“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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        Gedicht-Motiv Tiere

 

      Der von Kürenberg   (österr. Ritter  um 1160/70) 

      (Falkenlied)

      Ich zôch mir einen valken mêre danne ein jâr.

      dô ich in gezamete als ich in wolte hân            

      und ich im sîn gevidere mit golde wol bewant,   

      er huop sich uf vil hôhe und vlouc in anderiu lant.

       

      Sît sach ich den valken schône vliegen,     

      er vuorte an sinem vuoze sîdîne riemen,

      und was im sîn gevidere alrôt guldîn.

      got sende sî zesamene, die gelieb wellen gerne sîn!  

       

       

      Ich zog mir einen Falken groß – wohl länger als ein Jahr.

      Als  er dann so zahm war, wie ich ihn haben wollte,

      und ihm seine Federn mit Goldbändern geschmückt,

      erhob er sich sogleich und flog in unbekannte Ferne.

       

      Ja einmal sah ich seitdem den Falken frei in der Luft.

      An seinem Fuße hingen nun sogar Bänder aus Seide

      und sein Gefieder schimmerte über und über rotgolden.

      Gott, führe doch all jene zusammen, die für einander bestimmt sind.

 

                                                                                            Adaption: Lyrikschadchen © 2007

                                        *

      Martin Opitz von Boberfeld (1597 – 1636)

      Grabschrift eines Hundes

       

      Die Diebe lieff ich an / den Buhlern schwig ich stille /

      So ward vollbracht deß Herrn vnd auch der Frawen wille.

 

             *

        Christian Gryphius (1649 – 1706)

        Auf einen angenehmen Hund

        GAlantel / welch ein Glück hat seine Frau erfreuet/

            GAlantel  / welchem sich kein Sirius vergleicht  ( Sirius = Stern)

            GAlantel / der den Preiß der Trefflichkeit erreicht /

        GAlantel /  dem die Gunst der Sternen viel verleihet /

        GAlantel / den man izt mit Majoran bestreuet /

            GAlantel / der den Schwanz oft an den Teppich streicht /

            GAlantel / welcher nicht dem grösten Mopsus weicht /

        GAlantel / dessen Zahn ein geiler Buhler scheuet.

          Wo / Phöbe / werther Hund / die Augen auf dir hat /

            So kränket deinen Fuß kein schnelles Wagen-Rad /

        Doch hütte dich vor dem / den wir den Pluto heissen:

            Du kommst / so schön du bist / den Katzen ziemlich bey /

            Drumb möchte dermaleinst dich in der Raserey

        Der Cerberus sein Hund statt einer Katz’ erbeissen.

     

             *

 

    Barthold Heinrich Brockes (1680 – 1747)

    Die Nachtigall /

    und derselben Wett-Streit gegen einander.

     

    Es rührt zu dieser Zeit das Inn're meiner Selen

    Der Büsche Königinn / die holde Nachtigall /

    Die / aus so enger Brust / und mit so kleiner Kehlen /

    Die grösten Wälder füllt durch ihren Wunder-Schall.

    Derselben Fertigkeit / die Kunst / der Fleiß / die Stärke /

    Veränd'rung / Stimm' und Ton sind lauter Wunder-Werke

    Der wirkenden Natur / die solchen starken Klang

    In ein par Federchen / die kaum zu sehen / senket/

    Und einen das Gehör bezaubernden Gesang

    In solche dünne Haut und zarten Schnabel schrenket.

    Ihr Hälsgen ist am Ton so unerschöpflich reich /

    Daß sie tief/ hoch / gelind und stark auf einmal singet.

    Die kleine Gurgel lockt und zischt und pfeift zugleich /

    Daß sie / wie Quellen rauscht / wie tausend Glocken klinget.

    Sie zwitschert/ stimmt und schläg't mit solcher Anmuht an/

    Mit solchem nach der Kunst gekräuselten Geschwirre /

    Daß man darob erstaunt / und nicht begreifen kann /

    Ob sie nicht seufzend lach' / ob sie nicht lachend girre.

