Ehepaar_Busch2

 

  Lesen schadet den Augen

 

IMG_0010-red

        Von der Lyrik zur Rhetorik? - (Das Thema ist zu ernst, um drüber zu blödeln:)

              Die Ohnmacht der Poesie und die Macht der Rede

     

    Es tut mir Leid, aber ich möchte nun einmal kein Herrscher sein, denn das liegt mir nicht. Ich möchte weder herrschen noch irgendwen erobern, sondern jedem Menschen helfen, wo immer ich kann, den Juden, den Heiden, den Farbigen, den Weißen. Jeder Mensch sollte dem anderen helfen; nur so verbessern wir die Welt. Wir sollten am Glück des anderen teilhaben und nicht  verabscheuen.

    Hass und Verachtung bringen uns niemals näher. Auf dieser Welt ist Platz für jeden und Mutter Erde ist reich genug, um jeden von uns satt zu machen. Das Leben kann ja so erfreulich und wunderbar sein, wir müssen nur wieder zu leben lernen. Die Habgier hat das Gute im Menschen verschüttet und Missgunst hat die Seelen vergiftet und uns im Paradeschritt in Verderben und Blutschuld geführt. Wir haben die Geschwindigkeit entwickelt, aber innerlich sind wir stehen geblieben. Wir lassen Maschinen für uns Menschen arbeiten und sie denken auch für uns. Die Klugheit hat uns hochmütig werden lassen und unser Wissen kalt und hart.  Wir sprechen zu viel und fühlen zu wenig. Aber zuerst kommt die Menschlichkeit und dann erst die Maschine. Vor Klugheit und Wissen kommt Toleranz und Güte. Ohne Menschlichkeit und Nächstenliebe ist unser Dasein nicht lebenswert.

    Aeroplane und Radio haben uns einander näher gebracht. Diese Erfindungen haben uns eine Brücke geschlagen von Mensch zu Mensch. Sie erfordern eine allumfassende Brüderlichkeit, damit wir alle eins werden.

    Millionen von Menschen können im Augenblick meine Stimme hören, Millionen verzweifelter Menschen, Opfer eines Systems, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Unschuldige zu quälen und in Ketten zu legen. Allen, die mich jetzt hören, rufe ich zu: Ihr dürft nicht verzagen. Auch das bittere Leid, das über uns gekommen ist, ist vergänglich. Die Männer, die heute die Menschlichkeit mit Füßen treten, werden nicht immer da sein; ihre Grausamkeit stirbt mit ihnen und auch ihr Hass. Die Freiheit, die sie den Menschen  genommen haben, wird ihnen dann zurückgegeben werden. Auch wenn es Blut und Tränen kostet: Für die Freiheit ist kein Opfer zu groß.

     Soldaten! Vertraut euch nicht Barbaren an, Unmenschen, die euch verachten und denen euer Leben nichts wert ist. Ihr seid für sie nur Sklaven. Ihr habt das zu tun, das zu glauben, das zu fühlen; ihr werdet gedrillt, gefüttert, ihr werdet wie Tiere behandelt und seid nichts weiter als Kanonenfutter. Ihr seid viel zu schade für diese verirrten Subjekte, diese Maschinenmenschen mit Maschinenköpfen und Maschinenherzen. Ihr seid  keine Roboter; ihr seid keine Tiere, ihr seid Menschen. Bewahrt euch die  Menschlichkeit in euren Herzen und hasst nicht. Nur wer nicht geliebt wird, hasst; nur wer nicht geliebt wird. (.............)

    (Der Film Chaplins ist problemlos  auf DVD zu bekommen. Ein Muss für die Oberstufe!)

