“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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                    Gedichtvergleich (ohne Kenntnis der Autoren)

 

Aufgabe:

1.) Analysiere und interpretiere zunächst die Textvorlage „Lili. Neue Liebe, neues Leben“ für sich.

2.) Untersuche daraufhin ausgewählte Vergleichsaspekte an Text B („Ist Liebe lauter nichts“ und formuliere eine Resümee des Vergleichs“.

 

               Gedicht 1:

                    Lili

        Neue Liebe, neues Leben

         

        Herz, mein Herz, was soll das geben,

        Was bedränget dich so sehr?

        Welch ein fremdes neues Leben –

        Ich erkenne dich nicht mehr.

        Weg ist alles, was du liebtest,

        Weg, worum du dich betrübtest,

        Weg dein Fleiß und deine Ruh  -

        Ach, wie kamst du nur dazu?

         

        Fesselt dich die Jugendblüte,

        Diese liebliche Gestalt,

        Dieser Blick voll Treu und Güte

        Mit unendlicher Gewalt?

        Will ich rasch mich ihr entziehen,

        Mich ermannen, ihr entfliehen,

        Führet mich im Augenblick

        - Ach – mein Weg zu ihr zurück.

         

        Und an diesem Zauberfädchen,

        Das sich nicht zerreißen läßt,

        Hält das liebe lose Mädchen

        Mich so wider Willen fest.

        Muß in ihrem Zauberkreise

        Leben nun auf ihre Weise;

        Die Verändrung, ach wie groß!

        Liebe, Liebe, laß mich los!

         

                      *

          Gedicht 2:

           (Petrarca gewidmet)

 

         Ist Liebe lauter nichts / wie daß sie mich entzündet?

      Ist sie dann gleichwol was / wem ist jhr Thun bewust?

      Ist sie auch gut vnd recht / wie bringt sie böse Lust?

      Ist sie nicht gut / wie daß man Frewd' aus jhr empfindet?

      Lieb' ich ohn allen Zwang / wie kan ich Schmertzen tragen?  5

      Muß ich es thun / was hilfft's daß ich solch Trawren führ'?

      Heb' ich es vngern an / wer dann befihlt es mir?

      Thue ich es aber gern' / vmb was hab' ich zu klagen?

         Ich wancke wie das Graß so von den kühlen Winden

      Vmb Vesperzeit bald hin geneiget wird / bald her:               10

      Ich walle wie ein Schiff das durch das wilde Meer

         Von Wellen vmbgejagt nicht kan zu Rande finden.

      Ich weis nicht was ich wil / ich wil nicht was ich weis:

      Im Sommer ist mir kalt / im Winter ist mir heiß.

 

                               

              Erste Interpretation:

           

Das Liebesgedicht „Neue Liebe, neues Leben“ , wohl von Johann W. v. Goethe aus der Epoche des Sturm und Drang,  handelt von den Veränderungen, auf die man sich in einer festen Beziehung einstellen muss, und dem magischen Bann, der von einer geliebten Frau ausgeht, sodass der Verstand zu unterliegen scheint.

 

Das Gedicht besteht aus drei Strophen mit jeweils acht Versen und nutzt durchgehend den vierhebigen Trochäus mit weiblicher und männlicher Kadenz. Als Reimform liegen Kreuz (in den ersten vier Versen) und Paarreime (in den jeweils folgenden vier Zeilen) vor. 

