Ehepaar_Busch2

 

  Lesen schadet den Augen

 

IMG_0010-red

     

                                     Elegie

     

    I.

         -  Inhalt und Stimmungslage ohne Auflage, aber anfangs

             (7.Jhdt.v.Chr) besteht Formpflicht!

         -  in  Distichen (Hexameter und Pentameter kombiniert)

                Distichon: Zweizeiler - Gedicht

     

                     Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule,

                     Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab.

                                                                                (Schiller: Das Distichon)

                   Hexameter:

                    Sechsheber: (Homer-Vers seiner Epen Ilias / Odyssee):

       Nénn mir Schü´ler die Záhl  bekánnt aus der déutschen Geschíchte

     

                 Pentameter:

                       Fünfheber (dem Namen nach), aber eigentlich ein Sechsheber!:

      Wás du bis héut nicht kapiért,  kómmt dann im Lében nicht vór!

                                         (Non scholae…..“)

     

    (Macht mir richtig Spaß, Ihnen mein Weltbild so nebenbei unterzujubeln! - Also, auf das Formale achten und sich seinen Teil denken! - Das muss man als Schüler auch lernen. (Muss??? Wieso?)

 

    Im 5. Kapitel der »Poeterey” (1624)  gibt Martin Opitz eine Definition und  Übertragung der holländischen Elegie “Of Clachte”:

     »In den Elegien hatt man erstlich nur trawrige sachen/ nachmals auch buhlergeschäffte /               klagen der verliebten /wündschung des todes / brieffe / verlangen nach den abwesenden/ erzehlung seines eigenen Lebens vnnd dergleichen geschrieben; wie dann die meister derselben /     Ouidius / Propertius / Tibullus / Sannazar / Secundus / Lotidnus vnd andere außweisen.«                     

 

      Vom Abwesen seiner Liebsten

       

      WErd ich die Zeit wohl sehn / daß doch der Tag anbreche /

      Darinnen ich mein Lieb noch endlich schawen soll?

      Jhr Stunden laufft doch fort / fliegt weg als Wasserbäche:

      Weil jhr so langsam seyd / so bin ich trawrens voll.

      Auff / Morgenröth / auff / auff; spann  an des Phebus1  Pferde /

      Vnd sprich / er solle fort / es sey schon ziemlich spat /

      Daß er betrogen werd' / vnd nahe sich der Erde:

      Ach Thetis2 laß jhn gehn den langen Sommergrad3.

       Du / Monde / kanstu dich denn also wol verweilen?

      Wie lange seet doch der Morpheus4 Schlaffkraut auß?

      Sieh ob du nicht vermagst die Sonne zu ereilen/

      Vnd einzukommen noch in jhr vergüldtes Hauß.

       Ich muß noch manche stund' in Sorg' vnnd Kummer schweben /

      Muß noch in Angst vnd Noth verbringen lange Zeit /

      Eh' als der Tag anbricht / darinnen mich mein Leben

      Bescheine durch das Liecht der hohen Freundligkeit.

      Ach warumb hab' ich doch in mein Gemüt  empfangen

      Jhr' vnerhörte Zier vnd Tugend gantz vnd gar?

       Mein Hertze seufftzet stets / vnd brennet mit Verlangen /

      Vnd macht mir einen Tag noch länger als ein Jahr.

       Als mich das schnöde Glück  auß jhrer Hand gerissen /

      Hat es zugleiche mich gerissen auch von mir:

      Ich muß mein Hertze nun mit Threnen stets begießen:

      Ich bin nicht bey mir selbst wann ich nicht bin bey jhr.

       Ach solt' ich sehen nur jhr Göttliches Gesichte /

      Wie selig weren mir Gedancken / Muth vnd Sinn!

      Ein eintzig Augenblick von jhrem hellen Liechte /

      Daß fast die Sternen trutzt / legt alles Trawren hin.

       Ach kerne doch die Zeit der hochgewünschten frewden /

      Daß ich erblickte nur den wunderklaren schein. 

       Wann aber ich von jhr mich werde müssen scheiden /

      Da wünsch  ich weiter dann im leben nicht zu seyn. »

       

       1 = Sonnengott

       2 =   Meeresgöttin 

      3 = Verlauf der Sonnenbahn im Sommer

      4 =  Gott des Schlafes

 

          II.

     

          Franz Grillparzer  (1791 – 1872)

          Elegie auf den Tod einer Grille

           

          Musen, hüllet mir die Leier,

          Die sonst nur der Freud erklang,

          In der Trauer dunklen Schleier:

          Klagend halle mein Gesang.

           

          Schwermutsvoll in dumpfen Tönen

          Weine, holde Elegie,

          Fleuch, o fleuch mit leisem Stöhnen

          Hin ins Land der Phantasie!

           

          Hebe dich auf leichten Schwingen

          Zu der Göttin hehrem Thron,

          Hilf ein Totenlied mir singen

          In Tibulls* gerührtem Ton.    

           

          Zwar nur eine kleine Grille

          Ist es, was mein Lied beweint,

          Aber diese niedre Hülle

          Barg mir einen lieben Freund,

           

          Einen Freund, der mir die Sorgen

          Aus dem wunden Herzen sang,

          Der an jedem frühen Morgen

          Freudig mir entgegensprang.

