“... Lesen schadet den Augen! ”

              

        Das Thema  Mensch  im Gedicht

                      

                                   Freie “Themenbearbeitung“:

                     I.

    Dem Schwein ist alles Schwein (Volksmund)

     

    Gnoti sauton - Erkenne dich selbst! (alt-griechische Einsicht)

    Fehlerhafte Ăśbersetzung: Erkenne die Sau in dir!

     

    Die Krone der Schöpfung, das Schwein - der Mensch (Gottfried Benn)

     

    „Es war aber dort am Berg eine groĂźe Herde von Schweinen auf der Weide, und die bösen Geister baten ihn: „Schick uns zu den Schweinen, dass wir in sie hineinfahren! - Jesus gestattete es ihnen.“  (Mk 5, 11)

     

    Das Schreiben und das Lesen, ist nie mein Fach gewesen                                                             

    denn schon von Kindesbeinen, befasst ich mich mit .....  (Johann StrauĂź)

 

    Die Faulen werden geschlachtet - die Welt wird fleiĂźig (Erich Fried)

     

    schweineineineineineineineinE

    grununununununununZen            (Jandls Beobachtungen auf dem Land)

     

    „Ja, wer so ein junges Schwein hätte!  Das schmeckt anders, dabei noch die WĂĽrste.“                                                                                                                                                  (Hans im GlĂĽck)                                                                                                                                        

    Nur Tiere, welche gespaltene Klauen haben und Wiederkäuer sind, darf man essen; verboten sind:                             Kamel, Hase, Schwein. (Speisevorschrift)

     

           „Hund? “  “Ja, Schweinchen?”  - “Hund, darf ich Mama zu dir sagen?“ (Schweinchen Babe)

     

    Diese Stunden - Das Röcheln setzt wieder ein - wie langsam stirbt doch ein Mensch! -

         Es ist der erste Mensch, den ich mit meinen Händen getötet habe,  dessen Sterben mein Werk ist.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                (Remarque)

 

            II.

           

    Ich saz Ă»f eime steine  Walther von der  Vogelweide

    (Ich hatte mich auf einen Stein gesetzt - Adaption Lyrikschadchen)

    Zufall und Wesen (Mensch, werde wesentlich) Angelus Silesius

    Ebenbild unseres Lebens (Der Mensch, das Spiel ...) Andreas Gryphius

    Menschliche Elende (Was sind wir Menschen doch...) Andreas Gryphius

    Der Mensch (Empfangen und  genähret) Matthias Claudius

    Prometheus (Bedecke deinen Himmel, Zeus) Johann W. Goethe

    Wanderers Nachtlied I (Der du von dem Himmel bist) Johann W. Goethe

    Wanderers Nachtlied II (Ăśber allen Gipfeln) Johann W. Goethe

    An den Mond (FĂĽllest wieder Busch und Tal) 1. u 2. Fg. Johann W. Goethe

    Sonett (Wer wusste je das Leben recht zu fassen) August von Platen

    An den Mond (Wandle, wandle, holder Schimmer!) Franz Grillparzer

    Abendlied (Augen. Meine lieben Fensterlein) Gottfried Keller

    Umsonst (Immer rascher fliegt der Funke) Theodor Fontane

    Ja, das möchte ich noch erleben (Eigentlich ist mir alles gleich) Theodor Fontane

    Ecce homo (Ja! Ich weiĂź, woher ich stamme!) Friedrich Nietzsche

    Ballade des äußeren Lebens (Und Kinder wachsen auf … ) Hugo von Hofmannsthal

    Palmström (Pamström steht an einem Teiche) Christian Morgenstern

    In der abendlichen Sonne (Franz Kafka)

    Mamme (De Kinner sind up eenmoal graut) Johann Spratte

    Ovids Metamorphosen (Das war eine andere, schönere Zeit) Hans Bender

    Wie es kommen wird (Bei mir behalten?) Hans Bender

               *

    Kleiner Nachtrag zu der Gedichtform italienischen Ursprungs, die Robert Gernhardt nicht gern hat: Sonett

      Ebenbild unseres Lebens . Auf das gewöhnliche Königs-Spiel.                                                             

      (DEr Mensch das Spiel der Zeit/ spilt weil er allhie lebt)

    (Wie kann man das Schachspiel “gewöhnlich” nennen” Welche Elo-Zahl hat denn Gryphius gehabt, alter Schwede?              Ach ne, Schlesier!)