    Ihr Stimm'chen ziehet sich in einer holen Länge

    Von unten in die Höh / fällt / steigt aufs neu' empor /

    Und schwebt nach Maß und Zeit; bald drängt sich eine Menge

    Verschied'ner Tön' aus ihr/als wie ein Strom / hervor.

    Sie dreht und dehnt den Ton / zerreisst und füg't ihn wieder;

    Singt sanft / singt ungestüm / bald klar / bald grob / bald hell.

    Kein Pfeil verfliegt so rasch; kein Blitz verstreicht so schnell;

    Die Winde können nicht so streng' im Stürmen wehen /

    Als ihre schmeichelnde verwunderliche Lieder/

    Mit wirbelndem Geräusch / sich ändern / sich verdrehen.

    Ein flötend Glucken quillt aus ihrer holen Brust;

    Ein murmelnd pfeifen labt der stillen Hörer Herzen.

    Doch dieß verdoppelt noch und mehrt die frohe Lust /

    Wenn etwan ihrer zwo zugleich zusammen scherzen.

    Die singt/wenn jene ruft; wann diese lockt/ singt jene

    Mit solch-anmuhtigem bezaubernden Getöne;

    Daß diese wiederum / aus Miß-Gunst / als ergrimmt /

    In einen ändern Ton die schlanke Zunge stimmt.

    Die andre horcht indeß / und lauscht / voll Unvergnügen /

    Ja fängt / zu ihres Feinds und Gegen-Sängers Hon /

    Um / durch noch künstlichem Gesang ihn zu besiegen /

    Von neuem wieder an / in solchem scharfen Ton /

    Mit solchem feurigen empfindlich-hellem Klang /

    Mit solch gewaltigen oft wiederholtem Schlagen /

    Daß / so durchdringenden und heftigen Gesang /

    Das menschliche Gehör kaum mächtig zu ertragen.

    Wer nun so süssen Ton im frohen Frühling' hört /

    Und nicht des Schöpfers Macht/voll Brunst und Andacht/ehrt/

    Der Luft Beschaffenheit / das Wunder unsrer Ohren /

    Bewundernd nicht bedenkt; ist nur umsonst gebohren /

    Und folglich nicht der Luft / nicht seiner Ohren / wehrt.

                        (1721)

                          *

      Matthias Claudius (1740 – 1815)

      Als der Hund tot war

      Alard ist hin, und meine Augen fließen

      Mit Tränen der Melancholie!

      Da liegt er tot zu meinen Füßen!

      Das gute Vieh!

       

      Er tat so freundlich, klebt' an mich wie Kletten,

      Noch als er starb an seiner Gicht.

      Ich wollt ihn gern vom Tode retten,

      Ich konnte nicht.

       

      Am Eichbaum ist er oft mit mir gesessen,

      In stiller Nacht mit mir allein;

      Alard, ich will dich nicht vergessen,

      Und scharr dich ein,

       

      Wo du mit mir oft saß'st, bei unsrer Eiche,

      Der Freundin meiner Schwärmerei. —

      Mond, scheine sanft aufseine Leiche!

      Er war mir treu.

          *

    Johann Wolfgang Goethe (1749 – 1832)

    Brief an Johann Jakob Riese

    (Ich lebe hier …ohngefähr)

     

    So wie ein Vogel, der auf einem Ast

    Im schönsten Wald sich Freiheit atmend wiegt,

    Der ungestört die sanfte Lust genießt,

    Mit seinen Fittichen von Baum zu Baum,

    Von Busch zu Busch sich singend hinzuschwingen.

     

            *

 

    Heinrich Heine ( 1797 – 1856)

    Dass ich dich liebe, o Möpschen,

    Das ist dir wohlbekannt.

    Wenn ich mit Zucker dich füttre,

    So leckst du mir die Hand.

     

    Du willst auch nur ein Hund sein,

    Und willst nicht scheinen mehr;

    All’ meine übrigen Freunde

    Verstellen sich zu sehr.

