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  Lesen schadet den Augen

 

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                      Kunstballade:  Ideenballade

    Die Ideenballade ist eine Variante der Kunstballade mit einer diesseitigen,

    handlungsstarken  Geschichte,  die den Helden in einer sittlichen Konfliktlage

    zeigt, deren Lösung ohne  Geisterwelt und  Numinosum gelingen kann, allein

    auf der Grundlage des eigenen edlen Wesens.  Gattungsprägend wurden die

    Balladen der Weimarer Klassik im “Balladenjahr” 1797.

     

    Beispiele:

        Goethe:

        Der Sänger  (1783)

        Der Gott und die Bajadere

         

        Schiller:  

        Der Gang nach dem Eisenhammer

        Der Handschuh    

        Der Kampf mit dem Drachen

        Der Ring des Polykrates   

        Die Bürgschaft     

        Die Kraniche des Ibykus  

        Hero und Leander   

        Kassandra

        Ritter Toggenburg

         

        Droste- Hülshoff:

        Die Vergeltung

         

        C . F. Meyer:

        Die Füße im Feuer 

        Die Rose von Newport

        Mit zwei Worten

         

        von Hofmannsthal:

        Ballade des äußeren Lebens

 

          *

        Johann Wolfgang Goethe (1749 – 1832)

        Der Sänger

         

        „Was hör' ich draußen vor dem Tor,

        Was auf der Brücke schallen ?

        Laß den Gesang vor unserm Ohr

        Im Saale widerhallen!"

        Der König sprach's, der Page lief;                 i

        Der Knabe kam, der König rief:

        „Laßt mir herein den Alten!"

         

        „Gegrüßet seid mir, edle Herrn,

        Gegrüßt ihr, schöne Damen!

        Welch reicher Himmel l Stern bei Stern!

        Wer kennet ihre Namen ?

        Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit

        Schließt, Augen, euch; hier ist nicht Zeit,

        Sich staunend zu ergetzen."

         

        Der Sänger drückt' die Augen ein

        Und schlug in vollen Tönen;

        Die Ritter schauten mutig drein

        Und in den Schoß die Schönen.

        Der König, dem das Lied gefiel,

        Ließ, ihn zu ehren für sein Spiel,

        Eine goldne Kette holen.

         

        „Die goldne Kette gib mir nicht,

        Die Kette gib den Rittern,

        Vor deren kühnem Angesicht

        Der Feinde Lanzen splittern!

        Gib sie dem Kanzler, den du hast,

        Und laß ihn noch die goldne Last

        Zu ändern Lasten tragen!

         

        „Ich singe, wie der Vogel singt,

        Der in den Zweigen wohnet;

        Das Lied, das aus der Kehle dringt,

        Ist Lohn, der reichlich lohnet.

        Doch darf ich bitten, bitt' ich eins:

        Laß mir den besten Becher Weins

        In purem Golde reichen!"

         

        Er setzt' ihn an, er trank ihn aus:

        „O Trank voll süßer Labe!

        O wohl dem hochbeglückten Haus,

        Wo das ist kleine Gabe!

        Ergeht's Euch wohl, so denkt an mich,

        Und danket Gott so warm, als ich

        Für diesen Trunk Euch danke."

                      (1783)

          *

      Friedrich Schiller (1759 - 1805)

      Der  Handschuh                                                                Erzählung 

       

      Vor seinem Löwengarten,

      Das Kampfspiel zu erwarten,

      Saß König Franz,

      Und um ihn die Großen der Krone,

      Und rings auf hohem Balkone

      Die Damen in schönem Kranz.

       

      Und wie er winkt mit dem Finger,

      Auftut sich der weite Zwinger,

      Und hinein mit bedächtigem Schritt

      Ein Löwe tritt,

      Und sieht sich stumm

      Rings um,

      Mit langem Gähnen,

      Und schüttelt die Mähnen,

      Und streckt die Glieder,

      Und legt sich nieder.

       

      Und der König winkt wieder,

      Da öffnet sich behend,

      Ein zweites Tor,

      Daraus rennt

      Mit wildem Sprunge

      Ein Tiger hervor,

      Wie der den Löwen erschaut,

      Brüllt er laut,

      Schlägt mit dem Schweif

      Einen furchtbaren Reif

      Und recket die Zunge,

      Und im Kreise scheu

      Umgeht er den Leu

      Grimmig schnurrend,

      Drauf streckt er sich murrend

      Zur Seite nieder.

       

      Und der König winkt wieder,

      Da speit das doppelt geöffnete Haus

      Zwei Leoparden auf einmal aus,

      Die stürzen mit mutiger Kampfbegier

      Auf das Tigertier,

      Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen,

      Und der Leu mit Gebrüll

      Richtet sich auf, da wird's still,

      Und herum im Kreis,

      Von Mordsucht heiß,

      Lagern sich die greulichen Katzen.