     

                                 „Mensch, kein copyright!“

    Schöne Jugend (Der Mund eines Mädchens...) Gottfried Benn

    Der Radwechsel (Ich sitze am StraĂźenrand) Bert Brecht

    Überall Jerusalem (Verborgen ist es im Köcher) Nelly Sachs

    Die Ertrunkene (Immer suchst du die Perle am Tage  deiner Geburt verloren)

    VergnĂĽgungen (Der erste Blick aus dem Fenster) Bert Brecht

    Gebirgsrand (Denn was täte ich/ wenn die Jäger nicht wären) Ilse Aichinger

    Genazzano (...am Abend/ winterlich) Marie Luise Kaschnitz

    Ecce Homo (Weniger als die Hoffnung auf ihn) Hilde Domin

    Deutsche Ballade (Das hohe alter der mutter sei/kein grund) Reiner Kunze

    Vor der HaustĂĽr (Manchmal morgens,/ wenn ich vor die haustĂĽr trete) Wulf Kirsten

    Luft (Leichten Atems/ gehen wir) Albert von Schirnding

    BĂĽchner (Die Handwerksburschen/ aus dem Woyzeck) Albert von Schirnding

    Bahnhofsgesindel (Das Bahnhofsgesindel, dreist und schmutzig) Rainer Malkowski

                *

 

        Walther von der Vogelweide (ca. 1170 – 1230)

                                         (1198-1201 - Reichston)

         

        Ich saz ûf eime steine

        und dahte bein mit beine.

        darûf satzt ich den ellenbogen.

        ich hete in mine hant gesmogen

        daz kinne und ein min wange.

        dô dâhte ich mir vil ange,

        wie man zer weite solte leben.

        deheinen rât kond ich gegeben,

        wie man driu dinc erwĂĽrbe,

        der keinez niht verdĂĽrbe.

        diu zwei sint ĂŞre und varnde guot,

        daz dicke ein ander schaden tuot:

        daz dritte ist gotes hulde,

        der zweier ĂĽbergulde.

        die wolte ich gerne in einen schrîn:

        jâ leider des mac niht gesîn,

        daz guot und weltlich ĂŞre

        und gotes hulde mĂŞre

        zesamene in ein herze körnen.

        stîg unde wege sint in benomen:

        untriuwe ist in der sâze,

        gewalt vert ûf der strâze,

        fride unde reht sint sĂŞre wunt.

        diu driu enhabent geleites niht, diu zwei enwerden ĂŞ gesunt.

                              

         

        Nachdenkliches ĂĽber Gott und die Welt 

         

        Ich hatte mich auf einen Stein gesetzt

        Die Beine ĂĽbereinander geschlagen

        Meinen Ellenbogen als StĂĽtze genutzt und

        In meine Hand gelegt

        Das Kinn und eine meiner Wangen.

        Ich dachte sehr intensiv darĂĽber nach

        Wie man auf der Welt vernünftig leben könnte

        Ratlos war ich allerdings

        Wo es darum ging, dreierlei Dinge zusammenzubringen

        Ohne dass eines dabei zu Schaden käme

        Zwei davon sind ein guter Ruf  und materieller Besitz

        Die sich oft in die Quere kommen

        Dazu als drittes das Geschenk der Gnade Gottes

        Das die beiden anderen in den Schatten stellt

        Die hätte ich allesamt gerne gebündelt zusammen

        Aussichtslos! Das wird nie gelingen

        Dass Besitz und Hochachtung der Menschen und

        Obendrein noch Gottes Wohlwollen

        Dass so widersprĂĽchliche Dinge Platz in nur einem Herzen haben

        Adern und Bahnen sind verschlossen

        Fehlende Treue lauert bereits auf die passende Gelegenheit

        Brutale Gewalt – wohin man sich auch bewegt

        Friedenbereitschaft und Rechtslage sind schwer verwundet

        Aber solange diesen beiden niemand zu Hilfe kommt

        Bleibt der Zusammenschluss der genannten Dinge reine Illusion.