 

     

       Abschlussrede des Frisörs aus Charly Chaplins „Der große Diktator“ (1940) (Analyse)

     Die zu analysierende Rede entstammt dem Film „Der große Diktator“ von Charly Chaplin. Der Film ist eine kritische Satire auf    die Verhältnisse in Deutschland zur Zeit der Diktatur Adolf Hitlers und des Nationalsozialismus. Die Rede wird im von den    tomanischen (deutschen) Truppen frisch annektierten Osterlitsch (Österreich) von einem jüdischen Friseur gehalten, der von     den Anhängern Hynkels (Hitlers) für ihren Führer gehalten wird. Daraus ergibt sich für den Redner eine außergewöhnliche   Redesituation. Er steht vor hohen tomanischen Truppenvertretern und einer Menge von Menschen, die von ihm die Rede des    Führers zur Annektierung Osterlitschs erwarten. Der Friseur nutzt die Situation jedoch für die Darlegung seiner eigenen    Vorstellungen, die denen des Regimes um Hynkel vollkommen widersprechen.

    Er beginnt gleich in den einleitenden Sätzen mit der Darstellung der eigenen Position gegenüber den Machenschaften des         Regimes.   Am Anfang steht die Klarstellung, dass er weder herrschen noch erobern wolle, vielmehr sei es sein Wille, allen         Mensch zu helfen   wo immer er könne. „Nur so verbessern wir die Welt“. (Z.2). Hier macht der Redner sich und das Publikum         zu einer Wir - Gruppe. Das damit verbundene für sich einnehmen der Menschenmenge geschieht eigenmächtig, schafft             aber zwischen Redner und Publikum eine Verbundenheit. Der Redner macht das Publikum damit wie selbstverständlich zu  seinem     Verbündeten. Im nächsten Redeabschnitt stellt er antithetisch Begriffe gegenüber, die bei den Zuhörern entweder positive oder     negative Assoziationen hervorrufen. Dies dient der Darstellung und Vergegenwärtigung der politischen Situation,  in der sich     Redner und Publikum zum Zeitpunkt der Rede befinden. Die negativen Begriffe „Hass“ und „Verachtung“ stehen dem positiven        Bild    der „Mutter Erde“, die den Reichtum besäße, jeden der Anwesenden satt zu machen gegenüber, das „erfreuliche“ und     „wunderbare“   Leben werde unterdrückt da „Habgier“ das Gute im Menschen verschüttet habe.

    „... Missgunst hat die Seelen vergiftet und uns im Paradeschritt in Verderben und Blutschuld geführt“. (Z.9/10) In diesem Satz     setzt der Redner besondere rhetorische Figuren ein, um beim Publikum bestimmte Gefühle und Stimmungen zu erzeugen: Das    Adjektiv „vergiftet“ als negativ behaftete Krankheits- Metapher und das Wort „Paradeschritt“ als Kriegsmetapher. Neben der    oben erwähnten Situationsdarstellung dienen diese Ausdrücke auch dazu, vor dem inneren Auge der Zuhörer den Gegner zu    charakterisieren, gegen den und dessen Machenschaften sich die Rede im Folgenden richten wird. Die Zeilen 11-14 beschäftigen    sich mit Kritik. Der Redner schildert, wie es aus seiner Sicht zu den oben dargestellten Zuständen kommen konnte. „Die Klugheit    hat uns hochmütig werden lassen [...] Wir sprechen zu viel und denken zu wenig“ (Z.13/14). Diese Kritik wirft der Redner jedoch    nicht von oben auf das Publikum herab, sondern richtet diese ebenfalls an die Wir- Gruppe, also auch an sich selbst. Dies nimmt    der Passage den besserwisserisch, belehrenden Charakter und bestätigt das am Anfang der Rede geschaffene Gemeinschafts- gefühl  auch in gemeinsam begangenen Fehlern. Das Publikum wird so zugänglicher für die Kritik, die erste Reaktion, Kritik, die    einem vorgeworfen wird an sich abprallen zu lassen, wird unterdrückt. Nachdem der Redner die Situation geschildert und das    Publikum an sich gebunden hat, folgt in Zeile 16/17 die Aussage: “Ohne Menschlichkeit und Nächstenliebe ist unser Leben nicht    lebenswert“. Diese betont die momentane Hoffnungslosigkeit der Situation, zugleich zeigt sie indirekt aber auch Möglichkeiten    auf, diese zu verändern. Die Ausdrücke „Menschlichkeit“ und „Nächstenliebe“ zeigen den Zuhörern Werte, nach denen zu streben    sich lohnt. Genau den gleichen Effekt haben das Bild der Brücke als Symbol der Zusammengehörigkeit (Z.19) und der Begriff der    allumfassenden Brüderlichkeit (Z.20). Nun folgt in der Rede ein Teil der Ermutigung: „Ihr dürft nicht verzagen. [...] Die Männer,   die heute die Menschlichkeit mit Füßen treten werden nicht immer da sein; ihre Grausamkeit stirbt mit ihnen und auch ihr Hass.“   (Z. 22-25) Mit der Vorhersage einer besseren Zukunft wird das Publikum gestärkt und der Gegner gleichzeitig geschwächt. Das    Leid ist nicht dauerhaft, der Gegner nicht unbesiegbar. Der Redner ruft die Menschen auf, mit all ihrer Kraft für die Freiheit    zu   kämpfen „Für die Freiheit ist kein Opfer zu groß“ (Z. 29). Der Menge wird erneut ein positives Ziel vor Augen geführt.