       

      Da fällt von des Altans Rand

      Ein Handschuh von schöner Hand

      Zwischen den Tiger und den Leu'n

      Mitten hinein.

       

      Und zu Ritter Delorges spottender Weis'

      Wendet sich Fräulein Kunigund:

      »Herr Ritter, ist eure Lieb' so heiß

      Wie ihr mir's schwört zu jeder Stund,

      Ei so hebt mir den Handschuh auf.«

       

      Und der Ritter in schnellem Lauf

      Steigt hinab in den furchtbar'n Zwinger

      Mit festem Schritte,

      Und aus der Ungeheuer Mitte

      Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.

       

      Und mit Erstaunen und mit Grauen

      Sehens die Ritter und Edelfrauen,

      Und gelassen bringt er den Handschuh zurück,

      Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde,

      Aber mit zärtlichem Liebesblick —

      Er verheißt ihm sein nahes Glück —

      Empfängt ihn Fräulein Kunigunde. 

      Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht:

      »Den Dank, Dame, begehr' ich nicht,«

      Und verläßt sie zur selben Stunde.

                                   *

    Friedrich Schiller (1759 - 1805)

    Der Ring des Polykrates   

                  Ballade

    Er stand auf seines Daches Zinnen,

    Er schaute mit vergnügten Sinnen

    Auf das beherrschte Samos hin.

    Dies alles ist mir untertänig,

    Begann er zu Egyptens König,

    Gestehe, daß ich glücklich bin.

     

    Du hast der Götter Gunst erfahren!

    Die vormals deines Gleichen waren,

    Sie zwingt jetzt deines Szepters Macht.

    Doch einer lebt noch, sie zu rächen,

    Dich kann mein Mund nicht glücklich sprechen,

    So lang des Feindes Auge wacht.

     

    Und eh' der König noch geendet,

    Da stellt sich, von Milet gesendet,

    Ein Bote dem Tyrannen dar:

    Laß Herr! des Opfers Düfte steigen,

    Und mit des Lorbeers muntern Zweigen

    Bekränze dir dein festlich Haar.

     

    Getroffen sank dein Feind vom Speere,

    Mich sendet mit der frohen Märe,

    Dein treuer Feldherr Polydor —

    Und nimmt aus einem schwarzen Becken

    Noch blutig, zu der Beiden Schrecken,

    Ein wohlbekanntes Haupt hervor.

     

    Der König tritt zurück mit Grauen:

    »Doch warn' ich dich, dem Glück zu trauen,

    Versetzt er mit besorgtem Blick.

    Bedenk', auf ungetreuen Wellen,

    Wie leicht kann sie der Sturm zerschellen,

    Schwimmt deiner Flotte zweifelnd Glück.«

     

    Und eh' er noch das Wort gesprochen,

    Hat ihn der Jubel unterbrochen,

    Der von der Reede jauchzend schallt.

    mit fremden Schätzen reich beladen

    Kehrt zu den heimischen Gestaden

    Der Schiffe mastenreicher Wald.

     

    Der königliche Gast erstaunet:

    Dein Glück ist heute gut gelaunet,

    Doch fürchte seinen Unbestand.

    Der Kreter waffenkund'ge Scharen

    Bedräuen dich mit Kriegsgefahren,

    Schon nahe sind sie diesem Strand.

     

    Und eh' ihm noch das Wort entfallen,

    Da sieht man's von den Schiffen wallen,

    Und tausend Stimmen rufen: Sieg!

    Von Feindesnot sind wir befreiet,

    Die Kreter hat der Sturm zerstreuet,

    Vorbei, geendet ist der Krieg.

     

    Das hört der Gastfreund mit Entsetzen:

    »Fürwahr, ich muss dich glücklich schätzen,

    Doch, spricht er, zittr' ich für dein Heil.

    Mir grauet vor der Götter Neide,

    Des Lebens ungemischte Freude

    Ward keinem Irdischen zu Teil.

     

    Auch mir ist alles wohl geraten,

    Bei allen meinen Herrschertaten

    Begleitet mich des Himmels Huld,

    Doch hatt' ich einen teuren Erben,

    Den nahm mir Gott, ich sah ihn sterben,

    Dem Glück bezahlt' ich meine Schuld.

     

    Drum, willst du dich vor Leid bewahren,

    So flehe zu den Unsichtbaren,

    Dass sie zum Glück den Schmerz verleihn.

    Noch keinen sah ich fröhlich enden,

    Auf den mit immer vollen Händen

    Die Götter ihre Gaben streun.

     

    Und wenn's die Götter nicht gewähren,

    So acht' auf eines Freundes Lehren

    Und rufe selbst das Unglück her,

    Und was von allen deinen Schätzen

    Dein Herz am höchsten mag ergötzen,

    Das nimm und wirf's in dieses Meer.«

     

    Und jener spricht, von Furcht beweget:

    »Von allem was die Insel heget,

    Ist dieser Ring mein höchstes Gut.