         

                        Adaption: Erich Adler ©

           *

    Angelus Silesius (1624 –1677)

     Zufall und Wesen

     Mensch werde wesentlich: denn wann die welt vergeht/

    So faellt der Zufall weg/ das Wesen das besteht.

 

    Angelus Silesius (1624 –1677)

     Der Mensch der macht die Zeit

    Du selber machst die Zeit: das Uhrwerk sind die Sinnen:

    Hemstu die Unruh nur/ so ist die Zeit von hinnen.

 

          *

 

                       Andreas Gryphius (1616 - 1664)

        Ebenbild unseres Lebens. Auff das gewöhnliche Königs-Spiel

        (DEr Mensch das Spil der Zeit/ spilt weil er allhie lebt.)

      

      Andreas Gryphius (1616 - 1664)

      Menschliche Elende

      Was sind wir Menschen doch! Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen,

      Ein Ball des falschen GlĂĽcks, ein Irrlicht dieser Zeit,

      Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,

      Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.

      Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.

      Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid

      Und in das Totenbuch der groĂźen Sterblichkeit

      Längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.

      Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt,

      So muss auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden.

      Was itzund Atem holt, muss mit der Luft entfliehn,

      Was nach uns kommen wird, wird uns ins Grab nachziehn.

      Was sag ich? Wir vergehn wie Rauch von starken Winden.   

                                                                                                   (1637)

     

    Matthias Claudius (1740 – 1815)

    Der Mensch

     Empfangen und genähret

    Vom Weibe wunderbar

    Kömmt er und sieht und höret

    Und nimmt des Trugs nichts wahr;

    GelĂĽstet und begehret,

    Und bringt sein Tränlein dar;

    Verachtet und verehret,

    Hat Freude und Gefahr;

    Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,

    Hält nichts und alles wahr;

    Erbauet und zerstöret;

    Und quält sich immerdar;

    Schläft, wachet, wächst und zehret;

    Trägt braun und graues Harr

    Und alles dieses währet,

    Wenn’s hoch kommt, achtzig Jahr.

    Dann legt er sich zu seinen Vätern nieder,

    Und er kömmt nimmer wieder.

                                                                 (1783)

                                 * 

          Anna Louisa Karsch (1722-1791)

          Belloisens Lebenslauf

          Ich ward geboren ohne feierliche Bitte

          Des Kirchspiels ohne Priesterflehn

          Hab ich in strohbedeckter HĂĽtte

          Das erste Tageslicht gesehn,

          Wuchs unter Lämmerchen und Tauben

          Und Ziegen bis ins fĂĽnfte Jahr,

          Und lernt' an einen Schöpfer glauben,

          Weil's Morgenroth so lieblich war,

          So grĂĽn der Wald, so bunt die Wiesen,

          So klar und silberschön der Bach.

          Die Lerche sang fĂĽr Belloisen,

          Und Belloise sang ihr nach.

          Die Nachtigall in Eisensträuchen

          Erhub ihr sĂĽĂźes Lied, und ich

          WĂĽnscht' ihr im Tone schon zu gleichen.

          Hier fand ein alter Vetter mich

          Und sagte: du sollst mit mir gehen.

          Ich ging und lernte bald bei ihn

          Die BĂĽcher lesen und verstehen,

          Die unsern Sinn zum Himmel ziehn.

          Vier Sommer und vier Winter flogen

          Zu sehr beflĂĽgelt uns vorbei;

          Des Vetters Arm ward ich entzogen

          Zu einer Bruderwiege neu.