     

          *

      Wilhelm Busch (1832 –1908)

      Es sitzt ein Vogel auf dem Leim,

      Er flattert sehr und kann nicht heim.

      Ein schwarzer Kater schleicht herzu,

      Die Krallen scharf, die Augen gluh.

      Am Baum hinauf und immer höher

      Kommt er dem armen Vogel näher.

       

      Der Vogel denkt: Weil das so ist

      Und weil mich doch der Kater frißt,

      So will ich keine Zeit verlieren,

      Will noch ein wenig quinquilieren

      Und lustig pfeifen wie zuvor.

      Der Vogel, scheint mir, hat Humor.

                                                               (1874)

          *

 

    Augustin Wibbelt (1862 - 1947)

    Dat Pöggsken

    Pöggsken sitt in'n Sunnenschien, (= Fröschchen)

    O, wat is dat Pöggsken fien

    Met de gröne Bücks!

    Pöggsken denkt an nicks.

     

    Kümp de witte Gausemann, (= Gänserich)

    Hät so raude Stiewweln an,

    Mäck en graut Gesnater,

     

    Hu, wat fix

    Springt dat Pöggsken met de Bücks,

    Met de schöne gröne Bücks,

    Met de Bücks in't Water!

     

                                   A. W., Mäten-Gaitlink. Gedichte in münsterländer Mundart, 1991 (7)  S. 96

 

    Augustin Wibbelt (1862 - 1947)

    De Snieggel                            (= Schnecke)

    Snieggel wull up Reisen gaohen

    Lait sin Hus nich gähne staoen

    Dach: Süß kümp de Mus,

    Krüpp sick in min Hus,

    Oder auk de Igel,

     Sine Frau nich minner

    Un dann all sin‘ Kinner

    Also dach de kloke Snieggel.

 

    Wull so gähn up Reisen gaohen –

    Wat hät Snieggel daohen?

    Namm dat Hus up’n Nacken,

    Mok sick met den ganzen Packen 

    Up de Hacken.

    Dach: Man kann jä lanksam gaohen,

    Sin ick möde, blief ick staohen;

    Mäck dat Wiädder Sus un Brus,

    Sin ick faots to Hus.

      *                              A.W. Mäten-Gaitlink, S. 94f

 

          Christian  Morgenstern (1871 – 1914)

          Das Huhn

          In der Bahnhofshalle, nicht für es gebaut,

          geht ein Huhn

          hin und her  . . .

          Wo, wo ist der Herr Stationsvorsteh’ r?

          Wird dem Huhn

          Man nichts tun?

          Hoffen wir es! Sagen wir es laut:

          Daßihm unsre Sympathie gehört,

          selbst an dieser Stätte, wo es - >stört<!

                            *

           

          Christian  Morgenstern ( 1871 – 1914)

           Fisches Nachtgesang

                  -

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                   -

           

     

          Christian  Morgenstern ( 1871 – 1914)

          Möwenlied

          Die Möwen sehen alle aus,

          als ob sie Emma hießen.

          Sie tragen einen weißen Flaus

          Und sind mit Schrot zu schießen.

           

          Ich schieße keine Möwe tot,

           ich laß sie lieber leben –

          und füttre sie mit Roggenbrot

          und rötlichen Zibeben 1.                 1 = Rosinen

           

          O Mensch, du wirst nie nebenbei

          Der Möwe Flug erreichen.

          Wofern du Emma heißest, sei

          Zufrieden, ihr zu gleichen.

              *

 

        Rainer Maria Rilke (1875 – 1926) 

        Papageien-Park

        Jardin des Plantes, Paris

         UNTER türkischen Linden, die blühen, an Rasenrändern

        in leise von ihrem Heimweh geschaukelten Ständern

        atmen die Ara und wissen von ihren Ländern,

        die sich, auch wenn sie nicht hinsehn, nicht verändern.

