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  Lesen schadet den Augen

 

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                                   Frühlingsgedichte

       

        Walther von der Vogelweide  (ca. 1170 – 1230)

             (Lieder der ersten Wanderzeit: 1198 – 1203)

        1

        Der rife tet den kleinen vogelen we, 

        daz si niht ensungen.

        Nu hoere ichs aber wünneclich als e,

        nust diu heide entsprungen.

        Da sach ich bluomen striten wider den kle,

        weder ir lenger waere.

        Miner frowen seit ich disiu maere.

       

        2

        Uns hat der winter kalt und ander not

        vil getan ze leide.

        Ich wande daz ich iemer bluomen rot

        gesaehe an grüener heide.

        Joch schadet ez guoten liuten, waere ich tot,

        die nach fröiden ringen

        und die gerne tanzen unde singen.

         

        3

        Versumde ich disen wünneclichen tac,

        so waer ich verwazen.

        Und waere mir ein angeslicher slac:

        dennoch müeze ich lazen

        Al min fröide der ich wilent pflac.

        got gesegen iuch alle,

        wünschet noch daz mir ein heil gevalle!

     

     

    Walther von der Vogelweide   (Adaption)

    Frühling im Blick

    1

    Den kleinen Vögeln tat der Winterfrost weh,

    sodass sie das Singen vergaßen.

    Jetzt aber hör ich sie freudvoll wie eh

    nun ist die Gegend erblüht.

    Da sah ich die Blumen im Kampf mit dem Klee

    welcher mächtiger sei.

    Meiner Herrin gab ich Bericht.

    2

    Uns haben Kälte und Winternot

    viel Leidvolles angetan.

    Es kam mir so vor, dass ich niemals mehr

    rote Blumen im Grünen zu sehen bekäme.

    Doch mein Tod hätte keinem der Guten genutzt

    die sich um Fröhlichkeit mühen

    und gerne tanzen und singen.

     3

    Verpasste ich diesen ersehnten Tag

    dann fühlte ich mich bestraft

    und es wäre ein schrecklicher Schlag.

    Überdies bliebe dann unerweckt

    alle Freude, die mich jemals erfüllt hat.

    Gott segne  euch alle – so wünscht

    auch mir meinen Anteil am Frühlingssegen!

                                                                                                                                                                                                                                                                   Adaption: Lyrikschadchen © - 2007

 

            Johann Peter Uz (1720 – 1796)

            Frühlingslust

            Seht den holden Frühling blühn!

            Soll er ungenossen fliehn!

            Fühlt ihr keine Frühlingstriebe?

            Freunde, weg mit Ernst und Leid!

            In der frohen Blumenzeit

            Herrsche Bacchus und die Liebe.

             

            Die ihr heute scherzen könnt,

            Braucht, was euch der Himmel gönnt

            Und wohl morgen schon entziehet.

            Denn wer ists, der wissen mag,

            ob für ihn ein Frühlingstag

            Aus Aurorens Armen fliehet?

             

            Hier sind Rosen! Hier ist Wein!

            Soll ich ohne Freude sein,

            Wo der alte Bacchus lachet?

            Herrsche, Gott der Fröhlichkeit!

            Herrsche, denn es kommt die Zeit,

            Die uns trübe Stirnen machet.

             

            Aber, Phyllis läßt sich sehn!

            Seh ich Amorn mit ihr gehn?

            Ihm wird alles weichen müssen.

            Weiche, Wein! Wo Phyllis ist,

            Trinkt man seltner als man küßt:

            Bacchus, weg! Ich will nun küssen.

     

     

          Ludwig H. Ch. Hölty (1748 - 1776)

          Frühlingslied

          Die Luft ist blau, das Tal ist grün,

          Die kleinen Maienglocken blühn,

          Und Schlüsselblumen drunter;

          Der Wiesengrund

          Ist schon so bunt,

          Und malt sich täglich bunter.

    IMG_048_Drei Kinder

     

               Drum komme, wem der Mai gefällt,

        Und freue sich der schönen Welt

        Und Gottes Vatergüte,

        Die solche Pracht

        Hervorgebracht,

        Den Baum und seine Blüte.