    Ihn will ich den Erinnen 1 weihen,     

    Ob sie mein Glück mir dann verzeihen.«

    Und wirft das Kleinod in die Flut.

     

    Und bei des nächsten Morgens Lichte

    Da tritt mit fröhlichem Gesichte

    Ein Fischer vor den Fürsten hin:

    Herr, diesen Fisch hab' ich gefangen,

    Wie keiner noch ins Netz gegangen,

    Dir zum Geschenke bring' ich ihn.

     

    Und als der Koch den Fisch zerteilet,

    Kommt er bestürzt herbeigeeilet,

    Und ruft mit hoch erstauntem Blick;

    »Sieh Herr, den Ring, den du getragen,

    Ihn fand ich in des Fisches Magen,

    O ohne Grenzen ist dein Glück!«

     

    Hier wendet sich der Gast mit Grausen:

    »So kann ich hier nicht ferner hausen,

    Mein Freund kannst du nicht weiter sein.

    Die Götter wollen dein Verderben,

    Fort eil' ich, nicht mit dir zu sterben.«

    Und sprach's und schiffte schnell sich ein.

                  1  Erinnyen = Rache-/ Schicksalsgöttinnen

              *

        Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)

              Die Rose von Newport

         

        Sprengende Reiter und flatternde Blüten,

        Einer voraus mit gescheitelten Locken -

        Ist es der Lenz auf geflügeltem Renner?

        Karl ists, der Jüngling, der Erbe von England,

        Und die sich nähern in goldener Mailuft,

        Das sind die Giebel und Tore von Newport,

        Drüber das Wappen der Stadt: eine Rose!

        Jubelnde Gassen und jubelnde Wimpel

        Und ein von treibender Jugend geschwelltes,

        Jubelndes Herz in dem Busen des Stuart...

        Unter den blühenden Linden des Marktes

        Schreitet ein Reigen von blühnden Gestalten,

        Und eine Schönste mit herzlichem Beben

        Bietet dem Prinzen die Rose von Newport:

        «Seliges Gestern und Morgen und Heute,

        Herr, dir die Rose von Newport bedeute!»

         

        Morgen erzählen die Linden das Märchen

        Von der entblätterten Rose von Newport.

         

        Sprengende Reiter und wirbelnde Flocken,

        Einer voraus mit verwilderten Haaren -

        Ist es der Winter, der finstre Geselle?

        Karl ists, der Flüchtling, der König von England.

        Seit er das Blut seines Volkes vergossen,

        Reitet er neben zerschmetterndem Abgrund..,

        Und die sich nähern in weißem Gestöber,

        Das sind die Giebel und Tore von Newport,

        Drüber das Wappen der Stadt: eine Rose!

        Nirgend ein Jubel und nirgend ein Wimpel,

        Polternde Hämmer und kreischende Feilen -

        Und ein von eisernen Fäusten gepresstes,

        Ächzendes Herz in dem Busen des Stuart...

        Unter den frierenden Linden des Marktes

        Bettelt ein Kind mit verschatteten Augen,

        Bietet dem König ein dorrendes Röschen:

        «Seliges Gestern und Morgen und Heute,

        Herr, dir die Rose von Newport bedeute!»

        Karl, der die Züge des Kindes betrachtet,

        Schmal und gespenstig im Spiegel des Elends

        Sieht er das eigene Antlitz und schaudert.

         

        Morgen erzählen die Linden das Märchen

        Von dem enthaupteten König von England. 

            

              *

           

    Warum dieser heldische Balladentyp in der Moderne nicht mehr  zu „funktionieren“ scheint,

     zeigt das folgende Beispiel:

 

      Hugo von Hofmannsthal (1874 – 1929)

      Ballade des äußeren Lebens

       

      Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen,

      Die von nichts wissen, wachsen auf uns sterben,

      Und alle Menschen gehen ihre Weg.

       

      Und süße Früchte werden aus den herben

      Und fallen nachts wie tote Vögel nieder

      Und liegen wenig Tage und verderben.

       

      Und immer weht der Wind, und immer wieder

      Vernehmen wir und reden viele Worte

      Und spüren Lust und Müdigkeit der Glieder.

       

      Und Straßen laufen durch das Gras, und Orte

      Sind da und dort, voll Fackeln, Bäumen, Teichen,

      Und drohende, und totenhaft verdorrte. . .

       

      Wozu sind diese aufgebaut? und gleichen

      Einander nie? und sind unzählig viele?

      Was wechselt Lachen, Weinen und Erbleichen?

       

      Was frommt das alles uns und diese Spiele,

      Die wir doch groß und ewig einsam sind

      Und wandernd nimmer suchen irgend Ziele?

       

      Was frommts, dergleichen viel gesehen haben?

      Und dennoch sagt der viel, der »Abend« sagt,

      Ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt

       

      Wie schwerer Honig aus den hohlen Waben.

                      (1895 ?)

                                                                                                                               

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