Monika Taubitz (* 1937 Breslau/ Schlesien)
Monika Taubitz © (* 1937)
Geäst
Jetzt!
Jetzt ist es soweit,
um im
kahlen Geäst
nach Chiffren
zu suchen,
um sie aufzuzeichnen
die Zeichen der Zeit.
*
Monika Taubitz © (* 1937)
Hagebutte
Heckenrose
in Frucht umgemünzt.
Die Deckschicht
aus Blättern
dem Sturm übergeben.
Den Dorn
freigelegt.
Dazwischen
die Leuchtschrift
des Winters
entdeckt.
*
Monika Taubitz © (* 1937)
Spinnweben
Dir, Spinnweb Zeit,
ins Netz gegangen.
Die Sprossenleiter
brüchig
hinab
ins Innere.
*
Monika Taubitz © (* 1937)
Rose
Einmal wirst du sie sehen:
die letzte!
In leiser Magie
dir immer noch zugewandt.
Im Schattengeflecht
ihrer Blätter
birgt sie den Fall.
Eines Nachts aber,
ohne ihr Antlitz,
wirst du es wissen,
allein
unter tanzenden Schatten
allein.
Monika Taubitz © (* 1937)
Übergänge
Immer häufiger
wechseln die Signale
gekürzte Zeit
für Übergänge.
Zwischen die Räder
gerät manches,
was wir retten wollten.
*
Monika Taubitz © (* 1937)
Gegenschrift
Schreibe das Blatt leer
von Wörtern,
schreibe es leer!
Schreibe es frei
von Spiegelschrift!
Finde das Gegenwort!
Einmal muß es gelingen,
jenes schuldlose
zu erzeugen.
Nur darauf
vermagst du,
Zeichen zu setzen.
*
Monika Taubitz © (* 1937)
Fra Angelico im Kloster San Marco zu Florenz
Tritt leise ein!
So viele Spuren,
die das Schweigen
gesammelt hat.
Bau Zell’ um Zelle,
Bienen gleich,
in deinem Innern an
und laß hinein,
was dir die Bilder zeigen.
Hör die Musik,
die niemand hören kann,
schau deinen Engel,
der vor seinem Auftrag
kniet,
und schweige!
*
Monika Taubitz © (* 1937)
Ausblick
Im Netzwerk
der Bäume
vor deinem Fenster
verfängt sich
die Ferne
und mischt sich
mit Schatten,
die das Gezweig
bevölkern.
Hole sie ein,
Fallensteller deiner Träume!
Vielleicht fängst
du sie noch.
*
Monika Taubitz : Dir, Spinnweb Zeit, ins Netz gegangen; Die Künstlergilde, Esslingen,
Landesgruppe Baden-Württemberg, Verlagsdruckerei Heinrich Delp GmbH, Bad Windsheim 1983
![CIMG4287a_Biele_2012 CIMG4287a_Biele_2012](../assets/images/autogen/CIMG4287a_Biele_2012.jpg)
Die Biele bei Neugersdorf (Grafschaft Glatz) 2012
*
Dein Woher,
mein Wohin,
noch hält es
dem Herzschlag
die Waage.
*
Hier, nur hier,
meine Kuhle aus Sand,
mein Nest aus Gräsern,
mein blaues Dach.
Kein Schatten
dem Spiegelbild.
*
Wie blitzende Pfeile,
Forellen,
die flücht’gen Spielgefährten,
zu fassen
zu halten
in meiner Hand.
*
Ihr Wellen,
in Strudel gezogen,
das gefährlich Andere
im Gleichmaß des Fließens.
Mit euch zu ziehen,
mit euch!
*
Mitten im Bach, -
ein Denkmal
aus schimmernder Bronze, -
steht aufrecht
Herr Krause aus Glatz.
Nun hebt er den Arm.
Die Angelrute
schreibt mit silbriger Spur
ans Himmelsgewölbe
das Märchen
vom fliegenden Fisch.
*
Unterm Schneeballbusch
Mutters Nähhand.
Das Stillhalten
flinker Füße,
von Bachkieseln
umlegt.
Ihr Erzählmund.
Und ihr Blick,
nach den Wundern
dieser Erde
Ausschau haltend.
*
Mein Thymiansitz
am Wege nach Märzdorf,
sommerwarm
duftend.
Rückwärts
läuft der Zeiger
der Sonnenuhr.
*
Vorwärts, weiter,
schneller, größer,
dem eiligen Lauf
der Biele folgend
ins Offene,
Weite,
ins Ungewisse.
*
Das Dröhnen
über dem Tal,
die Schatten der Flieger.