            *

             

          Achim von Arnim (1781 - 1838)

          Der Kirschbaum

          Der Kirschbaum blüht, ich sitze da im Stillen,

          Die Blüte sinkt und mag die Lippen füllen,

          Auch sinkt der Mond schon in der Erde Schoß

          Und schien so munter, schien so rot und groß;

          Die Sterne blinken zweifelhaft im Blauen

          Und leiden ‘s nicht, sie weiter anzuschauen.

                              *

 

          Ludwig Uhland  (1787 – 1862)

          Frühlingsglaube

          Die linden Lüfte sind erwacht,

          Sie säuseln und weben Tag und Nacht,

          Sie schaffen an allen Enden.

          O frischer Duft, o neuer Klang!

          Nun, armes Herze, sei nicht bang!

          Nun muß sich alles, alles wenden.

           

          Die Welt wird schöner mit jedem Tag,

          Man weiß nicht, was noch werden mag,

          Das Blühen will nicht enden.

          Es blüht das fernste, tiefste Tal:

          Nun, armes Herz, vergiß der Qual!

          Nun muß sich alles, alles wenden.

              *

               

      Joseph von Eichendorff  (1788 – 1857)

      Frische Fahrt

      Laue Luft kommt blau geflossen,

      Frühling, Frühling soll es sein!

      Waldwärts Hörnerklang geschossen,

      Mutger Augen lichter Schein,

      Und das Wirren bunt und bunter

      Wird ein magisch wilder Fluß,

      In die schöne Welt hinunter

      Lockt dich dieses Stromes Gruß

       

      Und ich mag mich nicht bewahren!

      Weit von Euch treibt mich der Wind,

      Auf dem Strome will ich fahren,

      Von dem Glanze selig blind!

      Tausend Stimmen lockend schlagen,

      Hoch Aurora flammend weht,

      Fahre zu! Ich mag nicht fragen,

      Wo die Fahrt zu Ende geht!

          *

 

      Joseph von Eichendorff  (1788 – 1857)

      Frau Venus

       

      Was weckst du, Frühling, mich von  neuem wieder?

      Dass all die alten Wünsche auferstehen,

      Geht übers Land ein wunderbares Wehen;

      Das schauert mir so lieblich durch die Glieder.

       

      Die schöne Mutter grüßen tausend Lieder,

      Die wieder jung, im Brautkranz süß zu sehen;

      Der Wald will sprechen, rauschend Ströme gehen,

      Najaden tauchen singend auf und nieder.                                ( = Wassernymphen)

       

      Die Rose seh’ ich gehn aus grüner Klause

      Und, wie so buhlerisch die Lüfte fächeln,

      Errötend in die laue Flut sich dehnen.

       

      So mich auch ruft ihr aus dem stillen Hause –

      Und schmerzlich nun muss ich im Frühling lächeln,

      Versinkend zwischen Duft und Klang vor Sehnen.

       

                                       *

          Heinrich Heine (1797 - 1856)

          Die schönen Augen der Frühlingsnacht,

          Sie schauen so tröstend nieder:

          Hat dich die Liebe so kleinlich gemacht,

          Die Liebe, sie hebt dich wieder.

           

          Auf grüner Linde sitzt und singt

          die süße Philomele;

          Wie mir das Lied zur Seele dringt,

          So dehnt sich wieder die Seele

     .                                                *

    Philomele:  eine recht blutrünstige Gestalt der griechischen Mythologie, deren Rachegefühle – vergewaltigt und

    der Zunge beraubt - erst durch Zeus besänftigt werden, indem er sie in eine Schwalbe/ Nachtigall

    verwandelt; vielleicht hier ein  metaphorisches Bild für den Kampf der Jahreszeiten in der erwachenden Natur.

 

          Heinrich Heine (1797 - 1856)

          Mondscheintrunkne Lindenblüten,

          Sie ergießen ihre Düfte,

          Und von Nachtigallenliedern

          Sind erfüllet Laub und Lüfte.

           

          Lieblich lässt es sich, Geliebter,

          Unter dieser Linde sitzen,

          Wenn die goldnen Mondeslichter

          Durch des Baumes Blätter blitzen.

           

          Sie dies Lindenblatt! Du wirst es

          Wie ein Herz gestaltet finden;

          Darum sitzen die Verliebten

          Auch am Liebsten unter Linden.

