“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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            Kurze “Fußnote” zum Lieblingswort schulischer Interpretationsbemühungen, wenn es um Lyrik geht:

                            Was -  bitte schön - ist denn eine Beschreibung?

 

Das ist das, was viele Leute nicht leisten können, wenn man sie nach dem Weg fragt. Da werden sie dann plötzlich ganz poetisch.

“Zum Bahnhof wollen Sie? Ja,..ääää, Augenblick mal, ja, das ist eigentlich ganz schön, passen Sie mal auf, so könnte es eigentlich gehen, wenn Sie jetzt die dritte links beim Bäcker lang ,... ach nein, doch besser an meiner Stammkneipe , ach, ne, das geht vielleicht für Sie zu schwer, also noch mal von vorne: Jetzt zuerst einmal wenden und dann, dort wo Sie gerade die Frau mit dem kleinen Kinderwagen sehn, der da so schreit, wenn Sie da mal eben kurz anhalten und dann .....ääämmm...”

usw. usw.

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                  Dann doch bitte lieber gleich “Kafka”, oder?

 

Beschreibung I.:

Es war früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, dass es schon viel später war, als ich geglaubt hatte, ich musste mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich  in dieser Stadt noch  nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm  und fragte ihn atemlos nach dem Weg, Er lächelte und sagte:  “ Von mir willst du den Weg erfahren? ”  ” Ja ”, sagte ich, “ da ich ihn selbst nicht finden kann. ”  “ Gib’s auf, gibs auf ”, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen. ”

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Beschreibung II:

Es war früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zur Schule. Als ich das Gebäude mit  einem Foto auf meinem Handy verglich, sah ich, dass es noch viel öder war, als ich geglaubt hatte, ich musste mich sehr zusammenreißen, der Schrecken über diese Einsicht ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in diesen Gefühlen noch  nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Mann, wohl der Hausmeister, in der Nähe, ich schlenderte zu ihm  und fragte ihn leidenschaftslos  nach dem Weg, Er lächelte und sagte: “ Von mir willst du den Fluchtweg erfahren? ”  ” Ja ”, sagte ich,  “ da ich ihn selbst nicht sehen kann. ”   “ Gib’s auf, gibs auf ”, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen. ”

 

Beschreibung III

Es war früh am Morgen, mein Kopf  rein und leer, ich sollte ein Gedicht deuten. Als ich meine Uhr mit meinem Heft verglich, sah ich, dass es noch viel leerer war, als ich geglaubt hatte; ich musste mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich bei der Deutung unsicher werden, ich kannte mich in dieser Scheiße noch  nicht sehr gut aus, glücklicherweise stand mein Lehrer in der Nähe, ich warf ihm einen treuherzigen  Blick zu und fragte ihn seufzend   . . .  nach dem Weg zum Klo.  Er lächelte und sagte: “Gib’s auf, gibs auf! - Freundchen, Freundchen!. Klogang ist für die nächsten zwei Stunden verboten! ”, und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Dichter, die mit ihrer Deutung  allein sein wollen. ”

 

Gut gut, ich gebe zu: Auch Kafka -   beschreibt nicht - er liefert Selbstanalyse, allenfalls Modelle innerer Problemlagen, ohne sich beim  Leser mit einer fertigen Lösung anzubiedern. Modelle einer Realität, keine Fotografien; sonst ginge ja der Quatsch mit “ Beschreibung”  II und III gar nicht. .

                                           Und jetzt bitte ernsthafter:

Beschreibung:

     ist als deskriptiver Text eine sachlich nüchterne Textsorte, um Dinge, Personen, Tiere und Pflanzen, aber auch Vorgänge  in all ihren Erscheinungen darzustellen und räumlich und zeitlich exakt festzuhalten. Die Ergebnisse sind von anderen - cum grano salis - nicht nur nachvollziehbar, sondern auch objektiv überprüfbar.

Beispiele:

- Ortsbeschreibung

 - Personenbeschreibung  (Bitte nicht:  “Ich Tarzan - du Jane?” )

- Vorgangsbeschreibung:  (Wir basteln ein Daumenkino!)

 

Oder doch noch ein anschauliches Stückchen Literatur (1885)?:

“ Vor dem in dem großen und reichen Oderbruchdorfe Tschechin um Michaeli 20 eröffneten Gasthaus und Materialwarengeschäft von Abel Hradschek ( so stand auf einem über der Tür angebrachten Schilde) wurden Säcke vom Hausflur her auf einen mit zwei mageren Schimmeln bespannten Bauernwagen geladen. Einige von den Säcken waren nicht gut gebunden oder hatten kleine Löcher und Ritzen, und so sah man denn an dem, was herausfiel, dass es Rapssäcke waren. Auf der Straße neben dem Wagen aber stand Abel Hradschek selbst und sagte zu dem eben vom Rad her auf die Deichsel steigenden Knecht:..........”  

 

(Hast du’s endlich kapiert, lieber Jakob - hier geht es nicht um Lyrik, hier geht es um den Anfang einer Kriminalnovelle! - und das Fontane-Kunststück  muss man wenigstens zweimal lesen, um zu erkennen, wie genau hier die Details gearbeitet sind. - Ich sage nur:  “ Leser, mach die offenstehende Falltür der Exposition zu!”)

 

Und jetzt Günter Eich:

Der Nachtwind weht das Papier der Latrinen über das Lager hin.

In Gruben ruhen wie in frisch ausgehobenen Gräbern die Schläfer (...)

 

Ja, hier geht es wohl auch um Fäkalien (s. o.) - aber wohl eher darum, die “Fäkalie  Krieg” poetisch zu vermitteln,

aber eben nicht zu beschreiben!

Noch’n  Gedicht, Günter!

Wie grau es auch regnet, / der Wald scheint mir gelber.

Ach was mir begegnet, / erdacht ich mir selber.

 

Und jetzt zum Schluss darf ich mal schulmeistern, einverstanden?

 

Lesen Sie Günter Eich, vergessen Sie diesen großen deutschen Dichter nicht!

Lakonischer Kommentar meines Buchhändlers, bei dem ich vor Jahren einen Band meiner (leider unvollständig gebliebenen) Eich - Ausgabe stirnrunzelnd wegen der 84,- DM beglich:   

     “ Seien Sie froh, wenn Sie solche Bücher überhaupt noch kaufen können! ”

                        (So kann man auch für Autoren werben.)

Oder so wie ich: G. E.  Gesammelte Werke. B I  Die Gedichte. Die Maulwürfe. Suhrkamp Verlag  1973 ff

             

Lass dir raten - schwing den Spaten!  (Aber Vorsicht im Poesiegärtlein!)

 

                                                       PDF Druck

s.o. Historische Aufnahme um 1900 und mein Foto vom alten Bahnhof in Bad Essen,  28. 10. 2012

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