Ehepaar_Busch2

 

  Lesen schadet den Augen

 

IMG_0010-red

                                           

           Literarische Erörterung (Charakteristik)  – Klausur

 

    Erörtern Sie den Charakter und die Rolle des Erzählers Pilenz in Günter Grass’  Novelle „Katz und Maus“.

 

„Denn hätte Mahlke das Ding unter Deck verstaut; oder besser noch, wäre ich nie mit Mahlke befreundet gewesen; oder noch besser, beides zusammen: das Ding weg, in der Funkerkabine, und ich nur locker, aus Neugierde, auch weil wir in einer Klasse saßen, an Mahlke gebunden – dann müßte ich jetzt nicht schreiben, müßte nicht zu Pater Alban sagen: „War es nun meine Schuld, wenn Mahlke später… Aber ich schreibe, denn das muß weg.“   (S. 106)

 

So charakterisiert Pilenz, der Erzähler der Novelle „Katz und Maus“ von Günter Grass,  sich und sein Verhältnis zu Mahlke. Er habe den Außenseiter verraten und sei damit schuld an seinem Tod, Aber ist Pilenz wirklich ein skrupelloser Verräter, als der er sich in diesem Schuldbekenntnis selbst darstellt? Ist seine Beziehung zu Mahlke ebenso wie sein Charakter nicht doch vielschichtiger und tiefer?

Zunächst scheint viel dafür zu sprechen, dass Pilenz Mahlke nach seiner Desertion im letzten Kapitel in den Tod treibt. Er scheint so förmlich die Katastrophe heraufzubeschwören, indem er Mahlke entweder durch Lügen oder falsche Empfehlungen verunsichert und seine Bemühungen hinterhältig unter dem Vorwand der Hilfeleistung konterkariert. Dieses Verhalten beginnt im zwölften Kapitel und setzt sich im letzten Kapitel bis zur Katastrophe fort.

Als erstes führt Pilenz ein Gespräch mit Oberstudienrat Klohse, scheinbar um Mahlke zu helfen. Dabei legt er dem Direktor jedoch die Argumente gegen Mahlke geradezu in den  Mund mit Einräumungen wie: „Der unumstößliche Faktor: Die Ordnung der Anstalt“ oder: „Nichts lässt sich ungeschehen machen…“ (S. 151)   So trägt er aktiv zur endgültigen Ablehnung des von Mahlke geplanten Vortrags durch Klohse bei, an der Mahlke schließlich zerbricht. Nach Mahlkes Desertion lehnt Pilenz ein Hilfsangebot Gusewskis ab (s. 160), will sich selbst „um ihn kümmern“. Auch durch dieses Hilfsangebot hätte die Katastrophe vielleicht verhindert werden können. Als der Deserteur Mahlke danach Hilfe und Unterschlupf bei Pilenz sucht, lehnt dieser ab und verweist auf den „Kahn“ (S. 162); auch dies trägt zum tragischen Ende bei. Nachdem Pilenz Mahlke dann widerwillig Essen geholt hat, erzählt er ihm, man habe schon zu Hause nach ihm gefragt (S, 167). Auch dies trägt zur Verwirrung Mahlkes und schließlich zu dessen Verschwinden bei. Schließlich stellt Pilenz seinen Fuß auf Mahlkes Büchsenöffner und nimmt ihm damit praktisch seinen Proviant für den Aufenthalt auf dem Minensuchboot (S. 175). Dies ist der direkte Verrat Pilenz’, der auch unmittelbar zur Katastrophe beigetragen haben könnte. Pilenz offenbart im selben Kapitel auch seinen zweiten Charakterzug neben dem des Verräters: den Beobachter Mahlkes, der  diesem nicht hilft, sondern im Gegenteil eine Freude an dessen Misserfolg zu haben scheint: Anders als verabredet fährt er nicht noch einmal mit dem Ruderboot zum „Kahn“ und überlässt Mahlke so seinem Schicksal. Dafür beobachtet er den Kahn lange Zeit mit dem Feldstecher (S. 177). Dieselbe Mentalität kommt bei der Ritterkreuzrede des Kapitänleutnants zum Ausdruck: Mahlke ist nervös, will den Vortrag nicht besuchen. Pilenz wittert für sich „Oberwasser“ (S. 81) und zieht ihn mit. Auch hier kommt also die Freude Pilenz’ an Mahlkes Unwohlsein zum Ausdruck.