Eine Unterteilung des  Gedichts in zwei Abschnitte scheint sinnvoll. In der ersten Strophe vesrsprachlicht der Autor die seltsamen Veränderungen seines Herzens, erst ab der zweiten Strophe wird die Beziehung mit dem Mädchen als Grund herangezogen. Goethe personifiziert das „Herz“ in der ersten Strophe und unterstreicht dadurch seine Wichtigkeit für das lyrische Ich und die ihm unerklärliche Eigenständigkeit. Der Parallelismus verbunden mit einer Anapher des Wortes „weg“ in Zeile 5-7 zählt die   Veränderungen auf und betont ihre Aspektvielfalt. Vor allem aber signalisiert die Interjektion „Ach“ (Z.8) das Unverständnis des lyrischen Ichs und bringt seine Verwunderung darüber zum Ausdruck. In der zweiten Strophe erfährt der  Leser etwas über die Geliebte des Sprechers. Sie wird mit metaphorischen Mitteln „beschrieben“ (vgl. Z 9 „Jugendblüte“). Demnach handelt es sich hier um ein junges, hübsches, liebesvolles und zartes Mädchen. Deutlich wird jedoch schon, dass sie eine Fähigkeit besitzt, der selbst ein Mann unterlegen ist, indem der Autor eine Hyperbel in Z. 12 „mit unendlicher Gestalt“ einsetzt. Die Strophe endet mit einer Repetitio des Wortes „Ach“ und verstärkt so seine Bedeutung. Die Kräfte der Frau werden mit dem Wort „Zauberei“ assoziiert; ein so genanntes „Zauberfädchen“ (Z. 18) ist der Grund für die Anziehungskraft der Frau und den magischen Bann, der als Wirkung von ihr ausgeht. Diese Metapher wird zugleich als unzerstörbar und somit besonders stark angesehen. Auch die Formulierung „Zauberkreise“ (Z. 21) verstärkt diesen Verdacht. Ob der Imperativ in dem letzten Vers „Liebe, Liebe, laß mich los!“ ernst zu verstehen ist, bleibt jedoch umstritten, da das Herz zuvor als Lebenselixier deutlich wird.

 

Vergleicht man nun  „Neue Liebe, Neues Leben“ mit dem zweiten Gedicht, so fallen zuerst die formalen  Unterschiede ins Auge. Während Goethes Gedicht fortlaufend einen Trochäus verwendet, kann man beim anderen ein Sonett mit einem barocktypischen Alexandriner erkennen, also einen sechshebigen Jambus mit Mittelzäsur. Die Form vom Liebesgedicht „Neue Liebe...“ korrespondiert außerdem noch mit dem Inhalt. Dies spricht das Zusammenspiel der Frau mit dem lyrischen Ich an. Eine ähnliche Wechselbeziehung ist in dem Petrarca gewidmeten Text nicht verwirklicht. Goethes Gedicht thematisiert zudem einen epochetypischen Inhalt. Die Vorrangstellung des Herzens gegenüber dem Verstand steht für Spontaneität, Triebhaftigkeit und eine gewandelte Wertevorstellung. Es ist trotz der Problematik heiter formuliert und enthält einige Metaphern zum Verbildlichen der emotionalen Ebene, die für den Sprecher einen hohen Stellenwert besitzt.

Das an Petrarca adressierte Gedicht handelt ebenfalls von Fragen in Sachen Liebe. Hier werden das Erfassen des Begriffs und ihre Konsequenz für das Leben in den Mittelpunkt gestellt. Durch die häufigen Fragen wird klar, dass der lyrische Sprecher unentschlossen ist, wie er mit der Situation umgehen soll. Auch die Antithesen in den letzten Versen deuten darauf hin. Die Atmosphäre hier ist jedoch etwas schmerzlich und wirkt negativ. Der innere Gefühlszustand wird durch metaphorische Mittel anhand der Natur und des Meeres zum Ausdruck gebracht:  z.B. Vergleiche „ wie das Graß“ (Z. 9) oder „wie ein Schiff“ (Z. 11) Die Liebe wird als eine höhere Macht angesehen (vgl. Z. 7), als Zwang, böse Lust, als Verursacherin von Schmerzen, als Feuer und letztlich als etwas Unbegreifliches.

 

Abschließend lässt sich sagen, dass sich beide Gedichte - „Neue Liebe…“ und „ Ißt Liebe lauter nichts…“  - mit der Ansicht von Liebe beschäftigen, ersteres jedoch die Magie und Macht des Herzens berücksichtigt. Damit realisiert es, was für die Epoche des Sturm und Drang typisch ist. Letzteres stammt vermutlich aus dem Barock, zumindest gibt der formale Aufbau Hinweise, die dafür sprechen. Es nähert sich der Thematik anders, da hier die Situation des Sprechers nicht den persönlichen Wunsch nach Verwirklichung der konkreten Liebe in den Vordergrund stellt.