          Als ich den Bruder groĂź getragen,

          Trieb ich drei Rinder auf die Flur,

          Und pries in meinen Hirtentagen

          Vergnügt die Schönheit der Natur,

          Ward frĂĽh ins Ehejoch gespannet,

          Trugs zweimal nach einander schwer,

          Und hätte mich wol nichts ermannet,

          Wenn's nicht den Musen eigen war,

          Im UnglĂĽck und in bittern Stunden

          Dem beizustehn, der ihre Huld

          Vor der Geburt schon hat empfunden.

          Sie gaben mir Muth und Geduld,

          Und lehreten mich Lieder dichten,

          Mit kleinen Kindern auf dem SchooĂź.

          Bei Weib- und Magd- und Mutterpflichten,

          Bei manchem Kummer, schwer und groĂź,

          Sang ich den König und die Schlachten,

          Die Ihm und seiner Heldenschaar

          Unsterblichgrüne Kränze brachten,

          Und hatte noch manch saures Jahr,

          Eh frei von andrer Pflichten Drang

          Mir Tage wurden zu Gesang!

                                             *

       

        Johann W. Goethe (1749 –1832)

         Prometheus

         Bedecke deinen Himmel, Zeus

        Mit Wolkendunst!

        Und ĂĽbe, Knaben gleich,

        Der Disteln köpft,

        An Eichen dich und Bergeshöhn!

        MuĂźt mir meine Erde

        Doch lassen stehn,

        Und meine HĂĽtte,

        Die du nicht gebaut,

        Und meinen Herd,

        Um dessen Glut,

        Du mich beneidest.

         

        Ich kenne nichts Ärmer’s

        Unter der Sonn†als euch Götter.

        Ihr nähret kümmerlich

        Von Opfersteuern

        Und Gebetshauch

        Eure Majestät

        Und darbet, wären

        Nicht Kinder und Bettler

        Hoffnunsgvolle Toren.

         

        Da ich ein Kind war,

        Nicht wuĂźtâ€, wo aus, wo ein,

        Kehrte mein verirrtes Augâ€

        Zur Sonne, als wenn drĂĽber wärâ€

        Ein Ohr, zu hören meine Klage,

        Ein Herz wie meins,

        Sich des Bedrängten zu erbarmen.

         

        Wer half mir wider

        Der Titanen Ăśbermut?

        Wer rettete vom Tode mich,

        Von Sklaverei?

        Hast du nicht alles selbst vollendet,

        Heilig glĂĽhend Herz?

        Und glĂĽhtest, jung und gut,

        Betrogen, Rettungsdank

        Dem Schlafenden dadroben?

         

         Ich dich ehren? WofĂĽr?

        Hast du die Schmerzen gelindert

        Je des Beladene?

        Hast du die Tränen gestillet

        Je des Geängsteten?

        Hat nicht mich zum Manne geschmiedet

        Die allmächtige Zeit

        Und das ewige Schicksal,

        Meine Herrn und deine?

         

        Wähntest du etwa,

        Ich sollte das Leben hassen,

        In WĂĽsten fliehn,

        Weil nicht alle Knabenmorgen-

        Blütenträume reiftem?

         

        Hier sitz†ich, forme Menschen

        Nach meinem Bilde,

        Ein Geschlecht, das mir gleich sei,

        Zu leiden, weinen,

        GenieĂźen und zu freuen sich,

        Und dein  nicht zu achten,

        Wie ich.

                                              (1774)  

 

      Johann Wolfgang von . Goethe (1749 –1832)

     Wanderers Nachtlied I

     Der du von dem Himmel bist,

    Alles Leid und Schmerzen stillest,

    Den, der doppelt elend ist,

    Doppelt mit Erquickung fĂĽllest,

    Ach, ich bin des Treibens mĂĽde,

    Was soll all der Schmerz und Lust?

