“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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       Gedichtinterpretation in der Mittelstufe am Gymnasium Bad Essen -  2007 

 

    Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)

    PAPAGEIEN-PARK

    Jardin des Plantes, Paris

     

    UNTER türkischen Linden, die blühen, an Rasenrändern

    in leise von ihrem Heimweh geschaukelten Ständern

    atmen die Ara und wissen von ihren Ländern,

    die sich, auch wenn sie nicht hinsehn, nicht verändern.

     

    Fremd im beschäftigten Grünen wie eine Parade,

    zieren sie sich und fühlen sich selber zu schade,

    und mit den kostbaren Schnäbeln aus Jaspis und Jade

    kauen sie Graues, verschleudern es, finden es fade.

     

    Unten klauben die duffen Tauben, was sie nicht mögen,

    während sich oben die höhnischen Vögel verbeugen

    zwischen den beiden fast leeren vergeudeten Trögen.

     

    Aber dann wiegen sie wieder und schläfern und äugen,

    spielen mit dunkelen Zungen, die gerne lögen,

    zerstreut an den Fußfesselringen. Warten auf Zeugen.

     

                                                                   (Herbst 1907/Paris  oder Frühjahr 1908/Capri)

 

 

Das Sonett “Papageien-Park“ von Rainer Maria Rilke beschreibt die Situation von Papageien die in Gefangenschaft in einem Zoo leben.

Es wird beschrieben, was die Papageien machen und  welchen Eindruck sie dadurch bei dem Betrachter schaffen. In dem zweiten Teil des Gedichtes, welches ein Sonett ist, wird der Vergleich der Papageien zu den heimischen Tauben, die in demselben Käfig leben, gezogen.

 

Nach meinem ersten Textverständnis beschreibt Rainer Maria Rilke mit diesem Gedicht, welche Eindrücke er von diesen Tieren bei einem Besuch des Jardin des Plantes in Paris hatte und auch wahrscheinlich nach langem Studium der Tiere bekommen hat. Er legt besonderen Wert auf den Ausdruck der Situation der Vögel und das, was sie ausstrahlen. Er interpretiert dies als Einsamkeit und Fremdheit in einer völlig anderen Welt für diese exotischen Tiere. Dem Leser will er somit mitteilen, das noch so exotische Wesen sich zwar an das Leben in einer anderen Kultur oder Welt anpassen können, sich dort aber niemals heimisch fühlen werden, sondern immer Gefangene sind. Die Anpassungsfähigkeit von Lebewesen ist somit begrenzt.

 

Zur äußeren Form lässt sich sagen, dass das Gedicht, wie schon gesagt, die Form eines Sonettes besitzt. Es ist in vier Strophen gegliedert, zwei Quartette und zwei Terzette. Es gibt eine Antithese zwischen den Quartetten und den Terzetten, die aber noch bei der Analyse des Inhalts abgehandelt wird.

Das Gedicht ist durch das Sonett in einer festen Form gefasst und auch die Anzahl der Silben in den Versen liegt immer bei 14, bis auf Strophe 1, Vers 3, 4, Strophe 2, Vers 2 und Strophe 4, Vers 2,  bei 13 bzw. 12 Silben.

Der Reim in den Strophen ist durchgehend, sodass sich in einer Strophe jeweils das letzte Wort reimt. Es fällt auf, das in den Strophen drei und vier der Reim auch ein schweifender Reim sein könnte, da, wenn man das letzte Wort der jeweils zweiten Verse vertauscht, der Reim besser harmoniert: Ersetzt man bei mögen, verbeugen, trögen das verbeugen durch lögen (Strophe 4, Vers 2) hieße es mögen, lögen, trögen in Strophe drei und in Strophe vier äugen, verbeugen, Zeugen.

Es gibt in der letzten Zeile der zweiten Strophe und in dem ersten Vers der dritten Strophe jeweils einen Binnenreim (kauen/Graues; klauben/Tauben).