    Dann spricht der Redner direkt die Soldaten an: Sie sollten sich nicht den Barbaren, den Unmenschen anschließen, die sie      drillten    fütterten und wie Tiere behandelten. Hier kommt die Dramatisierung als Mittel der Beeinflussung zur Anwendung.    Durch die Wortwahl charakterisiert der Redner den Gegner klar als grausam und unmenschlich. Die Soldaten hätten das zu tun,       da  s zu glauben, das zu fühlen, was das Regime ihnen vorlege. Mit dieser Anapher wird der Eindruck des Gesagten noch          verstärkt.  Die von vielen als normal empfundene Position der Soldaten wird in Frage gestellt, sie bekommen einen Anstoß über     das was sie tun und sind, kritisch nachzudenken. Es folgt der Satz: “Ihr seid keine Roboter, ihr seid keine Tiere, ihr seid     Menschen.“ (Z.35/36) Dieser Satz übermittelt den Soldaten die Botschaft, dass es, neben dem eben gehörten noch eine andere     Sichtweise gibt. Der Redner sieht sie, im Gegensatz zu dem Regime, dem sie dienen, als das, was sie eigentlich sind, nämlich als     Menschen. Mit dieser Botschaft verfolgt der Redner das Ziel, einen Zugang zu den Soldaten zu schaffen, der dem anschließenden     Aufruf, für die Freiheit zu kämpfen (Z.38) das Durchdringen zu ihnen ermöglichen soll. Diesem Aufruf schließt der Frisör       ein Bibelwort an, das sagt: „Gott wohnt in jedem Menschen“. Erneut zeigt er eine Verbindung zwischen allen Menschen auf,  so    verschieden sie auch sein mögen. Die Bibel, als Quelle des Ausspruchs, die von vielen Menschen geachtet wird, macht den Vers         zu einem wirkungsvollen Autoritätsargument. Zum Schluss der Rede appelliert der Redner an die Eigenverantwortung der    Zuhörer und spricht ihnen Macht zu: “Ihr als Volk habt es in der Hand, dieses Leben einmalig und kostbar zu machen, es mit    wunderbarem Freiheitsgeist zu durchdringen“ (Z.42-44) Erneut ruft er das Volk auf, für seine Ziele zu kämpfen. Noch einmal    nennt er Reihe positiver Begriffe, die den Wünschen der meisten Menschen entsprechen: Gleiche Chancen für jedermann, Zukunft    für die Jugend, Sicherheit für die Alten. Das Volk soll seine Macht ausüben, „die Ketten sprengen“ (Z.51) und sich wehren.            Das Bild der gesprengten Ketten macht die Kraft, die im Willen des Volkes steckt, anschaulich und bildlich vorstellbar.