           

          Doch du lächelst, wie verloren

          In entfernten Sehnsuchtsträumen –

          sprich, Geliebter, welche Wünsche

          Dir im lieben Herzen keimen?“

           

          Ach, ich will es dir, Geliebte,

          Gern bekennen, ach, ich möchte,

          Dass ein kalter Nordwind plötzlich

          Weißes Schneegestöber brächte;

           

          Und dass wir, mit Pelz bedecket

          Und im buntgeschmückten Schlitten,

          Schellenklingend, peitschenknallend,

          Über Fluss und Fluren glitten.

                                                                *

        Heinrich Heine (1797 - 1856)

        Frühlingsfeier

        Das ist des Frühlings traurige Lust!

        Die blühenden Mädchen, die wilde Schar,

        Sie stürmen dahin, mit flatterndem Haar

        Und Jammergeheul und entblößter Brust: -

                 Adonis! Adonis!

       

                Es sinkt die Nacht. Bei Fackelschein

        Sie suchen hin und her im Wald,

        Der angstverwirret widerhallt

        Von Weinen und Lachen und Schluchzen und Schrein:

                 Adonis! Adonis!

         

        Das wunderschöne Jünglingsbild,

        Es liegt am Boden blaß und tot,

        Das Blut färbt alle Blumen rot,

        Und Klagelaut die Luft erfüllt: -

                 Adonis! Adonis!

    Anm.:

    Adonis - gr. Mythos: der von einem Eber getötete Geliebte   der  Aphrodite; schöner Jüngling;     

       nach einem  orient. Mysterienkult  verkörpert der  sterbende und auferstehende Gott die      

      bald  nach ihrem Aufblühen von der  heißen Sommersonne versengte Frühlingsvegetation

     

          Heinrich Heine (1797 - 1856)

          Leise zieht durch mein Gemüt

          Liebliches Geläute,

          Klinge, kleines Frühlingslied

          Kling hinaus ins Weite.

           

          Kling hinaus bis an das Haus,

          Wo die Blumen sprießen.

          Wenn du eine Rose schaust,

          Sag ich lass sie grüßen.

              *

             

      Luise Hensel  (1798  - 1876)

      Kein Frühling mehr      

      Es sitzt in trauter Zelle

      Am Fenster ein Mägdlein bleich

      Und schaut hinab in die Welle,

      Da rollen zwei Perlen helle

      Wohl in das Wasser gleich.

            

      Sie hört eine Flöte von weitem,

      Sie blickt auf Schilf und Rohr;

      Da keimen verlorene Freuden,

      Da sprossen vergessene Leiden

      Ihr frisch im Herzen empor.

            

      »Die Welle rinnt und schäumet,

      Grün Laub schmückt wieder den Baum.

      Ach, Frühling, hast lange gesäumet!

      Nur ist mir, als hätt' ich geträumet

      Ein'n langen, schweren Traum.

            

      »Ich weiß, der Lenz schwebt nieder,

      Ich weiß wohl: es ist Mai;

      Doch kehren dieselben Lieder,

      Dieselben Blumen nicht wieder;

      Ist alles anders und neu.«     

          *

            Eduard Mörike (1804 - 1875)

             Er ist’s

            Frühling lässt sein blaues Band

            Wieder flattern durch die Lüfte;

            Süße, wohlbekannte Düfte

            Streifen ahnungsvoll das Land.

            Veilchen träumen schon,

            Wollen balde kommen.

            -  Horch, von fern ein leiser Harfenton!

            Frühling, ja du bist’ s!

            Dich hab ich vernommen!

                  *

          Johannes Trojan (1837 – 1915)

          Offiziöser Frühling

           

          Einzugsberechtigt

          Naht sich, ermächtigt

          Von der Behörde,

          Der Lenz der Erde.

           

          Bei günstigem Wetter

          Erscheinen Blätter,

          Um das zu lohen,

          Was kommt von oben.

           

          Geprüfte Lerchen,

          Gefolgt von Störchen

          Mit Meldescheinen

          Ziehn an auf Rainen.

           

          Von Veilchendüften

          Erfüllt sind Triften;

          Was zur Vergnügung

          Dient — laut Verfügung.