    SĂĽĂźer Friede,

    Komm, ach komm in meine Brust!

                                                               (1776)

       

        Johann Wolfgang von . Goethe (1749 –1832)

        Wanderers Nachtlied II (Ein Gleiches) 

        Ăśber allen Gipfeln

        Ist Ruh,

        In allen Wipfeln

        SpĂĽrest du

        Kaum einen Hauch;

        Die Vögelein schweigen im Walde.

        Warte nur, balde

        Ruhest du auch.

                (1780/ 1815)

     

           Johann W. Goethe  (1749 - 1832)

          An den Mond  

          Erste Fassung  (ca. 1776/1778)

            

          Füllest wieder’ s liebe Tal

          Still mit Nebelglanz,

          Lösest endlich auch einmal    

          Meine Seele ganz. 

          Breitest ĂĽber mein Gefild

          Lindernd deinen Blick  

          Wie der Liebsten Auge, mild

          Ăśber mein Geschick.     

          Das du so beweglich kennst,

          Dieses Herz im Brand,

          Haltet ihr wie ein Gespenst

          An den Fluss gebannt,

          Wenn in öder Winternacht

          Er vom Tode schwillt

          Und bei  FrĂĽhlingslebens Pracht

          An den Knospen quillt.

           

          Selig, wer sich vor der Welt

          Ohne Hass verschlieĂźt,

          Einen Mann am Busen hält

          Und mit dem genieĂźt.         

          Was den Menschen unbewusst   

          Oder wohl veracht’  

          Durch das Labyrinth der Brust    

          Wandelt in der Nacht.

     

        Johann W.olfgang, der FleiĂźige (1749 - 1832)

        An den Mond

        Spätere Fg. -Datierung unklar; nach der Italienreise?; veröffentlicht 1789)

     

        FĂĽllest wieder Busch und Tal 

        Still mit Nebelglanz,

        Lösest endlich auch einmal

        Meine Seele ganz;

        Breitest ĂĽber mein Gefild 

        Lindernd deinen Blick,

        Wie des Freundes Auge mild

        Ăśber mein Geschick.

         

       

               Jeden Nachklang fĂĽhlt mein Herz

        Froh - und trĂĽber Zeit,

        Wandle zwischen Freud' und Schmerz

        In der Einsamkeit. 

                FlieĂźe, flieĂźe, lieber Fluss!

        Nimmer werd' ich froh,   

        So verrauschte Scherz und Kuss, 

        Und die Treue so.

                 Ich besaĂź es doch einmal,

        Was so köstlich ist! 

        Dass man doch zu seiner Qual

        Nimmer es vergisst!

         

               Rausche, Fluss, das Tal entlang,

        Ohne Rast und Ruh,

        Rausche, flĂĽstre meinem Sang  

        Melodien zu.

                   

               Wenn du in der Winternacht

        WĂĽtend ĂĽberschwillst,

        Oder um die FrĂĽhlingspracht

        Junger Knospen quillst.

         

        Selig, wer sich vor der Welt

        Ohne Hass verschlieĂźt,

        Einen Freund am Busen hält

        Und mit dem genieĂźt,

         

        Was, von Menschen nicht gewusst

        Oder nicht bedacht,

        Durch das Labyrinth der Brust

        Wandeln in der Nacht.

          *

 

        Franz Grillparzer (1791 – 1872)

        An den Mond

        Wandle, wandle, holder Schimmer!

        Wandle ĂĽber Flur und Au,

        Gleitend, wie ein kĂĽhner Schwimmer,

        In des stillen Meeres Blau.

         

        Sanft im Silberglanze schwebest

        Du so still durchs Wolkenmeer,

        Und durch deinen Blick belebest

        Du die Gegend rings umher.

         

        Manchen drĂĽcket schwerer Kummer,

        Manchen lastet Qual und Pein;

        Doch du wiegst in sanften Schlummer

        Tröstend ihn, voll Mitleid, ein.

