“... Lesen schadet den Augen! ”

     

                                         Die Stanze

       

      Stanze, dich schuf die Liebe, die zärtlich schmachtende - dreimal

      Fliehest du schamhaft und kehrst dreimal verlangend zurĂĽck.

     

                                                (Friedrich Schiller - Die achtzeilige Stanze)

      

    Romanische Gedichtform, achtzeilig, fĂĽnfhebige (jambische) Verse; in den ersten sechs weiblich endenden Verszeilen variieren lediglich zwei Reime a - b, auf die am Schluss ein (oft männlicher) Paarreim c- c folgt. (Beliebt sind auch Variationen zum genannten Reimschema, vor allem in den               beiden Schlussversen, z.B. durch RĂĽckgriff auf die Reimworte der Zeilen 1 - 6.

      

        So kommt denn, Freunde, wenn auf euren Wegen

        Des Lebens BĂĽrde schwer und schwerer drĂĽckt,

        Wenn eure Bahn ein frischerneuter Segen

        Mit Blumen ziert, mit goldnen FrĂĽchten schmĂĽckt,

        Wir gehen vereint, dem nächsten Tag entgegen!

        So leben wir, so wandeln wir beglĂĽckt.

        Und dann auch soll, wenn Enkel um uns trauern,

        Zu ihrer Lust noch unsre Liebe dauern.

         

                                                       (Goethe, letzte Stanze der 14-strophigen  Zueignung)

               *

          Clemens Brentano (1778 – 1842)

          Die Liebe fing mich ein

          Die Liebe fing mich ein mit ihren Netzen,

          Und Hoffnung bietet mir die Freiheit an;

          Ich binde mich den heiligen Gesetzen,

          Und alle Pflicht erscheint ein leerer Wahn.

          Es stürzen bald des alten Glaubens Götzen,

          Zieht die Natur mich so mit Liebe an.

          O SĂĽĂźer Tod, in Liebe neu geboren,

          Bin ich der Welt, doch sie mir nicht verloren.

           

                                           *

 

      Annette von Droste-HĂĽlshoff ( 1797 - 1848)

       An die Schriftstellerinnen in Deutschland und Frankreich

       

      Ihr stehst so nüchtern da gleich Kräuterbeeten,

      Undihr gleich Fichten, die zerspellt von Wettern, -

      Haucht wie des Hauches Hauch in Syrinxflöten         (Syrinx= griech. Nymphe, Hirtenflöte)

      Lasst wie Dragoner die Trompeten schmettern;

      Der  kann ein Schattenbild die Wange röten -

      Die wirft den Handschuh Zeus und allen Göttern;

      Ward denn der FĂĽhrer euch nicht angeboren,

      In eigner Brust, dass ihr den Pfad verloren?

       

      Schautauf!  Zur Rechten nicht - durch TränengrĂĽnde,

      Mondscheinalleen und blasse Nebeldecken,

      Wo einsam die veraltete Selinde

      Zur Luna mag die Lilienarme strecken;

      Glaubt, zur GenĂĽge hauchten Seufzerwinde,

      Längst überfloss der Sehnsucht Tränenbecken;

      An eurem HĂĽgel mag die Hirtin klagen

      Und seufzend drauf ein Gänseblümchen tragen.

       

      Doch auch zur Linken nicht - durch Winkelgassen,

      Wo tĂĽckisch nur die Diebslaternen blinken,

      Mit wildem Druck auch rohe Hände fassen

      Und Smollis WĂĽstling euch und Schwelger trinken, -

      Zum Bacchanal der Sinne, wo die blassen

      Betäubten Opfer in diese Rosen sinken,

      Und endlich, eures Sarges letzte Ehre,

      Man drüber legt die Kränze der Hetäre.

       

      O dunkles Los! O Preis, mit Schmach gewonnen,

      Wenn Ruhmes Staffel wird der Ehre Bahre!

      Gras, grade geht der Pfad, wie Strahl der Sonnen,

      Grad, wie die Flamme lodert vom Altare,

      Grad, wie Natur das Berberross zum Bronnen

      Treibt mitten durch die Wirbel der Sahare!

      Ihr könnt nicht fehlen: er, so wild umlichtet,

      Der FĂĽhrer ward in euch nicht hingerichtet.

       

      Treu schützte ihn der Länder fromme Sitte,

      Die euch umgeben wie mit Heil’genscheine,

      Sie hielt euch fern die freche Liebesbitte

      Und legte Anathem auf das Gemeine.               (Anathem = Verfluchung, Bann)

      Euch nahte die Natur mit reinem Schritte,

      Kein trunkner Schwelger ĂĽber Stock und Steine;

      Ihr mögt ihr willig jedes Opfer spenden,

      Denn alles nimmt sie, doch aus reinen Händen.

       

      Die Zeit hat jede Schranke aufgeschlossen,

      An allen Wegen hauchen NaphthablĂĽten,

      Ein reizend scharfer Duft hat sich ergossen,

      Und jeder mag die eignen Sinne hĂĽten.

      Das Leben stĂĽrmt auf abgehetzten Rossen,

      Die noch zusammenbrechend haun und wĂĽten.

      Ich will den Griffel eurer Hand nicht rauben:

      Singt, aber zitternd, wie vorm Weih die Tauben.

       

      Ja, treibt der Geist euch, lasst Standarten rage!

      Ihr wart die Zeugen wild bewegter Zeiten,

      Was ihr erlebt, das lässt sich nicht erschlagen,

      Feldbind’ und Helmzier mag ein Weib bereiten;

      Doch sehrt auch vor, wie hoch die Schwingen tragen,

      Stellt nicht das  Ziel in ungemessne Weiten,

      Der kecke Falk ist ĂĽberall  zu finden,

      Docheinsam steigt der Aar aus AlpengrĂĽnden.

       

      Vor allem aber pflegt das Anvertraute,

      Das heil’ge  Gut, gelegt in eure Hände,

      Weckt der Natur geheimnisreichste Laute,

      Kniet vor des Blutes gnadenvoller Spende;

      Des Tempels pflegt, den Menschenhand nicht baute,

      Und schmückt mit Sprüchen die entweihten Wände,

      Dass dort, aus dieser Wirren Staub und MĂĽhen,

      Die Gattin mag, das Kind, die Mutter knieen.

       

      Ihr hörtet sie, die unterdrückten Klagen

      Der heiligen Natur, geprägt zur Dirne.

      Wer hat sie nicht gehört in diesen Tagen,

      Wo nur ein Gott, der Gott im eignen Hirne?

      Frischauf! - und will den Lorbeer man versagen,

      O Glückliche mit unbekränzter Stirne!

      O arm GefĂĽhl, das sich nicht selbst kann lohnen!

      Mehr ist ein Segen als zehntausend Kronen!

     

     

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