           

          Grün färbt der Wald sich,

          Wos Volk alsbald sich

          Der Vöglein gattet,

          Nachdems  gestattet.

           

          Die Frösche laichen

          In Kalmusteichen

          Gehobnen Hauptes —

          Der Staat erlaubt es.

           

          Vermerkt in Listen

          Durch Polizisten

          Lässt sich auf Flieder

          Der Käfer nieder.

           

          Um zu erfüllen

          Des Landraths Willen

          Muss Hafer spriessen

          Und Spargel schiessen.

           

          Für Frühlingsgaben,

          Umsonst zu haben,

          Dankt der Regierung

          Durch gute Führung.

             *

          Johannes Trojan (1837 – 1915)

          Der Mai

           

          Nun ist es Mai, denn es verstrich

          Soeben der April,

          Und rings umher entwickelt sich

          Unendliches Chlorophyll.

           

          Die Zellenbildung schreitet vor,

          Besonders bei der Saat;

          Es wälzt der Vegetarier Chor

          Sich jauchzend im Spinat.

           

          Die Lerche schwimmt im reinen Blau

          Und trillert immerfort;

          Der Dichter dichtet von der Au,

          Der Vogel pflanzt sich fort.

           

          Die Motte schwärmt ums Kanapee

          Und nähert sich dem Licht;

          Zum Corso strömt die Haute- volée –

          Der Mittelstand kanns nicht.

           

          Und schön ist Alles ringsumher

          Und Alles ganz wie neu.

          Wenn nicht die Spargel so theuer wär,

          Wie herrlich wäre der Mai.

              *

          Johannes Trojan (1837 – 1915)

          (Hauptstädtischer Frühling III)

          Das Bockbier

           

          Kommt, Kinder, seht den Vater an!

          O seht, wie sieht er aus!

          Dass man ihn kaum erkennen kann,

          So taumelt er ins Haus.

           

          Er schwankt und wankt, als hätt' er, ach,

          Verloren jeden Halt!

          Wie ist er auf den Beinen schwach.

          Und hört nur, wie er lallt!

           

          Wie sieht er aus, wie sonderbar!

          Zerknittert ist sein Hut!

          So ist er einmal nur im Jahr —

          Es wär' auch sonst nicht gut.

           

          Sein Regenschirm scheint fort zu sein,

          Zerrissen ist sein Rock!    

          Jetzt zieht der Frühling draussen ein,

          Denn Vater kommt vom Bock.

                                                  *

        Detlev von Liliencron (1844 – 1909)

        Märztag

        Wolkenschatten fliehen über Felder,

        Blau umdunstet stehen ferne Wälder.

         

        Kraniche, die hoch die Luft durchpflügen,

        Kommen schreiend an in Wanderzügen.

         

        Lerchen steigen schon in lauten Schwärmen,

        Überall ein erstes Frühlingslärmen.

         

        Lustig flattern, Mädchen, deine Bänder,

        Kurzes Glück träumt durch die weiten Länder.

         

        Kurzes Glück schwamm mit den Wolkenmassen,

        Wollt’ es halten, musst’ es schwimmen lassen.

              *

        Augustin Wibbelt (1862 - 1947)

        Fröhjaohr

        Dat Liäben is nich daut to kriegen,

        Et will ut swatte Äer stiegen

        Met sine grönen Poten.

         

        Wat is all buten, wat no binnen,

        Et klaiet un steiht, wo män to finnen   (klaien= klettern)

        En Plätzken, üm to foten.                         (foten = Fuß fassen)

        Rächt so! Dat Liäben mott gewinnen.

            *

                       Arno Holz (1863 – 1929)

                              Erste Lerche

                     Zwischen Gräben und grauen Hecken,

            den Rockkragen hoch, beide Hände in den Taschen,

            schlendere ich durch den frühen Märzmorgen.

             

            Falbes Gras, blinkende Lachen und schwarzes Brachland,

                  so weit ich sehn kann.

             

                            Dazwischen,

                    mitten in den weißen Horizont hinein,

                             wie erstarrt,

                         eine Weidenreihe.

             

                         Ich bleibe stehn.

             

             Nirgends ein Laut. Noch nirgends Leben.

                Nur die Luft und die Landschaft.