         

        Sanfter, als die heiĂźe Sonne,

        Winkt dein Schimmer Ruh und Freud,

        Und erfĂĽllt mit sĂĽĂźer Wonne,

        Tröstung und Vergessenheit.

         

        HĂĽllst in dichtbewachsnen Lauben

        Mit der sanften Phantasie

        Ganz den Dichter; machst ihn glauben,

        Seine Muse weiche nie.

         

        Und auch mich hast du begeistert,

        Der ich dir dies Liedchen sang,

        Meiner Seele dich bemeistert,

        Da mein Lied sich aufwärts schwang!

                                                         [14. August 1804]

              *

 

          August von Platen  (1796—1835)

          Sonett

          Wer wusste je das Leben recht zu fassen,

          Wer hat die Hälfte nicht davon verloren

          Im Traum, im Fieber, im Gespräch mit Toren,

          In Liebesqual, im leeren Zeitverprassen?

           

          Ja, der sogar, der ruhig und gelassen,

          Mit dem Bewusstsein, was er soll, geboren,

          FrĂĽhzeitig einen Lebensgang erkoren,

          Muss vor des Lebens Widerspruch erblassen.

           

          Denn jeder hofft doch, dass das GlĂĽck ihm lache,

          Allein das GlĂĽck, wenns wirklich kommt, ertragen,

          Ist keines Menschen, wäre Gottes Sache.     

           

          Auch kommt es nie, wir wĂĽnschen bloĂź und wagen:

          Dem Schläfer fällt es nimmermehr vom Dache,

          Und auch der Läufer wird es nicht erjagen.

 

                            

      Nikolaus Lenau (1802 – 1850)

      Trauer

      Blumen, Vögel, duftend, singend,

      Seid doch nicht so ausgelassen,

      UngestĂĽm ans Herz mir dringend;

      Lasst allein mich ziehn die StraĂźen!

       

      Vieles ist vorĂĽbergangen,

      Seit wir uns zuletzt begegnet,

      Und es hat von meinen Wangen

      Meines GlĂĽckes Herbst geregnet.

       

      Winter kam hereingeschlichen

      In mein Herz, die Tränen starben,

      Und schneeweiĂź sind mir erblichen

      Alle grĂĽnen Hoffnungsfarben.

       

      Blumen, Vögel, rings im Haine

      All ihr frohen Bundgenossen,

      Mahnt mich nicht, dass ich alleine

      Bin vom FrĂĽhling ausgeschlossen!

 

 

          Theodor Fontane (1819 - 1898)

           Umsonst

           Immer rascher fliegt der Funke,

          Jede Dschunke und Spelunke

          Wird auf Wissenschaft bereist,

          Jede Sonne wird gewogen,

          Und in Rechnung selbst gezogen,

          Was noch sonnenjenseits kreist.

           

          Immer höh’re Wissenstempel,

          Immer richt’ger die Exempel,

          Wie Natur es drauĂźen treibt,

          Immer klĂĽger und gescheiter,

          Und wir kommen doch nicht weiter,

          Und das Lebensrätsel bleibt.

     

    Theodor Fontane (1819 - 1898)

    Ja, das möchte ich noch erleben

     Eigentlich ist mir alles gleich,

    Der eine wird arm, der andre wird’s reich,

    Aber mit Bismark - was wird das noch geben?

    Das mit Bismark, das möchte ich noch erleben.

     

            Eigentlich ist alles sososo,

            Heute traurig, morgen froh,

            FrĂĽhling, Sommer, Herbst und Winter,

            Ach es ist nicht viel dahinter.

            Aber mein Enkel, so viel ist richtig.

            Wird mit Nächstem vorschulpflichtig.

            Und in etwa vierzehn Tagen

            Wird er eine Mappe tragen,

            Löschblätter will ich ins Heft ihm kleben -

            Ja, das möchte ich noch erleben.

