“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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   Interpretation des Gedichts “Erinnerung”  von Nikolaus Lenau   („Mini-Abi“ -  dreistündig)

 

          Nikolaus Lenau (1805 – 1850)

          Erinnerung

           

          Einst gingen wir auf einer Bergeswiese,

          Tief atmend tranken wir die Blumenseelen,

          Das Bächlein kam herasb uns zu erzählen

          Den unvergessnen Traum vom Paradiese.

           

          Wir sahn das Abendrot die Gipfel färben,

          Es war ein Spiel vom schönsten Alpenlichte ,

          Doch wandt’ ich mich nach deinem Angesichte,

          Das strahlte mir wie Liebe ohne Sterben.

           

          Bald war den Bergen ihre Glut entschwunden,

          Und wird vielleicht so schön nie wieder kommen;

          Auch deinem Antlitz war der Strahl genommen,

          Ich sah ihn nicht in allen spätern Stunden.

           

          Hat mich vielleicht in deinen Zaubermienen

          Der Widerschein der Sonne nur geblendet?

          Auch dann ein Strahl der Liebe, die nicht endet,

          Doch besser wär’s, er hätte nicht geschienen.

 

Das Liebesgedicht „Erinnerung“ Nikolaus Lenaus ist der Spätromantik zuzuordnen. Es handelt von einer Person, die glaubte, unsterblich geliebt zu werden, jedoch erkennen musste, dass dies nur Schein war und es so etwas wie die ewige Liebe nicht gibt.

 

Das Gedicht besteht formal aus vier Strophen zu je vier Versen, die nach dem Schema abba endgereimt sind (Klammer- und Paarreim), metrisch aus fünfhebigen Jamben mit überzähliger  Senkung, die eine weibliche Kadenz am Versende bilden. Die Struktur ist sehr gleichmäßig, der Text liest sich jedoch flüssig, nicht monoton, und lässt sich gut aufnehmen. Die Sprache ist bildhaft und recht verständlich, wenn auch stellenweise leicht altertümlich („athmend“ Z.2,; „Abendroth“ Z.5; „Antlitz“ Z 11).

Die malerische Darstellung bzw. Belebung der Natur zieht sich als wesentliches Ausdrucksmittel der Gefühle des lyrischen Ichs in der damaligen Situation durch das gesamte Gedicht, in  ähnlicher Form haben wir dies schon in Goethes „Willkommen und Abschied“ oder Brechts „Erinnerung an die Marie A.“ kennen gelernt.

 

In den ersten beiden Strophen werden dem Leser das einstige Glück der zwei Liebenden und das Zusammensein geschildert, die Naturkulisse ist eine „Bergwiese“ (Z 1), die Höhenlage lässt sich auf das starke Gefühlserlebnis des lyrischen Ichs übertragen. Die beiden Menschen lassen den Moment aus, leben intensiv („Tief atmend tranken wir die Blumenseelen“ ) und finden in der Beziehung die Schönheit der Natur wieder, das Glück scheint vollkommen, es wird gar Bibelbezug hergestellt („Dias Bächlein kam herab, uns zu erzählen - Den unvergessnen Traum vom Paradiese“ Z 3/4), die Natur erfährt eine erste Belebung durch Personifikationen („tranken Blumenseelen“ - Metapher), ebenso in Z. 5 („Wir sahn das Abendroth die Gipfel färben“). Hier wird mit klassischer Farbsymbolik ‚gearbeitet’, das Rot steht unmissverständlich für die Liebe: „Es war ein Spiel vom schönsten Alpenlichte“ (Z.7) verdeutlicht zwar weiterhin die empfundene Wonne des Sprechers, könnte aber auch erster Hinweis auf die Vergänglichkeit, das „Trugbild der ewigen Liebe“ sein, handelt es sich eben nur um ein „Spiel“. In den Versen darauf benennt das lyrische Ich erstmals seinen Eindruck von der „Liebe ohne Sterben“ (Z. 8), sie „strahlte“ ihm aus dem „Angesichte“ (Z. 7) seiner Geliebten, wollte ihn aber vielleicht auch nur „blenden“. Diese Strophen bilden meiner Auffassung nach eine erste engere Einheit und sind als ein Sinnabschnitt zu erfassen.

In der dritten Strophe erfährt der Leser, das „den Bergen ihre Glut entschwunden war“ (Z.9), die so groß geglaubte Liebe, welche der Sprecher im Gesicht seiner damaligen Geliebten gelesen zu haben meint, ist vergangen und scheint ihm in diesem Maße nahezu unwiederbringlich („Und wird vielleicht so schön nie wieder kommen“ Z.10; „Ich sah ihn nicht in allen späteren Stunden“ Z. 12) Die Liebe wird quasi in direkten, untrennbaren Bezug zur Schönheit und Ästhetik der Natur gestellt ( „Hat mich vielleicht in deinen Zaubermienen (Metapher)/ Der Widerschein der Sonne nur geblendet? Z .13); das lyrische Ich bedauert sein falsches Glück und die für ewig geglaubte Zuneigung, die ihm entgegengebracht wurde („Auch das mein Strahl der Lieb, die nie endet/ Doch besser wär’s, er hätte nicht geschienen“ Z 15/16). Der Sprecher wirkt im Allgemeinen melancholisch, das Erlebnis bleibt für ihn unvergesslich und scheint ihn geprägt zu haben.

 Zusammenfassend kann ich festhalten, dass die Liebe in diesem Gedicht Nikolaus Lenaus in Kontext zur Natur steht, sie kommt und geht wie Tag und Nacht und vermag die Menschen zu „blenden“ wie die Sonne. Die wesentlichen Aussagen bestehen außerdem darin, dass sie - vor allem in jungen Jahren erlebt - nicht für die Ewigkeit und vielleicht sogar einmalig ist; auch geht es um die Fehldeutung von Liebe.

Mir persönlich gefällt das Gedicht als Gesamtes recht gut; es wirkt kompakt und ist einfach, aber bildlich geschrieben.

                                                         Daniel Hinrichsmeyer ©  GBE Kl. 10/ 2006

 

Lehrerbemerkung: 

Um Textarbeit bemüht werden die wesentlichen Sinnaussagen gut erfasst; schön ist auch der Verweis auf im Unterricht behandelte  Gedichte.  Die Arbeit fällt aber etwas knapp aus. (Du musst dich bei der Auswahl der Alternativ-Gedichte rascher entscheiden.) 

 

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