         

        Fremd im beschäftigten Grünen wie eine Parade,

        zieren sie sich und fühlen sich selber zu schade,

        und mit den kostbaren Schnäbeln aus Jaspis und Jade

        kauen sie Graues, verschleudern es, finden es fade.

         

        Unten klauben die duffen Tauben, was sie nicht mögen,

        während sich oben die höhnischen Vögel verbeugen

        zwischen den beiden fast leeren vergeudeten Trögen.

         

        Aber dann wiegen sie wieder und schläfern und äugen,

        spielen mit dunkelen Zungen, die gerne lögen,

        zerstreut an den Fußfesselringen. Warten auf Zeugen.

 

                                                                    (Herbst 1907/Paris  oder Frühjahr 1908/Capri)

 

      Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)

      Delphine

       JENE Wirklichen, die ihrem Gleichen

      überall zu wachsen und zu wohnen

      gaben, fühlten an verwandten Zeichen

      Gleiche in den aufgelösten Reichen,

      die der Gott, mit triefenden Tritonen,

      überströmt bisweilen übersteigt;

      denn da hatte sich das Tier gezeigt:

      anders als die stumme, stumpfgemute

      Zucht der Fische, Blut von ihrem Blute

      und von fern dem Menschlichen geneigt.

       

      Eine Schar kam, die sich überschlug,

      froh, als fühlte sie die Fluten glänzend:

      Warme, Zugetane, deren Zug

      wie mit Zuversicht die Fahrt bekränzend,

      leichtgebunden um den runden Bug

      wie um einer Vase Rumpf und Rundung,

      selig, sorglos, sicher vor Verwundung,

      aufgerichtet, hingerissen, rauschend

      und im Tauchen mit den Wellen tauschend

      die Trireme heiter weitertrug.

       

      Und der Schiffer nahm den neugewährten

      Freund in seine einsame Gefahr

      und ersann für ihn, für den Gefährten,

      dankbar eine Welt und hielt für wahr,

      daß er Töne liebte, Götter, Gärten

      und das tiefe, stille Sternenjahr.

                                   (1907)

             *

      Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)

      Der Hund

      DA oben wird das Bild von einer Welt

      aus Blicken immerfort erneut und gilt.

      Nur manchmal, heimlich, kommt ein Ding und stellt

      sich neben ihn, wenn er durch dieses Bild

       

      sich drängt, ganz unten, anders, wie er ist;

      nicht ausgestoßen und nicht eingereiht,

      und wie im Zweifel seine Wirklichkeit

      weggebend an das Bild, das er vergißt,

       

      um dennoch immer wieder sein Gesicht

      hineinzuhalten, fast mit einem Flehen,

      beinah begreifend, nah am Einverstehen

      und doch verzichtend: denn er wäre nicht.

                    (1907)

                *

    Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)

    Die Flamingos

    Jardin des Plantes, Paris

    IN Spiegelbildern wie von Fragonard

    ist doch von ihrem Weiß und ihrer Röte

    nicht mehr gegeben, als dir einer böte,

    wenn er von seiner Freundin sagt: sie war

     

    noch sanft von Schlaf. Denn steigen sie ins Grüne

    und stehn, auf rosa Stielen leicht gedreht,

    beisammen, blühend, wie in einem Beet,

    verführen sie verführender als Phryne

     

    sich selber; bis sie ihres Auges Bleiche

    hinhalsend bergen in der eignen Weiche,

    in welcher Schwarz und Fruchtrot sich versteckt.

     

    Auf einmal kreischt ein Neid durch die Volière;

    sie aber haben sich erstaunt gestreckt

    und schreiten einzeln ins Imaginäre.           

                   (1907 oder  1908)

         *

        Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)

        Schwarze Katze

        EIN Gespenst ist noch wie eine Stelle,

        dran dein Blick mit einem Klange stößt;

        aber da, an diesem schwarzen Felle

        wird dein stärkstes Schauen aufgelöst:

         

        wie ein Tobender, wenn er in vollster

        Raserei ins Schwarze stampft,

        jählings am benehmenden Gepolster

        einer Zelle aufhört und verdampft.