Noch gestern wußten wir nichts
vom Warnruf der Häher,
dem gedämpften Halali
im Märzdorfer Wald.
*
Sinnend der Nachbar
am Uferrand,
in der Hand
seine Pfeife.
Die Flut,
sagt er,
die große Flut!
Kein Wehr hält sie auf.
Diese steigt
gegen den Strom.
*
Das letzte Sommersingen
klingt leiser.
Wer möchte sie stören,
die schwarzgekleideten Frauen
in ihrem Verstummen?
Bunte Bänder
schwimmen flußabwärts
davon.
*
Auf die Weißkoppe
steigt Tag für Tag
Lehrer Marx.
Mit glücklichen Augen
kehrt er heim.
Zuletzt aber
trübt etwas
seinen Blick,
begleitet den Abstieg.
*
Wellenbegleitet
Straße und Weg.
Hier und drüben
Begehbares.
Von den Höhen
stürzt Endzeit,
überbrückt den Fluß.
Durch Sommerstaub
naht Unausweichliches.
*
Hinausspur
von Füßen
und Schrunden
im vereisten Asphalt.
Der eine verlor
seinen Absatz,
der andere
sein Leben.
Eigenes unter
die Räder geraten.
Ein Hufeisen hier -
kein Zeichen von Glück.
*
Das Wort,
leicht spricht sich’s aus
im Spiel
hinterm Nachbarhaus.
Die Zauberformel
löste den Akazienberg
aus Angestammtem.
Fliegen wird er mit mir
bis ans Ende der Tage.
* * *
aus:
Monika Taubitz: Ein Land gab mir sein Wort. Gedichte über Schlesien /
Ten kraj dat mi slowo swoje Wiersze o Slasku, Hrsg. Justyna Kubocz ,
Neisse Verlag Dresden/ ATUT Verlag Wroclaw/ Breslau 2006 u. 2007,
Lyrikschadchen sagt der Autorin ganz lieben Dank für die Abschrift dieser Gedichte
aus dem oben genannten Gedichtband und die Erlaubnis zur Veröffentlichung, 06. Juni 2011
Monika Taubitz © (* 1937)
Die Bahnhofsuhr
Längst schon
innehielt
die zeigerlose Uhr
verlor ihren Auftrag.
Fiel aus der Zeit.
Monika Taubitz © (* 1937)
Suizid
Längst von den Schienen
gewaschen
das Blut
des zerfetzten Körpers.
Zweigeteilt
blieb er zurück.
Nachgefolgt
seiner zerrissenen Seele.
*
Monika Taubitz © (* 1937)
Vergessene Geschichte
Die Stränge der Schienen
stumpf geworden
und rotbraun vom Rost,
weisen hier und dort
einen helleren Farbton auf.
Ausgetauscht einst
und über Bombentrichtern
verlegt,
markieren sie noch immer
die alte Geschichte.
*
Monika Taubitz © (* 1937)
Damals
Es blitzten die Schienen
wie scharf
geschliffene Messer,
damals,
als Waggon
um Waggon
darüberrollte
nach Buchenwald,
dem Ort
mit dem schönen Namen.
*
Monika Taubitz © (* 1937)
Nicht vorbei
Das waren noch Zeiten
damals!
sagte der Gleiswärter,
als er die Weichen
vom Eis befreite
und der Transport
der Millionen begann,
von Ost nach West.
Eine Meisterleistung
der Bahn,
setzt er hinzu,
tippt an den Rand
seiner Mütze
und grüßt
die stillgelegten Gleise.
Monika Taubitz © (* 1937)
Am Abteilfenster
(Der Zobten)
Draußen
vor dem Fenster
das weite Land.
Aus dem Rausch
des gelben Rapsfeldes
erhob sich der Berg
betörend schön.
Wir stiegen aus
und kamen nie an.
aus:
Monika Taubitz; Im Zug - nebenbei. Gedichte von unterwegs, Neisse Verlag Silvia & Detlev Krell GbR, Dresden 2011
Der Autorin ganz herzlichen Dank für die Abdruckerlaubnis.; 06. Juni 2011
Was für eine wunderschöne Zufallsbegegnung beim Stadtbummel durch Glatz mit der
in Schlesien geborenen Autorin aus Meersburg, die sich ganz spontan bereit erklärte,
abends in Bad Altheide aus ihren Prosatexten und Gedichten vorzulesen.
Monika Taubitz nach der Lesung im Gespräch; rechts neben ihr am Tisch der engagierte
Leiter der Reisegruppe Franz Grieger, dem diese literarische Überraschung gelang. (Fotos:.E.Adler ©)
|