    Die Rede schließt mit dem Satz: “Kameraden! Im Namen der Demokratie: Dafür lasst uns streiten!“ Diese Apostrophe    untermauert das vom Redner geschaffene Solidaritätsverhältnis. Der Redner setzt für sich wie selbstverständlich voraus, dass    er die Zuhörerschaft für seine Ziele und Meinungen gewinnen konnte. Damit macht er nochmals deutlich, wie unbeirrt und    zweifelsfrei er zu den in seiner Rede vorgetragenen Ansichten steht.  Dieser prägnante Abschluss soll beim Publikum zunächst    keinen Zweifel an der Richtigkeit der Ziele zulassen.

     

    Weiterhin interessant zu beobachten ist die Art des Frisörs seine Rede zu intonieren und die Reaktion des Publikums darauf.    Beides geht aus der schriftlichen Vorlage des Textes nicht hervor, lässt sich aber untersuchen wenn man den Film gesehen hat.    Auffallend ist die kontinuierliche Steigerung der Redelautstärke. Zu Beginn der Rede noch verunsichert und fast verschüchtert    wirkend spricht der Frisör sehr leise. Das Gefühl der Unsicherheit wird auch im Text unterstützt, nämlich dadurch, dass die     Rede    mit den Worten „Es tut mit leid“ beginnt. Im Verlauf seiner Rede steigert sich der Redner mehr und mehr in die Inhalte    seiner Ansprache hinein, seine Stimme wird lauter und dominanter, sie beginnt mehr und mehr der Redeweise des Diktators    „Hynkel“ zu ähneln. Nach der Rede brechen die Zuhörer in ebensolche Jubelstürme aus, wie sie auch zuvor bei den Reden Hynkels    zu hören waren. Die von Chaplin gewählte Darstellungsweise bringt mich auf drei Denkansätze: Zum Einen könnte in der    Darstellung der Hinweis an die Menschen verborgen sein, sich beim Hören von Reden nicht durch die mitreißende Rhetorik und    Inszenierung vom kritischen Betrachten der Inhalte abhalten zu lassen. Hier lag der Fehler vieler, die dem Nationalsozialismus,    der im Film kritisiert wird, positiv gegenüber standen. Die Art des Vortrags sagt nichts über die Inhalte aus. Der aufbrausende    Applaus des Publikums stellt für mich einen Anstoß zum Nachdenken dar. Applaudieren die Menschen weil der Frisör sie    tatsächlich von seinen Zielen überzeugen konnte, oder zeigt der Applaus, der dem nach Hynkels Reden doch allzu deutlich ähnelt,    das oben genannte Problem und haben die Menschen nicht realisiert, dass ihnen gerade das genaue Gegenteil des Erwarteten    vorgetragen wurde?  Haben sie womöglich in den Wirren und der Einschüchterung, die durch die Diktatur entstanden sind, alle    Aufnahmefähigkeit für Kritik verloren und applaudieren, weil nach einer Rede eben von ihnen erwartet wird, dass sie applaudieren?

    Ebenso könnte der Applaus den Hinweis Chaplins darauf enthalten, dass es notwendig ist, dass sich ein Widerstand gegen das    nationalsozialistische Regime formiert, um den Menschen klarzumachen, wo die wirklichen Werte liegen. Der Friseur als    Einzelperson würde also den Widerstand symbolisieren, dessen Bemühungen durch die Überzeugung der Menschen schließlich von    Erfolg gekrönt wären.             

     

Jeder Lehrer ist glücklich, wenn solche Schülerleistungen im Unterricht sichtbar werden;

 diese Analyse stammt von meinem Namensvetter Friedemann Adler. (copyright)  Es ist

aber nicht etwa so, dass am GBE Lehrer ihre eigenen Kinder unterrichten.

          .

> Gesprächsanalyse

> Holocaust

>Kommunikationsmodell

> Krieg

> rhetorische Figuren

> Stunde Null