

         

        Es stand im elterlichen Birkenschranke

        Hinter Kram und Glas,

        Aber seine Planke

        War vom Räubermeere naß.

         

        Durch Bauernmohn und Balsaminen

        GlĂĽckselig schwebend, schnitt sein Kiel.

        Ihm nachzustaunen, war im Knabenspiel

        Dein erstes ernstes Dienen.

         

        Und saĂź dein Kinderschopf gefangen

        In Staub- und Schulgeruch -

        Schon wieder: die Matrosen sangen

        Durch das Vokabelbuch.

         

        Und einmal waren alle tot.

        So kam das Schiff gezogen,

        Als um dein ländlich frühes Abendbrot

        Septemberwespen flogen.

         

        Es fuhr, wo es nicht mehr den Wal gelĂĽstet

        Zu schwimmen, aber da bliebst du bei ihm,

        Die Segel brausten, in den Wind gebrĂĽstet,

        Wie Haufen weiĂźer Cherubim.

         

        - Noch fliegt die Wespe. Noch bist du bereit,

        Den alten Segler heimzusteuern

        In dichte, wilde Ewigkeit:

        Du hörst dorther ganz fern Salute feuern.

         

                                 (aus: O. L. Der Silberdistelwald, Berlin 1934)

 

        Oskar Loerke (1884 – 1941)

        Rondell von der Posaune

         

        Die Posaune Ăśkriki

        Spielt der Rotbart im Federvieh.

        Mit dem Rufe Ăśkriki

        Wird die Welt erst die und die.

         

        Kriecht die Sonne Gott ums Knie,

        Mondhorn spricht zu Mondhorn; Flieh.

        Denn posaunend Ăśkriki

        Wird die Welt erst die und die.

         

        Wird der Traum Mythologie,

        Das Geschehen spricht: Geschieh!

        Und die Last zum Schimmel: Zieh’,

        Und zur Last der Schimmel: Nie!

        Und die Welt ist die und die.

                   *

                  (aus: Pansmusik,1916 ; darin: Ländliche Rondelle)

 

      Max Herrmann-Neiße (1886 – 1941)

      Sonett an eine Kerze

       

      Meine Ohnmacht neigt sich dir, du Docht:

      wie du stirbst, wird sie mit dir vergehen.

      Wenn der Fremde mir ans Fenster pocht,

      werd’ ich dich zum letzten Male sehen.

       

      Legt sich Finsternis um meinen Blick,

      nur der Duft von dir verschließt betäubend

      meiner Gruft verlornes Weltgeschick,

      Funkentraum in alle Winde stäubend.

       

      Bist du ausgebrannt, zittert meine Hand

      noch einmal dem Stern am Himmel zu,

      zeichnet in die Luft den geliebten Namen.

       

      SpĂĽrt schon nicht, wie sie den Leuchter zerbricht . . .

      Dann spricht zu verlogener Totenruh

      neuer Kerze Andacht scheinheilig Amen.

       

                         *       (aus dem Lyrikband Herrmann- NeiĂźes: Einsame Stimme, Berlin 1927)

 

        Johann Spratte © (1901 – 1991)

        Dat aule Beld

         

        Hier sĂĽtt man di up Mamme’s Schaut,            )

        un häs n’ Kleidken an.

        De Tiet vogönk, nun bis du graut,

        wau schnell dat kuomen kann!

         

        De Bröers un Süsters, sieben Stück,

        hier up das aule Beld,

        häwwt oalle sick met sturen Blick

        vöern Photokasten stellt.

         

        „Dat Vüelgeken flügg glieks herut,

        nu Kinner, giewet acht!“

        Wi kieken oalle lieke ut,

        häwwt an den Vugel dacht.

         

        Kein VĂĽgelken was wie tun siet,

        fleug woal tou schnell vobi.

        Sau gawwe gönk doahen de Tiet,

        fo mi un auk fo di -

         

                     *

        Vers 1 Hier sieht man dich auf Mamas SchoĂź

        Vers 3 tempus fugit

        Vers 15  gawwe:  schnell

 

    (aus: Johann Spratte, Gelber Wiesenmond, Ausgewählte Gedichte, Lechte Verlag Emsdetten 1980, S. 84 

    Dem Sohn des Autors , Herrn Wido Spratte aus Wallenhorst/ Lechtigen , herzlichen Dank fĂĽr die

    Abdruckerlaubnis – s. a.   In memoriam Johann Spratte.

 

          Johann Spratte © (1901 – 1991)

          Die alte Spieluhr

           

          Diese Spieluhr

          stand bei Menke in Wulfen

          auf dem Speicher.

          Neunzehnhundertvierzehn,

          als der Bräutigam

          von Maria Menke

          in den Krieg gemuĂźt,

          hatten die beiden beim Abschied

          in der Laube hinterm Hause

          gesessen, und noch einmal

          die Spieluhr aufgezogen.