         

        Alle Blicke, die sie jemals trafen,

        scheint sie also an sich zu verhehlen,

        um darüber drohend und verdrossen

        zuzuschauern und damit zu schlafen.

        Doch auf einmal kehrt sie, wie geweckt,

        ihr Gesicht und mitten in das deine:

        und da triffst du deinen Blick im geelen

        Amber ihrer runden Augensteine

        unerwartet wieder: eingeschlossen

        wie ein ausgestorbenes Insekt.  

                                    (1908)

 

      Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)

      Der Panther

      Im Jardin des Plantes, Paris

       

      SEIN Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe

      so müd geworden, daß er nichts mehr hält.

      Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe

      und hinter tausend Stäben keine Welt.

       

      Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,

      der sich im allerkleinsten Kreise dreht,

      ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,

      in der betäubt ein großer Wille steht.

       

      Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille

      sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,

      gellt durch der Glieder angespannte Stille -

      und hört im Herzen auf zu sein.

                    (1902 ?/ 1903)

 

      Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)

      Die Gazelle,

      Gazella Dorcas

      VERZAUBERTE : wie kann der Einklang zweier

      erwählter Worte je den Reim erreichen,

      der in dir kommt und geht, wie auf ein Zeichen.

      Aus deiner Stirne steigen Laub und Leier,

       

      und alles Deine geht schon im Vergleich

      durch Liebeslieder, deren Worte, weich

      wie Rosenblätter, dem, der nicht mehr liest,

      sich auf die Augen legen, die er schließt:

       

      um dich zu sehen: hingetragen, als

      wäre mit Sprüngen jeder Lauf geladen

      und schösse nur nicht ab, solang der Hals

       

      das Haupt ins Horchen hält: wie wenn beim Baden

      im Wald die Badende sich unterbricht:

      den Waldsee im gewendeten Gesicht.

                     *                                 (1907)

 

        Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)

        Das Einhorn

        DER Heilige hob das Haupt, und das Gebet

        fiel wie ein Helm zurück von seinem Haupte:

        denn lautlos nahte sich das niegeglaubte,

        das weiße Tier, das wie eine geraubte

        hülflose Hindin mit den Augen fleht.

         

        Der Beine elfenbeinernes Gestell

        bewegte sich in leichten Gleichgewichten,

        ein weißer Glanz glitt selig durch das Fell,

        und auf der Tierstirn, auf der stillen, lichten,

        stand, wie ein Turm im Mond, das Hörn so hell,

        und jeder Schritt geschah, es aufzurichten.

             

        Das Maul mit seinem rosagrauen Flaum

        war leicht gerafft, so daß ein wenig Weiß

        (weißer als alles) von den Zähnen glänzte;

        die Nüstern nahmen auf und lechzten leis.

        Doch seine Blicke, die kein Ding begrenzte,

        warfen sich Bilder in den Raum

        und schlössen einen blauen Sagenkreis.          

                            (1905/ 1906)                

               *

        Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)

        An einem Teiche

        Schlich eine Schleiche,

        Eine Blindschleiche sogar.

        Da trieb ein Etwas ans Ufer im Wind.

        Die Schleiche sah nicht was es war,

        Denn sie war blind.

        - - - - - - - - - - - -

        Das dunkle Etwas aber war die Kindsleiche

        Einer Blindschleiche.

            *

 

    Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)

    Der Bandwurm

    Es stand sehr schlimm um des Bandwurms Befinden.

    Ihn juckte immer etwas hinten.

    Dann konstatierte der Doktor Schmidt,

    Nachdem er den Leib ihm aufgeschnitten,

    Daß dieser Wurm an Würmern litt,

    Die wiederum an Würmern litten -

     

          *

          Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)

          Der Ohrwurm mochte die Taube nicht leiden.

          Sie haßte den Ohrwurm ebenso.

          Da trafen sich eines Tages die beiden

          In einer Straßenbahn irgendwo.