           

          Er, der oft mit seinen Scherzen

          Lust und Heiterkeit mir gab,

          Stürzt', ein Raub von herben Schmerzen,

          In sein allzufrühes Grab!

           

          Tot liegt er vor meinen Füßen,

          Tot vor meinem nassen Blick,

          Unerweckbar meinen Küssen,

          Nimmer kehret er zurück!

           

          Schlafe denn, da dich mein Kummer

          Nimmermehr zum Leben ruft,

          Schlafe denn den Todesschlummer,

          Ruhe sanft in düstrer Gruft.

                                                                    (14. 05. 1806) 

 

             * Tibull  - ca. 50 – 19 v. Chr. Röm. Elegiendichter

                *

 

    Die Elegie entwickelt sich inhaltlich dann schwermütig, melancholisch, im Motivkreis von Abschied, Sehnsucht, Totenklage,  Trauer, Verlust, usw.  und  ist     in   allen Epochen bis zur Moderne zu finden: Rilke: Duineser Elegien, Paul Celan: Engführung, Psalm u.a.m.

      

    „Und ich verlegte mich darauf, Weisheit und Wissen zu erkennen, Torheit und Narrheit.(…)  Ich  musste erkennnen: auch dies ist ein Jagen nach Wind.s (…)  Da Auge wird vom Sehen nicht satt,  das Ohr vom Hören nicht voll. Es bleibt kein Erinnern an die Früheren und auch für die Späteren, die kommen werden: Es gibt kein Erinnern an sie bei denen, die noch später kommen.“                                                                                         (aus:  Prediger/ Kohelet 1)

     

         Gras, auseinandergeschrieben. Die Steine, weiß,

        mit den Schatten der Halme:

        Lies nicht mehr -schau!

                                                       (Paul Celan: Engführung)

     

     Welche Aufgabe, welche Erschütterung für einen Lyriker wie Celan, dessen    Motivation sich          in den Anfängen seiner Poesie ganz auf das Erinnern stützen muss;    er, der dem Tod in den KZ    entkommen konnte und dessen dialogische Lyrik mit    der ermordeten Mutter im Gespräch   bleiben muss, damit der Sprecher selbst    existentiell bestehen kann. Jiskor - Erinnerungformel   für die Rettung am    Schilfmeer bleibt doch anfangs Grundlage der Celanschen Aufgabe, stellver-   tretend die Ermordeten zu zählen, die Mandeln, denen Erlösung so fern gerückt    scheint, so   verweigert. („Ein Neuer fragt: Wo kommt der grässliche Rauch her?“    -  Wandelnde Leichen   nennt Alfred Kantor in seinen ersten Bildern nach der     Befreiung des Lagers Auschwitz sein   dokumentarisches Aquarell.)

     

     Erinnerung als Aufgabe im Wissen um ihre Sterblichkeit, Vergeblichkeit -

     

    Und die Elegie, von allen Formverpflichtungen längst befreit, scheint dann als formaler Halt des Sprechers eine adäquate poetische Möglichkeit.

      

    (Aus Gründen des copy-Schutzes muss es hier bei Andeutungen bleiben; Text- beleg   für die elegische „Tonlage“ sind in Celans Werk zahlreich zu finden, und sind eben frei von jeder  Sentimentalität und Larmoyanz, die seinen ersten Gedichten auf dem „Feuerstuhl“ der Gruppe 47  unterstellt wurden.)

     

    Ein ganz anderer Kontext, ein ganz anderer Lebenshintergrund, mag anschaulich machen, was der elegische Ton in der Lyrik leisten kann:

     

     Luise Hensel ( 1798 - 1876)

     Abschied von der mütterlichen Freundin.

     

    Scheiden!  o bitterer Kelch, bald wird meine Lippe dich kosten!

    Scheiden!  o schmerzendes Wort, das durch die Seele mir dringt!

    Sichel, so schneidend und scharf, du kommst meine Blumen zu fällen.

    Köcher voll tötender Pfeil', o wie erbeb' ich vor dir!

     

    Heute noch kann meine Hand die trautesten Hände erfassen,

    Heute noch findet mein Blick, Mutter! dein freundliches Aug.

    Zweimal noch seh' ich mit dir im Spätrot erglühen die Hügel,

    Zweimal noch schallt uns vereint frühe der Vögelein Sang.

     

    Aber dann führt dich dein Pfad dahin in die neblichte Ferne,

    Ach, und es führt mich mein Weg einsam und trübe daher. -

     Aber ich denke an dich ‑ du kannst mir entrissen nicht werden,

     Und der Gedanke an dich wird mir zum trösten­ den Freund.

     

     Trübt dann die Sehnsucht mein Aug', so trinkt wohl der Sand meine Zähre,

     Aber die Hoffnung, sie hebt mutig zum Himmel mein Herz.

     Amen, o Amen, mein Gott! Hier bin ich – ich bin dir ergeben.

     Gib mir den bitteren Kelch!  Vater! Du gibst ihn mir ja.

     

                                                                                    Sondermühlen, 1823.

     

                                                                                           Lyrikschadchens PDF Elegie

     

> Ode       > Hymne   > Formen