             

            Und sonnenlos., wie den Himmel, fühle ich mein Herz!

             

                      Plötzlich ... ein Klang!

             

                     Ich starre in die Wolken.

             

                                Über mir,

                                 jubelnd,

                     durch immer heller werdendes Licht,

                               die erste Lerche!

                  *

                    (aus: A. Holz, Phantasus, Erstes Heft Berlin 1898)

           

            Max Dauthendey (1867 - 1918)

            Die Amseln haben Sonne getrunken

            Die Amseln haben Sonne getrunken,

            Aus allen Gärten strahlen die Lieder,

            In allen Herzen nisten die Amseln,

            Und alle Herzen werden zu Gärten

            Und blühen wieder.

             

            Nun wachsen der Erde die großen Flügel

            Und allen Träumen neues Gefieder,

            Alle Menschen werden wie Vögel

            Und bauen Nester im Blauen.

             

            Nun sprechen die Bäume in grünem Gedränge

            Und rauschen Gesänge zur hohen Sonne,

            In allen Seelen badet die Sonne,

            Alle Wasser stehen in Flammen,

            Frühling bringt Wasser und Feuer

            Liebend zusammen.

                   * 

               

              Else Lasker – Schüler (1869 – 1945)

              Frühling

              Wir wollen wie der Mondenschein

              Die stille Frühlingsnacht durchwachen,

              Wir wollen wie zwei Kinder sein,

              Du hüllst mich in dein Leben ein

              Und lehrst mich so, wie Du, zu lachen.

               

              Ich sehnte mich nach Mutterlieb‘

              Und Vaterwort und Frühlingsspielen,

              Den Fluch, der mich durch’ s Leben trieb,

              Begann ich, da er bei mir blieb,

              Wie einen treuen Feind zu lieben.

               

              Nun blühn die Bäume seidenfein

              Und Liebe duftet von den Zweigen.

              Du musst mir Mutter und Vater sein

              Und Frühlingsspiel und Schätzelein!

              -- Und ganz mein Eigen...             

                               (1902)

                  *

              Hugo von Hofmannsthal  (1874 – 1929)

              VORFRÜHLING

               Es läuft der Frühlingswind

              Durch kahle Alleen,

              Seltsame Dinge sind

              In seinem Wehn.

               

              Er hat sich gewiegt,

              Wo Weinen war,

              Und hat sich geschmiegt

              In zerrüttetes Haar.

                     

              Er schüttelte nieder

              Akazienblüten

              Und kühlte die Glieder,

              Die atmend glühten.

               

              Lippen im Lachen

              Hat er berührt,

              Die weichen und wachen

              Fluren durchspürt.

               

              Er glitt durch die Flöte

              Als schluchzender Schrei,

              An dämmernder Röte

              Flog er vorbei.

               

              Er flog mit Schweigen

              Durch flüsternde Zimmer

              Und löschte im Neigen

              Der Ampel Schimmer.

               

              Es läuft der Frühlingswind

              Durch kahle Alleen,

              Seltsame Dinge sind

              In seinem Wehn.

               

              Durch die glatten

              Kahlen Alleen

              Treibt sein Wehn

              Blasse Schatten.

               

              Und den Duft,

              Den er gebracht,

              Von wo er gekommen

              Seit gestern nacht.

                  *

        Rainer Maria Rilke ( 1875 – 1926)

        FRÜHLING ist wiedergekommen. Die Erde

        ist wie ein Kind, das Gedichte weiß;

        viele, o viele … Für die Beschwerde

        langen Lernens bekommt sie den Preis.

         

        Streng war ihr Lehrer. Wir mochten das Weiße

        an dem Barte des alten Mannes.

        Nun, wie das Grüne, das Blaue heiße,

        dürfen wir fragen: sie kanns, sie kanns!

         

        Erde, die frei hat, du glückliche, spiele

        nun mit den Kindern. Wir wollen dich fangen,

        fröhliche Erde. Dem Frohsten gelingts.

         

        O, was der Lehrer sie lehrte, das Viele,

        und was gedruckt steht in Wurzeln und langen

        schwierigen Stämmen: sie singts, sie singt!

                                                                                      (1922)

        Rainer Maria Rilke ( 1875 – 1926)

        Vorfrühling

        HÄRTE schwand. Auf einmal legt sich Schonung

        an der Wiese aufgedecktes Grau.

