Die Idee zu einer Unterrichtsreihe „Literatur zum Thema Nationalsozialismus und Holocaust“ ergab sich aus einer gemeinsamen Schulveranstaltung, einem Kinobesuch unserer 11. Klassen von Roman Polanskis „Der Pianist“, also der realitätsorientierten Darstellung des Warschauer Ghettos. Eine Diskussion über Sachverhalt und Thematik im Anschluss war natürlich selbstverständlich, zugleich ergab sie sich auch als pädagogische Notwendigkeit, da die im Kino anwesenden Lehrer mit Entsetzen registrieren mussten, dass unsere „erwachsenen“ Schüler – wie bei privaten Kinobesuchen üblich – während des Films ungerührt Chips- und Erdnusstüten aufrissen und die Betrachtung als Konsumerlebnis (event) begriffen, während der Kinoheld dem Hungertod nahe war.
Dies Verhalten den Schülern als Fehlverhalten bewusst zu machen schien mir notwendig. So ergab sich einfach die Idee zu einer kleineren Unterrichtseinheit, in der ich das Thema „Die Situation des Einzelnen im Nationalsozialismus als Schuldproblem“ über verschiedene literarische Gattungen vermitteln wollte/ will. (Die Reihe ist noch nicht abgeschlossen.)
Bisher behandelt:
Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür (Hörspiel); Kurzgeschichten wie „Die Küchenuhr“ oder „Nachts schlafen die Ratten doch“ kannten die Schüler bereits aus der Mittelstufe.
Peter Weiss: Die Ermittlung (Dokumentarisches Theater)
Paul Celan: Todesfuge (Gedicht) ; ergänzt durch die ersten Zeichnungen der KZ-Situation, wie sie Alfred Kantor, ein Prager Graphiker nach der Befreiung durch die Amerikaner veröffentlicht hat: „Das Buch des Alfred Kantor“.
Ich war mit dem in Maine im Januar verstorbenen Prager Graphiker viele Jahre befreundet und habe den Schülern ein paar dokumentarische Zeichnungen des Lagers Auschwitz zeigen wollen. – Können Sie sich vorstellen, dass kein Schüler mit dem Wort „Theresienstadt“ etwas in Verbindung bringen konnte. Die gleiche Erfahrung habe ich auch gestern bei Schülern einer Kl. 10 gemacht, die in meine Unterrichtsstunde verspätet hineinplatzen, mit der Entschuldigung, sie kämen gerade aus einer Klassenarbeit zum Thema „Nationalsozialismus“. Ich habe mich dann mit der Gegenfrage nach Theresienstadt „gerächt“, man könnte auch sagen: die Qualität des Geschichtsunterrichts eines Kollegen ‘angeprüft’. „Theresienstadt“ – was soll das sein? (Originalton)
An der Mediensituation des deutschen Fernsehens liegt es jedenfalls nicht, wenn die Schüler Kenntnislücken in der NS-Thematik besitzen.
Ferner behandelt oder noch geplant:
Stefan Zweig: Schachnovelle (gekürzte Hörbuchfassung mit Curt Jürgens)
Carl Zuckmayer: Des Teufels General (Spielfilm nach dem Theaterstück)
Heinrich Böll: Wanderer, kommst du nach Spa... (Kurzgeschichte, in der die sog. humanistische Bildung phraseologisch entlarvt wird. Ich gehöre noch zu der Generation, die in der Schule mit Latein und Griechisch gequält wurden, während Schüler heute kaum noch klassische Bildungskenntnisse besitzen. Dieser Text Bölls gehört m. E zu den wichtigsten Texten der „Stunde Null“.
Günter Eich: Träume (3. Traum des Hörspiels)
Bernhard Schlink: Der Vorleser ( Roman)
Der Stoff Schlinks ist ja auch eine Art Erotikon, an das man nicht ganz unbefangen herangeht. Hier habe ich noch ganz rasch durch eine deftige Novelle Boccaccios den Boden unterrichtlich „vorbereitet“. (Was tut man nicht alles, um Schüler vom Unterhaltungswert der Literatur zu überzeugen!)
P. S. Auf die wichtige Novelle G. Grass’ „Katz und Maus“ muss ich verzichten, da der Text bevorzugt in den Jahrgängen 12/ 13 behandelt wird. Hierzu gab es nur einen Lesetipp von mir.
E-Mail - Briefauszug an Prof. Peter Yang zu einer geplanten Unterrichtsreihe - 2003
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