           

          Sie schüttelten sich erfreut die Hände

          Und lächelten liebenswürdig dabei

          Und sagten einander ganze Bände

          Von übertriebener Schmeichelei.

           

           Doch beide wünschten sie sich im stillen,

          Der andre möge zum Teufel gehn,

          Und da es geschah nach ihrem Willen,

          So gab es beim Teufel ein Wiedersehn.

 

                *

      Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)

      Die Ameisen

      In Hamburg lebten zwei Ameisen,

      Die wollten nach Australien reisen.

      Bei Altona auf der Chaussee

      Da taten ihen die beine weh,

      Und da verzichteten sie weise

      Dann auf den letzten Teil der Reise.

               *

      Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)

      Die Guh gibt Milch und stammt aus Leipzig.

      Wer zuviel Milch trinkt, der bekneipt sich.

       

      Der Ochse gibt statt Milch: Spinat.

      Er spielt am Nachmittage Skat.

                *

    Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)

    Fliege und Wanze

    Die Fliege hat zur Wanze gesprochen:

    „Leih mir doch eine Maß Blut,

    Ich habe den Bürgermeister gestochen. —

    Aber der roch nicht gut.

    Und ich habe sein Blut, ohne was zu sagen,

    In die Nase von seiner Frau übertragen,

    Und gab auch der Tochter und dem Sohn

    Eine kleine Portion.

    Und nun riecht die ganze Familie

    Nach Quecksilber und Petersilie,

    Und ist voller Pickel und Flecke,

    Und es ist ein Vergnügen, von der Decke

    Aus zuzugucken, wie sie sich jucken."

     

    Die Wanze tat etwas fremd

    Und brummte: „Ach, Bagatelle!"

    Und kroch dabei einem Kutscher ins Hemd.

    Dort war derzeit ihre Quelle.

               *

        Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)

        Pinguine

        Auch die Pinguine ratschen, tratschen,

        Klatschen, patschen, watscheln, latschen,

        Tuscheln, kuscheln, tauchen, fauchen

        Herdenweise, grüppchenweise

        Mit Gevattern,

        Pladdern, schnattern

        Laut und leise.

        Schnabel-Babelbabel-Schnack,

        Seriöses, Skandalöses, Hiebe, Stiche.

         

        Oben: Chemisette mit Frack.

        Unten: lange, enge, hinderliche

        Röcke. – Edelleute, Bürger, Pack,

        Alte Weiber, Professoren.

         

         Riesenvolk, in Schnee und Eis geboren.

        Sie begrüßen herdenweise

         

        Ersten Menschen, der sich leise

        Ihnen naht. Weil sie sehr neugierig sind.

        Und der erstgesehene Mensch ist neu.

        Und Erfahrungslosigkeit starrt wie ein kleines Kind

        Gierig staunend aus, jedoch nicht scheu.

         

        Riesenvolk, in Schnee und Eis geboren,

        Lebend in verschwiegener Bucht

        In noch menschenfernem Lande.

        Arktis-Expedition. – Revolverschuß -:

        Und das Riesenvolk, die ganze Bande

        Ergreift die Flucht.

          *

      Oskar Loerke (1884 – 1941)

      Der Pudel mit der Löwenschur

       

      Durch den Kanal im Tiergarten zieht

      Eine ziegelbeladene Zille.

      Ein Pudel zuhöchst. Die Fahrt geschieht,

      Du fühlst es, als Pudelwille.

       

      Er hat krauses Haar und die Löwenschur

      Und ein Hirn, die Welt zu erfassen,

      Und eine Seele, die ganze Natur

      Philosophisch geraten zu lassen.

       

      Seine Nase sucht Urgrund vom Pfeifenkopf

      Und Knaster in der Tüte

      Zum scharlachnen Geranientopf

      Am Fenster der Kajüte,

       

      Zum wandernden Ufer am Kanal

      Und der hüpfenden Rattenplage, —

      Dann sucht er nicht mehr: am Wimpelschal

      Weht die metaphysische Lage.