        Kleine Wasser ändern die Betonung.

        Zärtlichkeiten, ungenau,

         

        greifen nach der Erde aus dem Raum.

        Wege gehen weit ins Land und zeigens.

        Unvermutet siehst du seines Steigens

        Ausdruck in dem leeren Baum.

                          (1924)*

          Oskar Loerke (1884 – 1941)

          Die Frühlingsfähren

           

          Die Mühle zielt mit ihrem Flügel

          Nach einem fernen Haselbusch,

          Der Maulwurf gräbt und wirft den Hügel,

          Als baue er den Hindukusch.

          Und aller Bauern Güter gären,

          Und alle Gärten kochen Seim,

          Und rings gehn unsichtbare Fähren

          In süßen Kurven nach Nirgendheim.

           

          Im Walde springt es wie von Riegeln,

          Da quillt das rote Harz vom Kien

          Und hockt in Buckeln, Blasen, Spiegeln

          An Stämmen, die gen Himmel ziehn.

          Im Walde haust ein wildes Schwären,

          Das rauscht bei Nacht wie offner Most,

          Jetzt fahren unsichtbare Fähren:

          Steig ein nach Süd! Komm mit nach Ost!

           

          Wie Handwerksburschenträume tanzen

          Die Wolken, seelenvoll besonnt,

          Als berstend dickgefüllte Ranzen

          Von Horizont zu Horizont.

          Die Himmel werden weit und gären

          Wie neuer Welten Sauerteig.

          Hoch steigen unsichtbare Fähren

          Entgegen jedem Zukunftsreich.

           

          Die blaue Luft hat lauter Türen,

          Und blaue Türen sind die Seen

          In unsre Erde: sie verführen

          Verliebte Menschen, einzugehn.

          Und immer höher gehn die Fähren.

          Mit Kraut verwächst, ein schlecht Idol,

          Die Erde, doch von selgen Heeren

          Schallts auf sie nieder: Fahrewohl!

           

          Die Ströme ziehn wie blanke Seile,

          Vor die ein Sturmpferd sich gespannt.

          Und schleppen sie noch eine Weile,

          So werfen sie ins Meer ihr Land.

          Fast jeder keucht nach andern Meeren,

          Die Wolga, der Guadalquivir.

          Laß fahren hin, denn Himmelsfähren,

          Gehn, Bruder, über dir und mir.

                          *

          Oskar Loerke (1884 – 1941)

          Frühling um den Soldatenfriedhof

           

          Ein Regen hat die Festung rotgewaschen,

          Sie leuchtet wie Fanale.

          Gewölk umschwebt sie dicht wie Dämpf und Aschen,

          Und leuchtende Signale,

           

          Vom Sturme in das blaue Tal verschlagen,

          Sind wie der Furchen Aufgehn,

          Erddüfte, die im Wind zum Himmel jagen,

          Sind wie der Geister Aufstehn.

           

          Die Friedhofsengel scheinen wie nach Geigen

          Von ihrem Grab zu schreiten.

          Die Mispeln tanzen in den nackten Zweigen,

          Und die Soldaten reiten . . .                  (aus: Wanderschaft, 1911)

                       

        Max Herrmann-Neiße (1886 – 1941)

        Neuer Frühling

         

        Die Gartenzäune werden frisch gestrichen,

        es riecht nach Farbe und nach Lenzbeginn,

        und was der Wind bewahrt vom Winterlichen,

        verliert allmählich Wichtigkeit und Sinn.

         

        Die schönen Frauen wagen sich ins Freie,

        zu leicht bekleidet schon und frieren sehr;

        die schönste lotst mit heisrem Wollustschreie

        ihr Hündchen durch den tödlichen Verkehr.

         

        Die Omnibus-Chauffeure schmettern heiter

        ein Lied, wie Sieger strahlend, hoch vom Bock.

        Ein Roß geht närrisch durch mit seinem Reiter.

        Buntscheckig sprüht der neue Häuserblock.

         

        Sogar das Elendsviertel will sich  schmücken:

        an trüben Fenstern grüßt ein junges Grün,

        und meine Hoffnung baut sich Blumenbrücken

        zur Sommerinsel, wo die Rosen blühn.