 

            Eigentlich ist alles nichts,

            Heute hälts und morgen brichts,

            Hin stirbt alles ganz geringe

            Wird der Wert der ird’schen Dinge;

            Doch wie tief herabgestimmt

            Auch das WĂĽnschen Abschied nimmt,

            Immer klingt es noch daneben;

            Ja, das möchte ich noch erleben.

                             *

 

            Friedrich Nietzsche (1844 – 1900)

            Ecce homo

            Ja!  Ich weiĂź, woher ich stamme!

            Ungesättigt gleich der Flamme

            GlĂĽhe und verzehr ich mich.

            Licht wird alles, was ich fasse,

            Kohle alles, was ich lasse:

            Flamme bin ich sicherlich.

                                                           (1882)

 

 

        Christian Morgenstern (1871  - 1914)

        Palmström

        Pamström steht an einem Teiche

        Und entfaltet groĂź ein rotes Taschentuch:

        Auf dem Tuch ist eine Eiche

        Dargestellt, sowie ein Mensch mit einem Buch.

         

        Palmström wagt nicht sich hineinzuschneuzen –

        Er gehört zu jeden Käuzen,

        Die oft unvermittelt-nackt

        Ehrfurcht vor dem Schönen packt.

         

        Zärtlich faltet er zusammen,

        Was er eben erst entbreitet,

        Und kein FĂĽhlender wird ihn verdammen,

        Weil er ungeschneuzt entschreitet.

            *

 

          Hugo von Hofmannsthal (1874 – 1929)

          Ballade des äußeren Lebens

          Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen,

          Die von nichts wissen, wachsen auf uns sterben,

          Und alle Menschen gehen ihre Weg.

           

          Und sĂĽĂźe FrĂĽchte werden aus den herben

          Und fallen nachts wie tote Vögel nieder

          Und liegen wenig Tage und verderben.

           

          Und immer weht der Wind, und immer wieder

          Vernehmen wir und reden viele Worte

          Und spĂĽren Lust und MĂĽdigkeit der Glieder.

           

          Und StraĂźen laufen durch das Gras, und Orte

          Sind da und dort, voll Fackeln, Bäumen, Teichen,

          Und drohende, und totenhaft verdorrte. . .

           

          Wozu sind diese aufgebaut? und gleichen

          Einander nie? und sind unzählig viele?

          Was wechselt Lachen, Weinen und Erbleichen?

           

          Was frommt das alles uns und diese Spiele,

          Die wir doch groĂź und ewig einsam sind

          Und wandernd nimmer suchen irgend Ziele?

           

          Was frommts, dergleichen viel gesehen haben?

          Und dennoch sagt der viel, der »Abend« sagt,

          Ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt

           

          Wie schwerer Honig aus den hohlen Waben.  

                            (1895 ?)

                       

       

            Franz Kafka (1883 – 1924)

            In der abendlichen Sonne

            sitzen wir gebeugten RĂĽckens

            auf den Bänken in dem Grünen.

            Unsre Arme hängen nieder,

            unsere Augen blinzeln traurig.

             

            Und die Menschen gehn in Kleidern

            schwankend auf dem Kies spazieren

            unter diesem groĂźen Himmel,

            der von HĂĽgeln in der Ferne

            sich zu fernen HĂĽgeln breitet.

                                                                     (vor 1907)

                *

                 

        Oskar Loerke (1884 – 1941)

        Lebensschiff

                Nachts vom 22. zum 25. November 1939

         

        Die Einsamkeit, das Ungeheuer,

        Die sie durchfliehen, die Gedanken,

        Sind nur geliehen wie die Planken

        Am FuĂź, zu Kopf die Irrwischfeuer.

         

        Das Lebensschiff ist nicht mein eigen,

        Jedoch die Flut in mir, die Riffe:

        Drum werde ich zum SchluĂź dem Schiffe

        Selbst nicht als letzter Mann entsteigen.

         

        Kann meine Nacht nur Nächte sichten

        Bei Seegedonner, Kettenjammern?

        Kann meine Hand kein Mensch umklammern ?