 

 Zur inneren Form lässt sich weiterhin sagen, dass als Stilmittel teilweise Wortwiederholungen gewählt wurden. Die Wiederholung in Strophe eins („die sich, auch wenn sie nicht hinsehn, nicht verändern.“) betont eine Gleichgültigkeit der Aras, die sie gegenüber ihrer Vergangenheit zeigen. Sie haben nicht die Möglichkeit, sich für ihre Heimat zu interessieren, und haben somit resigniert und sich mit dem neuen Leben arrangiert. In Strophe drei und vier, also in dem zweiten Teil des Sonetts, stehen viele Alliterationen wie z.B „Jaspis und Jade“, (Strophe 2, 3); „Finden es fade“ (Strophe 2, 4); „klauben die duffen Tauben“ (Strophe 3, 4); „wiegen sie wieder und schläfern und äugen“ (Strophe 4, 1). Dies schafft eine Gleichmäßigkeit, welche Monotonie ausdrückt und die Trägheit der Papageien unterstreicht. Weiterhin fällt bei der Wortwahl auf, dass Rilke viele Worte verwendet hat, die Umlaute oder Diphthonge enthalten. Dies schafft bei dem Leser oder Zuhörer einen lautmalerischen, krächzenden Eindruck, der die Geräusche der Aras nachahmen soll.

Im gesamten Gedicht gibt es eine Personifikation („in leise von ihrem Heimweh geschaukelten Ständern“, Strophe 1, 2) und einen Vergleich („fremd im beschäftigten Grünen wie eine Parade“, Strophe 2, 1).

Die Antithetik in dem Gedicht resultiert aus dem Vergleich der im ersten Teil betrachteten Aras mit den in Strophe drei und vier angeführten heimischen, einfachen Tauben. In Strophe eins stehen die exotischen Aras im Mittelpunkt. Es wird deutlich, wie sie in ihrem Käfig thronen. In Strophe zwei wird ihre Anmut beschrieben und dass sie sich selber zu schade seien, das fremde graue Futter zu fressen.

In der dritten Strophe hingegen sind es die Tauben, die dieses Futter nicht verschmähen, und die Aras werden nun als höhnische Vögel bezeichnet. In Strophe vier wird dies fortgeführt und so steht im Zusammenspiel der vier Strophen der Ablauf, dass erst Vögel voller Anmut betrachtet werden, sie aber nach der Antithese eher zu bemitleiden sind und ihren Glanz in der Gefangenschaft verloren haben. Dieses versuchen sie aber zu überspielen, wie man in Strophe vier erkennen kann. Achtet man hier besonders auf die Verben, so fällt auf, dass „lögen“ der Konjunktiv zu lügen ist. Sie würden gerne lügen und ihre Situation verdecken, um nicht in der Gefangenschaft voller Heimweh erkannt zu werden. Zudem „spielen“ sie an den Fußfesselringen, welche als Symbol für die Gefangenschaft stehen. Sie spielen aber zerstreut damit, was als Beschämtheit gedeutet werden kann.

Die letzten drei Worte des Sonetts („Warten auf Zeugen.“, IV, 3) stehen für sich alleine und können ausdrücken, dass sie auf Zeugen warten, die ihr Heimweh erkennen. Oder es sind die Zeugen aus einem fernen Land gemeint, die von ihrer Heimat berichten.

 

Die Aussage des Gedichtes lässt sich schon durch wenige prägnante Schlüsselwörter, die auffallen, feststellen. Dazu zählen „unter türkischen Linden“ (I, 1); „Heimweh“ (I, 2); „Fremd“ (II, 1); „Graues“ (II, 4) und „Fußfesselringen“ (IV, 3). Diese Worte drücken, wenn man sie in Zusammenhang setzt, die Situation der exotischen Papageien aus. Sie sind in einem fremden Land gefangen und sind in dieser für sie völlig fremden Welt fehl am Platz, genauso wie die türkischen Linden, die in Paris in dem Jardin des Plantes stehen (I, 1), vielleicht auch stellvertretend für Menschen in einer ihnen fremden Welt.

 

Nach meiner Analyse kann ich meine Interpretationshypothese bestätigen, ihr aber noch hinzufügen, dass Rilke neben der mangelnden Anpassungsfähigkeit von Lebewesen mit diesem Gedicht auch vermitteln will, wie stolz diese fremden, exotischen Tiere sind und dass sie in dieser fremden Welt und Gefangenschaft dadurch ihr Heimweh und eben diese Gefangenschaft überspielen möchten (Konjunktiv in IV, 2).

Es lässt sich sagen, dass Rainer Maria Rilke dieses Sonett über die Papageien sehr genau strukturiert hat und die Papageien genau beschreibt.

                                        

                                                            Lena Mönter ©  GBE Kl. 10/ 2007 (H.Abram)

 

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