Aufgrund dieser Tatsachen erscheint Pilenz also fast als „sensationsgieriger“ Beobachter Mahlkes, der ihm in der Notlage nicht hilft, im Gegenteil sogar schadet und eine fast perverse Freude zeigt, wenn Mahlkes einmal verliert.

 Ist diese Charaktereigenschaft des Pilenz und die anscheinend daraus resultierende Rolle als Verräter, als „Judas“ des „Erlösers“ Mahlke jedoch seine einzige Eigenschaft?

Direkt dagegen sprechen schon Pilenz Schuldgefühle, wie sie im genannten Zitat von Seite 106 deutlich werden. Pilenz scheint Mahlke zumindest aus seiner Perspektive als Erzähler, fast unfreiwillig geschadet zu haben, allein nämlich durch seine Freundschaft ihm gegenüber. Einige Seiten vor dieser Textstelle (S. 102 – 103) beschreibt Pilenz, wie er Mahlke nachgeeifert hat, wie er sich z.B. zur selben Zeit wie Mahlke rasieren wollte (S. 103). Mahlke ist also ein Vorbild für Pilenz; dessen Verehrung und Hörigkeit geht sogar soweit, dass er zugibt, er hätte – wenn Mahlke dies von ihm gewollt hätte -  sogar das  Ritterkreuz des Kapitänleutnants für Mahlke gestohlen. Pilenz scheint also doch eine recht tiefe Bindung zu Mahlke zu haben, der ihn mit seinen  „Heldentaten“ auf dem „Kahn“ zutiefst beeindruckt, ebenso durch seine männliche Reife, die im übergroßen Adamsapfel Mahlkes wie in seinem ebenso übergroßen Geschlechtsorgan zu Tage tritt. Man kann Mahlke also als eine Art „Vaterfigur“ für den Erzähler betrachten, als  einen Ersatz für dessen abwesenden Vater.  Dabei erlangt Pilenz, der sonst eher ein Mitläufer ist, was z.B. bei der freiwilligen Meldung zum Kriegsdienst zum Ausdruck kommt, eine gewisse Individualität allein durch die Freundschaft zum Außenseiter Mahlke. Das Beobachten weist also vielmehr auf Bewunderung als auf Verachtung hin, die Freude über das „Oberwasser“ erscheint so als Freude, das Vorbild an Selbstkontrolle zu übertreffen.

Die Rolle des Verräters ist schwerer zu erklären, vor allem, da sie im krassen Gegensatz zu Pilenz’ früherer Loyalität steht. Man  muss dabei jedoch bedenken, dass zwischen dieser Entfremdung des Pilenz die Trennung von Mahlke durch Arbeits- und Kriegsdienst und nicht zuletzt durch den Schulverweis steht. Mahlke war aufgrund seiner Andersartigkeit, seinem Ehrgeiz zu immer neuen Heldentaten bis zu diesem Punkt ein Vorbild für den Erzähler; nach dem Schulverweis folgt jedoch eine lange Phase der Entfremdung, nicht nur Pilenz’ von Mahlke, sondern auch Mahlkes von seinen früheren Idealen, was z. B. in seinem veränderten Erscheinungsbild als Soldat, dem alle Charakteristiken Mahlkes abhanden gekommen sind, deutlich wird (S. 145 ff). Auch innerlich hat sich Mahlke verändert; er ist gewissermaßen zum Einheitssoldaten geworden, immer noch zu Höchstleistungen fähig, aber kein Individuum mehr; diese Veränderung mag Pilenz als Verrat Mahlkes sowohl an sich selbst als auch an Pilenz als seinem „Jünger“ auffassen und mit einem Verrat beantworten; er zwingt Mahlke förmlich an den Ort zurück, an dem er seine früheren Heldentaten vollbracht hat und begreift dabei nicht, dass Mahlke zu diesen nicht mehr in der Lage ist: Durch seine Ermunterungen überfordert er Mahlke und tötet ihn so schließlich 1. Für diese Motive des Pilenz spricht auch die Dingsymbolik des Textes: Pilenz lehnt das Ritterkreuz, welches ihm Mahlke schenken will, als Symbol für dessen  „militärische Heldentaten“ ab (S. 165 ) ; das Foto von Mahlkes Valter, welches diesen früher motiviert hatte, behält er (S. 178).