                                                                    (1937)

        Max Herrmann-Neiße (1886 – 1941)

        Unseliger Frühling

         

        Vor diesem Frühling fühl’ ich mich benommen,

        an seine Zärtlichkeiten nicht gewöhnt,

        denn schwerer Krankheit bin ich grad entkommen

        und mit dem Leben noch nicht ausgesöhnt.

        Das Liebevolle macht mein Herz verlegen,

        die Sehnsucht ist noch schwach und ungeschickt,

        verzagt geht sie dem Blühenden entgegen,

        weil sie im Knöspchen schon den Tod erblickt.

        Das Trauern ist mir näher als das Lachen:

        das Weh der Welt vergißt sich nicht so leicht;

        der bunte Krokus kann mich weinen machen.

        Im Winde , der das frische Grün umstreicht,

        vernehme ich die Seufzer der Geplagten.

        Von welchem Unheil ist dies der Beginn? 

        Was morgens leise sich die Lüfte sagten,

        enthüllt am Abend einen schlimmen Sinn.

        So geh ich durch den Lenz voll Unbehagen

        ist mir bei ihm noch herbstlich grau zumut,

        und auch was kommt mit holden Sommertagen,

        ist voll Gewaltsamkeit und riecht nach Blut

                                                                („Pariser Tageszeitung“  16./17. 04. 1939

 

        Ernst Blass (1890  - 1939)

        Märzabend

                                        Meinem Freunde Kurt Hiller gewidmet

         

        Die Luft kommt hart und mauerhaft herein

        Durch offne Fenster. Und sie bringt Bazillen

        Von Influenza sicherlich herein.

        Und in dem unerbittlich Mauerstillen:

        Zwei schwarze Schwäne, die

        Mit Fadenhälsen Hyazinthen spein.

         

        Vom Tode werden Mädchen oft entrückt

        Dem Arzte, der noch Kampfer injiziert.

        Dann wieder wird in Stuben kondoliert,

        Wo Schränke stehen, weise und gedrückt;

        Und Menscheneinsamkeit, die schüttelfröstelnd stiert

        In Räume, in luftleere Räume.

                                                                                (1912)  

         

        Ernst Blass (1890 – 1939)

        Vorfrühling

         

        Es sind schon wieder Mädchen in dem Park.

        Hellblauer Himmel streicht gleich einer Hand

        Über dein Angesicht. Die Luft hat Mark.

        Nachmittag ist im schon beschenkten Land.

         

        Die Vögel machen flatternden Radau.

        Der Ärger, vormittags, war er so arg?

        Du fühlst die Luft nahrhaft und schwingend stark –

        Zuweilen nur ist sie ein bißchen rauh.

         

        Was man nicht konnt’ den ganzen Winter lang:

        Im Freien sitzen, viel, auf einer Bank,

        Das kann man wieder, o der Luft sei Dank.

         

        Man kann die ganze Stadt hier übersehn.

        Links ist der Sonne Abenduntergehn,

        Rechts kühne Wolken, die nach Westen wehn.             (1914)

              *

          Hans Bender (1919 - 2015)

          Frühlingsanfang 

           

          Warum sind die Vögel im Garten

          so gut gelaunt gewesen?

          Haben auch sie in der Küche

          das Kalenderblatt gelesen?

         

             *

    (aus:  Hans Bender, Auf meine Art. Gedichte in vier Zeilen, Hanser Verlag 2012, S. 39;

    dem Autor ein herzliches Dankeschön für die Publikationserlaubnis vom 12. 02. 2012.)

 

        Maximilian Zander (1929 -  2016)

        MAKELLOSE MÄRZLANDSCHAFT, ausgedacht

        von drei Bäumen und einem wolkenleeren

        Himmel und einem kleinen schwarzen Vogel

        auf einem konkav gekrümmten Zweig.

         

                *

      (aus: Maximilian Zander, Antrobus’ Tagebuch. Gedichte, Edition YR Sistig/ Eifel 2004 , S. 54

        Dem Autor herzlich gedankt für die Abdruckerlaubnis – 2010)

 

            Horst Bingel (1933 - 2008)

            Zwölf Runden

            Alles, alles Dunst und Rauch, und

            Rauch, auch der Frühling nur

            ein Hauch, nur ein Hauch, du

            stehst am besten, besten gar

            nicht auf, sonst legt,

            legt dein, legt dein

            Finanzminister

            seinen Finger

            drauf.