        Es pfeift und widerhallt: mitnichten!

         

        In dieser Mittnacht krähen Hähne,

        Wie wärmste Lande sie nicht brüten,

        Die sich von Drüben herbemühten —

        Sie krähn vom Mast dem Kapitäne:

         

        »Da sind wir! bunte Fahngesellen!

        Wo sind die ändern ? die Matrosen ?

        Du wirst kein beĂźres Los erlosen!

        Wer FlĂĽgel hat, wird nicht zerschellen.

         

        Du hast sie nicht? und muĂźt es bĂĽĂźen ? -

        Du hast sie! LaĂź dich nicht verwirren!

        Wir mĂĽssen eilen, und wir schwirren,

        Dich bei uns drüben zu begrüßen.«

         

                         *

 

          Johann Spratte © (1901 – 1991)

          Mamme

           

          De Kinner sind up eenmoal graut,

          se loupet in de Welt,

          un seiten doach up minen Schaut,

           un häwwet wat votellt.

           

          De Tiet vogönk bi düt und dat,

          met Kretten un Hanteen,

          nu goaht se oalle iähren Pad,

          un ick bin gans alleen.

           

          Dat Liäben is up eenmoal still,

          un luurig is de Dag.

          Is nicks, wat sick noa reugen will,

          äs blaut de Klockensöag.

           

          Doach manges, nachts, wenn oalles slöp,

          dann kümp et mi sau vör,

          oas wänn in’n Düstern eener röp

          doar buten vo de Döer.

             

    aus:

    Johann Spratte, Gelber Wiesenmond. Ausgewählte Gedichte. Lechte Verlag Emsdetten 1980 S. 85

    Ich danke ganz herzlich  dem Sohn des Autors, Herrn Wido Spratte, Wallenhorst/ Lechtingen, fĂĽr die

    freundliche Abdruckerlaubnis;  Februar 2011. -  s.a.   In memoriam Johann Spratte -

 

 

            Hans Bender © (* 1919)

            Ovids Metamorphosen

             

            Das war eine andere, schönere Zeit.

            Weiter und heller waren die Räume.

            Die Menschen, die Helden starben nicht:

            wurden verwandelt in Blumen, in Bäume.

 

 

              Hans Bender (* 1919)

              Wie es kommen wird

              Bei mir behalten?

              Oder weitersagen?

              Du wirst alt sein

              und wie Hiob klagen.

 

   Ich danke Hans Bender sehr herzlich fĂĽr die Abdruckerlaubnis dieses Vierzeilers  (Köln, Sept. 2008) -

                 s. Dichter – Handwerk – Herbst - Glaube – Liebe – Mensch - veröffentlicht auch in:

   AKZENTE. Zeitschrift fĂĽr Literatur, hrsg.  von Michael KrĂĽger Carl Hanser Verlag Juni 2008  und in:

                 Hans Bender, Wie es kommen wird. Meine Vierzeiler, Hanser Verlag 2009, S. 26 und 67

                 *

 

        Erich Adler ©

        Und tauscht den Blick …

         Nach dreiĂźig Jahren Tisch und Bett

        erschreckt morgens die Frage:

        Kennst du eigentlich

        Einsamkeit

         

        Ich streiche die Brösel vom Tisch

        schiebe meiner Frau den Brotkorb in die Hand

         

        Mit meiner Überraschung im Zwiegespräch

        wandert die Frage

        zu den sinkenden  Nachrichten der Zeitung

         

        Ăśber die Kaffeetasse hinweg geschaut

        tröpfelt Milch

        Ja - lache ich:

        Einsamer noch

        als  Gottfried  Benn im

        August.

 

 

          Erich Adler ©

          Ins Album

                                                     FĂĽr Maren Th.

           

          Bewahre dir deine Träume

          deine Wolken

          und in allen Märchen die dir lieb sind

          den Wegweiser 

          zu den Menschen und

          ihren verwunschenen

          Herzen.      

                                                                                                                                                                

                                                  

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