                               Noten: sehr gut

                                                               *

               

            Zweite Interpretation:

 

Das Gedicht „Neue Liebe, neues Leben“ handelt von einem Mann, der verwirrt ist, von der Macht eines jungen Mädchens gefesselt zu sein. Sie hält ihn mit ihrer Liebe gefangen. Das Gedicht lässt sich in die Epoche des Sturm und Drang einordnen und ist dem Mädchen Lili gewidmet.

 

Das Gedicht besteht aus drei Strophen mit jeweils acht Versen. Vorteilthaft für die Analyse erscheint mir eine Aufteilung in zwei Abschnitte. Der erste Abschnitt erfasst die erste Strophe und beschäftigt sich mit der Frage des lyrischen Ichs, was oder wer für seine Verwirrung verantwortlich sein kann. Im zweiten Abschnitt thematisiert der Sprecher die unbegreifliche Bindung an das Mädchen. In diesem Zusammenhang schreibt er ihr sogar magische Fähigkeiten zu. Sie hält sie ihn mit einem „Zauberfädchen“ (Z. 17) oder in einem „Zauberkreise“ (Z. 21). Das Gedicht nutzt metrisch einen vierhebigen  Trochäus mit abwechselnd männlicher und weiblicher Kadenz in den ersten vier Versen einer Strophe. Die letzten vier sind - passend zum Reimschema, das an dieser Stelle ebenfalls von Kreuzreim in Paarreim wechselt – in Paaren angeordnet. Dies könnte bereits der erste Hinweis sein, dass beide Geschlechter aufeinander treffen.

 

Das Gedicht beginnt mit einer Repetitio („Herz, mein Herz“; Z. 1) und endet ebenfalls mit einer Wiederholung („Liebe, Liebe; Z 24). Dadurch wird besonders deutlich, dass das lyrische Ich seinen Verstand verloren hat und dafür eher von seinem Herzen geleitet wird.  Das Herz des Verliebten wird in der ersten Strophe personifiziert und ihm daher eine großen Bedeutung oder Macht  zugesprochen. Dies geschieht zudem mit dem Blick auf das Mädchen. Es gelingt ihm, das lyrische Ich zu fesseln (Z. 9-11). Durch die vielen Anreden - eher an das Herz direkt als an das Mädchen gerichtet -  wird diese Annahme noch einmal verstärkt. Der Leser bekommt so einen Einblick in den Gefühlszustand des Mannes und seine innere Unsicherheit. Die Anapher „Weg“ (Z. 5 – 7) dient zur Hervorhebung der Problematik  Der Vers in Zeile 12 greift zudem auf die Hyperbel „mit unendlicher Gewalt“ zurück.  Auch hierdurch schafft es der Autor, die Lage des lyrischeni Ichs besonders stark und überhöht auszudrücken.

Das gesamte Gedicht besteht aus einer Reihe von Sätzen mit umgestelltem Satzbau, der sog. Inversion wie z.B. in der Zeile 13: „Will ich rasch mich ihr entfliehen“.  Dies verweist darauf, dass der Mann ganz aus Spontaneität heraus über seinen Gefühlszustand spricht. Doch es kommen auch die guten, reizenden Seiten des Mädchens zum Vorschein. Die Metapher „Jugendblüte“ (Z.9) verdeutlicht ihre besondere Schönheit. Ebenso trägt die Alliteration in Z. 19 „ das liebe, lose Mädchen“ dazu bei.  Durch Ausrufe wie „ Ach“, die sich mehrmals wiederholen, entsteht der Eindruck, dass der Mann beinahe verzweifelt ist. Das Gedicht in seiner Gesamtheit durchzieht ein Gefühl von Gefangensein und Angst vor  innerlicher Veränderung.