          Es war so still gewesen,

          und Ende August.

          Die Georgien blĂĽhten

          am Gartenzan,

          und die Spieluhr tönte

          das Lied von dem

          treuen Husar,

          von der Wacht am Rhein

          und vom Doktor Eisenbart,

          Der Bräutigam von Maria

          hieĂź August Strakeljahn,

          er fand in Flandern

          den Heldentod.

          Maria, seine Braut,

          starb ein Jahr später

          in treuer Liebe und an Schwindsucht  -

                  *

       aus: Johann Spratte, Gelber Wiesenmond, Ausgewählte Gedichte, Lechte Verlag Emsdetten 1980, S. 32

 

          Johann Spratte © (1901 – 1991)

          Der Chapeauclaque

           

          In der braunen Schachtel

          mit Goldaufdruck:

          „John Mayer, Hoflieferant“

          ein Zylinderhut

          mit Mottenkugelgeruch,

          mit Staub und Vergessenheit.

          Jubiläen, Innungsfeste,

          UmzĂĽge, Beerdigungen,

          Fahnen und Schleifen

          im Wind.

          Eine SchranktĂĽr knarrt

          „Requiem aeternam . . .“

                     *

           

          (aus: Johann Spratte , Zeit der Schwalben. Gedichte, Emsdetten 1975, S. 30)

 

 

            Hans Bender © (* 1919)

            Strohballen

             

            Nicht der berĂĽhmte Beuys,

            irgendein Traktorist

            hat ĂĽber die Stoppelfelder

            so genial sie verteilt.

                       *

 

    Dem Kölner Autor für seine freundliche Abdruckerlaubnis vom 28. 06. 2011 herzlichen Dank und die besten

    WĂĽnsche zum 92. Geburtstag am 01. Juli. Der Vierzeiler stammt aus dem Lyrikband:

    Hans Bender, Wie es kommen wird. Meine Vierzeiler, Carl Hanser Verlag 2009, S. 36

 

 

            Monika Taubitz © (* 1937)

            Stillgelegte Gleise

             

            Die Gleise

            stillgelegt,

            laufen neben mir her.

            Hin und wieder

            zieht eine Schnecke

            ihre schleimige Spur

            gemächlich

            ĂĽber sie hin.

            Eine Botin des Fortschritts.

                                                                

                                                                          

                               Monika Taubitz © (* 1937)

            Die Bahnhofsuhr

             

            Längst schon

            innehielt

            die zeigerlose Uhr

            verlor ihren Auftrag.

            Fiel aus der Zeit.

             

                   *

 

               Monika Taubitz, Im Zug – nebenbei. Gedichte von unterwegs, Neisse Verlag Dresden 2011, S. 3/ 7

                                       s. Sonderseite Monika Taubitz-Gedichte.

 

                                     Kein copyright

     

    Else Lasker-SchĂĽler: Mein blaues Klavier (Ich habe zu Hause ein blaues Klavier)

     (1868 - 1945)           Ein alter Tibetteppich (Deine Seele, die die meine liebet)

     

    Gottfried Benn:        Die Gitter (Die Gitter sind verkettet)

    (1886 - 1956)       Curettage (Nun liegt sie in derselben Pose)

     

    Eugen Roth:              Der Ofen (Ein Mensch, der einen Ofen hat)

    (1895 – 1976)

    GĂĽnter Eich:             Die Häherfeder (Ich bin, wo der Eichelhäher)

    (1907 - 1972)       Tage mit Hähern (Der Häher wirft mir/ die blaue Feder nicht zu)

     

    Albert Hiemer:           Aufzug im Krankenhaus (Die Frau/ drĂĽckt auf den dritten Knopf,)

     (1907 – 1990)           Die Kerze (Sie leuchtet nur so weit/ dass man deine Lippen sieht.)

                     Zigarettenkippe (Auf die StraĂźe geworfen)

         

    Paul Celan:                Sprachgitter (Augenrund zwischen den Stäben)

    (1920 - 1970)         Vor einer Kerze (Aus getriebenem Golde, so/ wie du’s mir anbefahlst, Mutter)

     

    Hans M. Enzensberger: Die Bildzeitung (Du wirst reich sein)

    (* 1929)                       Die ScheiĂźe (Immerzu höre ich von ihr reden)

     

    Robert Gernhardt:      Als er sich auf einem stillen Ă–rtchen befand

     (1937 – 2006)                (Mein Blick fällt aufs/ Toilettenpapier)

                                                                                      

    Thomas Brasch:         Ăśber dem Schreibtisch/ die Karte der Stadt:

    (1945 – 2001)

    Rainer Malkowski     Die Herkunft der Uhr (Die Uhr kommt von der Sonne)

    (1939 - 2003)        Der Automat ( Ich kann nicht leugnen, daĂź mich der Kaugummiautomat...)

 

 

 

 

> Das is ja n Ding!