 

    aus: Horst Bingel, Den Schnee besteuern.  Orte-Verlag  Oberegg AI / Zürich 2009

              Frau Baraba Bingel herzlich gedankt für die Abdruckerlaubnis. 

 

        Peter Härtling ©  (1933 - 2017)

         

        Schon im März kannst du die Apfelbäume

        zwischen Dorf und Berg singen hören: leise und trunken

        von Erwartung. Manchmal gehen Bäume zwischen

        Stämmen und zählen die Blüten, die es regnet:

        Sterntropfen, weiß mit einem goldenen Kern.

                                                     *

                      aus: Peter Härtling, Fenstergedichte. Radius Verlag, Stuttgart 2007, S. 44

      Am 09.05.2011 erhielt ich in einem freundlichen Brief die Abdruckerlaubnis. Der Autor verstarb am 10. 07. 2017. R.I.P.

       

                          Ohne Erlaubnis blüht dir was:

                   Hermann Hesse (1877 – 1962) Frühling in Locarno (Wipfel wehn in dunklem Feuer)

      Rose Ausländer (1901 – 1988) Dehnen (Die Bäume/ schlagen schon aus)

                                                          Flüchtiger Frühling (Turmuhr/ Mitternachtsfaust)

      Günter Eich  (1907 – 1972) März (Manche hoffen noch,/das Jahr werde hier ende)

      Heinz Erhardt (1909 -1979) Humanistisches Frühlingslied (Amsel, Drossel, Star und Fink)

      Hilde Domin (1909 -2006)  Der Frühling ein riesiger Specht (hat alle Bäume verwundet)    

      Mascha Kaléko (1912 – 1975)  Nennen wir es  „Frühlingslied“  (In das Dunkel dieser

                                                                                                                       alten,  kalten Tage)

      Karl Krolow (1915 – 1999) Frühjahr (Es gibt noch kein Gras/ zu besingen)

                 Jahreszeiten (Jeder Frühling beginnt mit Übertreibungen)

      Rainer Brambach (1917 – 1983) März in Basel (Was immer der März bereithält )

      Paul Celan (1920 – 1970) Aufs Auge gepfropft (Aufs Auge gepfropft)

      Ilse Aichinger (1921 - 2016) März (Die grauen Kühe trotten)

                                      Märzwunsch an den Garten (Bleib ein Panter)

      Jürgen Becker (* 1932) Im Frühling (Grünes, verschwindend; und mehr)

      Der März in der Luft des Hochhauses (Von oben gesehen, der Stand der gelben Ereignisse)

      Reiner Kunze (* 1933)  Fast ein Frühlingsgedicht (Vögel, postillone, wenn/ ihr anhebt kommt der brief)

      Dorias Runge (*1943) jahreszeiten ( frühling/dem bettler/das herz in den hut)

      Ulla Hahn (* 1946): Frühjahr  (In diesem Frühjahr blüht der Baum nicht mehr)

                                                                                                                                                                                                                           *

          Erich Adler ©

          Voyeur meiner Gärtnerin

           

          Zwischen deinen Rosen

          gehst du umher die

          dreiste

          Schere zwischen die Dornen

          getaucht eilt sich

          am Siebenschläfer vom ermüdeten 

          Frühling aus schon die anderen

          ruchlosen

          Jahreszeiten im Blick

           

          Sieben Wochen verschärfte

          Aussicht

          auf

          Rosa romantica.

            *

          Erich Adler ©

          Fröhjaohrsmedsien

           

          Wi sitten in ne Runde.

          De Winter gait vüörbi,

          de kaolte lange Luulaatsk

          gäng enliks in de knai.

           

          Kiek do, dat kleene Krütken.

          De bluomen blain aal bunt.

          Vördriwen griese Suorgen.

          Dat Hiärt wird glieks gesunt

           

          (för de “Plattdütske Runne Bad Essen” – April 2011)

          s. a. Augustin Wibbelt. Gedichte in münsterländischer Mundart

                                                                                                                                                                                                                                              

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