 

Beim Vergleich vom Gedicht „Neue Liebe, neues Leben“ mit dem zweiten Text, einem Petrarca gewidmet, fallen nicht nur Unterschiede in der Form auf, sondern auch im Inhalt. Durch den Rhythmus des sechshebigen Jambus mit Mittelzäsur entsteht hier der so genannte Alexandriner. Das Gedicht ist zudem in jeweils vier und drei Versgruppen gegliedert.  Der Reim entspricht dem umarmenden Reim, der in den letzten beiden Strophen in die nächst folgende übergeht. Der Schlussreim ist dann ein Paarreim. Diese äußere Struktur lässt eindeutig auf ein Sonett schließen.  Es handelt sich eher nicht um ein Gedicht des Sturm und Drang, sondern stammt wohl aus der Barockepoche.  Besonders auffallend ist die veraltete, archaische Sprache, in der der Text geschrieben ist, sowie die rhetorische Stilfigur Anapher, jenes „Ist“, mit dem  jede Verszeile der Anfangsstrophe beginnt. Das lyrische Ich befasst sich mit der Frage, was Liebe genau bedeuten kann. Im Weiteren bringt es die Liebe mit Zwang und Schmerzen in Verbindung. Durch die häufigen Fragestellungen entsteht ebenfalls ein Eindruck der Unsicherheit. Die dritte Strophe enthält einige Vergleiche („wie das Graß – wie ein Schiff“), die den Gefühlszustand des Sprechers verdeutlichen helfen. Er ist sich seiner Empfindungen nicht sicher und wirkt auch verängstigt. Das Gedicht schließt mit der barocktypischen Antithese: „Im Sommer ist mir kalt, im Winter ist mir heiß“. Diese Formulierung unterstreicht vor allem seine Verwirrung. Er fragt sich also nicht nur, wie Liebe ganz allgemein erfahren wird, sondern ist wahrscheinlich selber von diesem Gefühl betroffen. 

 

         Es lässt sich also zusammenfassend sagen, dass sich beide Gedichte, obwohl sie zu ganz unterschiedlicher Zeit entstanden scheinen, mit der Verwirrung, die die Liebe erzeugen kann, befassen. Beide Sprecher sind verunsichert und haben Angst vor zu großer Veränderung.  Hierbei wirkt da erste Gedicht jedoch konkreter. Der Grund für den Zustand des Mannes ist eindeutig das Mädchen, das ihn mit ihrer Macht hält. Sein Verstand ist dem Herzen unterlegen. – Das zweite Gedicht befasst sich mit der Liebesthematik eher grundlegender. Es ist zwar einem Petrarca gewidmet, beschäftigt sich jedoch nicht ausschließlich mit dem Gefühl des persönlichen Verliebseins. „Neue Liebe, neues Leben“ wirkt trotz der angesprochenen Problematik weitaus heiterer formuliert. Es lässt sich ein klarer Gedankengang erkennen. Dies könnte jedoch einepochetypisches Merkmal sein. Beide Gedichte befassen sich mit der Liebe, sind jedoch nicht reine  Liebesbeweise oder ausschließlich als Anbetungen eines geliebten Menschen zu verstehen. Vielmehr steht die durch Liebe erzeugte Verwirrung im Vordergrund.

Gedicht 1 ist typisch für die Epoche des Sturm und Drang; Herz und Gefühl haben zwischenmenschlich Vorrang vor Vernunft und Verstand. Das lyrische Ich ist einer höheren Macht ausgeliefert,  die es kaum richtig verstehen kann. Die Spontaneität und Ursprünglichkeit wird  - anders als  im Gedicht II - ebenso durch die emotionale Seite des Gedichts verdeutlich.                                      

                     Note:  Sehr gut

 

                           Unterrichtsergebnis einer Klasse 10 zum Thema Liebesgedichte

                             GBE© -  -    10 – 2011    -   StR Michael Strunk

                                       

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                          Goethe      -   Gryphius

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