Hier erscheint Pilenz also als Bewunderer, als abhängiger Jünger Mahlkes, der diesen aus falsch verstandenen Bewunderung heraus tötet.

Was ist Pilenz als so nun wirklich – Verräter oder Jünger?

Eine große Teilschuld des Erzählers an Mahlkes Tod ist nicht abzustreiten, seine Reaktion ist selbst mit obiger Begründung ebenso überzogen wie fatal, aber letztlich sind es doch vor allem die gesellschaftlichen Verhältnisse der Umgebung dieser beiden Jugendlichen, in der Kirche, Schule und Statt gemeinsam unter Verletzung ihrer Aufgaben vom Militarismus geprägt sind, wie auch die „Vaterlosigkeit“, in der alle positiven männlichen Identifikationsfiguren für Jugendliche im Krieg sind und damit ihre Funktion nicht ausüben können, die zu Mahlkes Verlust der Ideale und auch zu Pilenz’  „Ideal-Losigkeit“ geführt haben; Pilenz wie Mahlke sind orientierungslose Jugendliche2 , Kinder ihrer Zeit, die durch Propaganda und Militarismus zum Schlechten hin verändert werden. Derjenige, der ein Stück Individualität sowohl durch körperliche Auffälligkeit wie auch durch außergewöhnlichen Ehrgeiz zeigt, wird als „Maus“ gejagt und schließlich doch assimiliert. Pilenz zeigt sich in diesem Punkt sogar konsequenter als Mahlke:  Er erkennt diesen Verlust,  anders als Mahlke selbst, und „bestraft“ ihn dafür.3

So findet der Erzähler Pilenz einen individuellen Orientierungspunkt, mit dessen Verlust er jedoch nicht fertig wird. Seine Rolle ist also vor allem die des Suchenden, der sich an das, was er getan hat, klammert, und es mit allen Mitteln verteidigt, was durchaus auch der militärischen Gesellschaftsideologie entspricht.

 

                   Bernhard Angele  ©  – Gymnasium Bad Essen - Grundkurs zweistündig 10/ 2000

Die Klausur belegt einen souveränen Umgang mit der geforderten Arbeitsaufgabe. Gelernter Unterrichtsstoff und

eigene Textbeobachtungen sind nahtlos aufeinander abgestimmt.                                                                                    

  -      14  Pkt   - 

 

1 Zu bedenken hier: Joachim Mahlke bringt sich – absichtlich? – um seine Leistungsfähigkeit. Er überfrisst sich an unreifen

Stachelbeeren; allerdings: Der Große Mahlke hatte nie Verdauungsprobleme. Das spräche für Ihre These.

 

2  Zu berücksichtigen hier: die Marienfrömmigkeit und das Reinheitsideal Mahlkes. Er scheitert auch, da er beides nicht bewahren kann.

 

3  Ich bin anderer  Meinung. Der Freitod Mahlkes, wenn man denn das Ende so deutet, ist  konsequent - tragisch im antiken Sinne.  

 

 

     Sandra Heick  © vom GBE ganz herzlichen Dank für Katz und Maus ”Krümel”, schön wie ihr Weißling   (s. Sommer)

       und der blinde Passagier auf der Ente (s. Humor).

 

                             Lyrikschadchen – Erzähler in der Novelle – Literarische Erörterung bzw. Charakteristik  - 

                                 Textgrundlage: Günter Grass, Katz und Maus. Eine Novelle. . dtv  11822,  1999.  9.Aufl.

 

> PDF- Jagd

 

 

> Erzähler in der Novelle   

  > Romantypologie

> Stunde Null