. . . aber man muss lesen, was ein Erzähler daraus macht, dann wird man selbst „Zehn kleine Negerlein“ der Agatha Christie für mattes Zeugs halten, zumal die Lösung nicht gerade analytisch daherkommt.
(Mein Favorit bleibt ohnehin Chandlers Phillip Marlowe, über dessen schachgefüllte Denkpausen ich zu diesem Spiel der Spiele gefunden habe, leider zu spät.- Na, ja: Für ‘ne AG-Karriere hat’s gereicht.)
Was macht Stefan Zweig (1881 - 1942) aus dieser Anfangssituation, bevor der Kampf im Kopf beginnt, bevor der König des Gegners seine Macht verliert.
(Irgendeiner hat mal gesagt - war es Bobby Fischer? - „Ich will das Ego meines Gegners zerbrechen sehen!“)
Das Zerbrechen der geistigen Elite im NS-Deutschland als Stoff der Schachnovelle wird zum besten Stück Literatur in dieser Geschichte eines seelisch ruinierten österreichischen Emigranten. (Zweig schied 1942 in Brasilien freiwillig aus dem Leben.) Ein grobschlächtiger, unsensibler “Schachautomat” (Czentovic) und ein unfreiwilliger Herausforderer, der die Gestapo- Einzelhaft durch einen glücklichen Fund überlebt hat, eine Sammlung von notierten Meisterpartien -- - - - -
Der Textauszug aus rund 100 Seiten Extremspannung müsste nicht nur Schachspielern Geschmack auf mehr machen. (Für den Unterrichtseinsatz biete ich Ihnen meine kleine Fremdwörterliste zum Runterladen an - und wenn die Schule ein richtiges Demo-Brett hat, stellen Sie’s auf. Das abgebildete ist für unverbesserliche Blindspieler. - Sie brauchen auch keine Großmeister-Elo-Zahl, um die Novelle zu behandeln!)
Wunderbar die Lesefassung mit Curt Jürgens, weniger überzeugend (vom Drehbuch her) der „Liebesfilm“ mit Jürgens und Mario Adorf. Seit 2014 copyfrei; deshalb lesen Sie, lesen Sie wieder einmal, noch in dieser Woche (Vorsicht - Trampelwerbung!) das Buch:
Stefan Zweig: Schachnovelle (1943 postum), Fischer Verlag TB - 1974 ff
(......)
Es hat wenig Sinn, über die Partie zu berichten. Sie endete selbstverständlich, wie sie enden musste, mit unserer totalen Niederlage, und zwar bereits beim vierundzwanzigsten Zuge. Dass nun ein Weltschachmeister ein halbes Dutzend mittlerer oder untermittlerer Spieler mit der linken Hand niederfegt, war an sich wenig erstaunlich; verdrießlich wirkte eigentlich auf uns alle nur die präpotente (= überhebliche, Ad)) Art, mit der Czentovic es uns allzu deutlich fühlen ließ, dass er uns mit der linken Hand erledigte. Er warf jedesmal nur einen scheinbar flüchtigen Blick auf das Brett, sah an uns so lässig vorbei, als ob wir selbst tote Holzfiguren wären, und diese impertinente (= unverschämte, herausfordernde) Geste erinnerte unwillkürlich an die, mit der man einem räudigen Hund abgewendeten Blicks einen Brocken zuwirft. Bei einiger Feinfühligkeit hätte er meiner Meinung nach uns auf Fehler aufmerksam machen können oder durch ein freundliches Wort aufmuntern. Aber auch nach Beendigung der Partie äußerte dieser unmenschliche Schachautomat keine Silbe, sondern wartete, nachdem er »Matt« gesagt, regungslos vor dem Tische, ob man noch eine zweite Partie von ihm wünsche. Schon war ich aufgestanden, um hilflos, wie man immer gegen dickfellige Grobheit bleibt, durch eine Geste anzudeuten, dass mit diesem erledigten Dollargeschäft wenigstens meinerseits das Vergnügen unserer Bekanntschaft beendet sei, als zu meinem Ärger neben mir McConnor mit ganz heiserer Stimme sagte: »Revanche! «
Ich erschrak geradezu über den herausfordernden Ton; tatsächlich bot McConnor in diesem Augenblick eher den Eindruck eines Boxers vor dem Losschlagen als den eines höflichen Gentlemans. (…)
Czentovic blieb unbewegt. »Bitte«, antwortete er höflich. »Die Herren spielen jetzt Schwarz. «
Auch die zweite Partie bot kein verändertes Bild, außer dass durch einige Neugierige unser Kreis nicht nur größer, sondern auch lebhafter geworden war. McConnor blickte so starr auf das Brett, als wollte er die Figuren mit seinem Willen, zu gewinnen, magnetisieren; ich spürte ihm an, dass er auch tausend Dollar begeistert geopfert hätte für den Lustschrei >Matt!< gegen den kaltschnäuzigen Gegner. Merkwürdigerweise ging etwas von seiner verbissenen Erregung unbewusst in uns über. jeder einzelne Zug wurde ungleich leidenschaftlicher diskutiert als vordem, immer hielten wir noch im letzten Moment einer den andern zurück, ehe wir uns einigten, das Zeichen zu geben, das Czentovic an unseren Tisch zurückrief Allmählich waren wir beim siebenunddreißigsten Zuge angelangt, und zu unserer eigenen Überraschung war eine Konstellation eingetreten, die verblüffend vorteilhaft schien, weil es uns gelungen war, den Bauern der c-Linie bis auf das vorletzte Feld c2 zu bringen; wir brauchten ihn nur vorzuschieben auf c1, um eine neue Dame zu gewinnen. Ganz behaglich war uns freilich nicht bei dieser allzu offenkundigen Chance; wir argwöhnten einmütig, dieser scheinbar von uns errungene Vorteil müsse von Czentovic, der doch die Situation viel weitblickender übersah, mit Absicht uns als Angelhaken zugeschoben sein. Aber trotz angestrengtem gemeinsamem Suchen und Diskutieren vermochten wir die versteckte Finte nicht wahrzunehmen. Schließlich, schon knapp am Rande der verstatteten Überlegungsfrist, entschlossen wir uns, den Zug zu wagen. Schon rührte McConnor den Bauern an, um ihn auf das letzte Feld zu schieben, als er sich jäh am Arm gepackt fühlte und jemand leise und heftig flüsterte: »Um Gottes willen! Nicht! «
(…) . Als erster faßte sich McConnor.
»Was würden Sie raten? « flüsterte er aufgeregt.
»Nicht gleich vorziehen, sondern zunächst ausweichen! Vor allem mit dem König abrücken aus der gefährdeten Linie von g8 auf h7. Er wird wahrscheinlich den Angriff dann auf die andere Flanke hinüberwerfen. Aber das parieren Sie mit Turm c8-c4; das kostet ihn zwei Tempi, einen Bauern und damit die Überlegenheit. Dann steht Freibauer gegen Freibauer, und wenn Sie sich richtig defensiv halten, kommen Sie noch auf Remis. Mehr ist nicht herauszuholen. «
Wir staunten abermals. Die Präzision nicht minder als die Raschheit seiner Berechnung hatte etwas Verwirrendes; es war, als ob er die Züge aus einem gedruckten Buch ablesen würde: (…)
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