       

      Er dreht sich und klopft mit der Quaste am Schweif

      Leicht auf die warmen Planken.

      Nun ist der Einklang des Lebens reif,

      Die Sonne hat seine Gedanken.

       

      Sie kennt ihren guten gnädigen Grund,

      Er darf sie regieren schicken.

      Fliegen zerstechen ihm Nüstern und Mund:

      Er muß ein wenig nicken.

       

      Wie die Nachtwelt steht ihm die Löwenschur

      Am häßlich zergrübelten Haupte,

      Doch zuckt sein Hängohr, wenn die Natur

      Ihn eingeschlafen glaubte.

          *

 

                         Werd nich’ zum Elch! -  – kein Copyright!

    Nelly Sachs (1891 – 1970)  Schmetterling  (Welch schönes Jenseits)    (1949)

IMG_2429_Falter

 

    Bertolt Brecht ( 1898 – 1956)  Auf einen Chinesischen Teewurzellöwen (1951)

    Peter Huchel  ( 1903 - 1981 )  Wintersee  (Ihr Fische, wo seid ihr)

    Peter Huchel  ( 1903 - 1981 ) Krähenwinter  (Über Luch* und Rohr und Seen)

    Günter Eich (1907 – 1972) Die Häherfeder  (Ich bin, wo der Eichelhäher)  (1948)

    Günter Eich (1907 – 1972)  Tage mit Hähern (Der Häher wirft mir)  (1955)

    Heinz Erhardt ( 1909 – 1979):

    Das Fischchen (Ein Fischchen einst im Wasser saß)

    Das Lama (In dem Land der weisen Brahma)

    Der Kabeljau (Das Meer ist weit, das Meer ist blau)

    Der Maus (Der Maus ihr Gatte wurd geschnappt)

    Der Regenwurm (Ein langer dicker Regenwurm)

    Der Schmetterling (Es war einmal ein buntes Ding)

IMG_2440 Falter

 

    Der Spatz (Es flog ein Spatz spazieren)

    Der Spatz (Es war einmal ein grauer Spatz)

 

IMG_3290_Musik im Bade

 

    Der Stier (Ein jeder Stier hat oben vorn)

    Die Eule (Eine Eule saß und stierte)

    Die Fliege (Eine Fliege flog zum Flügel)

    Die Gazelle (Schreckerstarrt verharrt die Gazelle)

    Die Katze (Die Katze hat ein gelbes Fell)

    Die Kuh (Auf der saftiggrünen Wiese)

    Die Libelle (Liebe Libelle)

    Die Made (Hinter eines Baumes Rinde)

    Die Schlange (Die Schlange kriecht – als leide sie)

    Die Schnecke ( Mit ihrem Haus nur geht sie aus)

    Die Weihnachtsgans (Tiefgefroren in der Truhe)

                                  

    Hans Bender (1919 - 2015): Die Rauchschwalbe (Lieber mag ich sie als)

                                       Die Amseln (Hinterm Haus, von Efeu bedeckt.)

                                      Verteidigung der Elster (Intelligent ist sie. Läßt sich zähmen)

     

    Erich Fried (1921 - 1988)  Herbst  (Ich hielt ihn für ein welkes Blatt)

    Erich Fried (1921 – 1981) Humorlos (Die Jungen / werfen . . . nach Fröschen)

    Ernst Jandl ( 1925- 2002)  ottos mops (ottos mops trotzt) (1963)

                                             auf dem land (rininininininininDER)

    Reiner Kunze (* 1933)  das ende der kunst (Du darfst nicht, sagte die eule zum auerhahn)

    Rainer Malkowski (1939 – 2003) (Sind wir so leicht/ zu täuschen?)

    Der die Möwe fliegen sah („Sah eine Möwe fliegen“,/steht im Tagebuch

    Die Fliegen (Ignoranten! Wiederholungstäter!)

                         

IMG_3302_Abflug Jungs

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