“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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Gedichtvergleich:  Ludwig Uhland „Im Herbste“ - Mascha Kaléko „Ein welkes Blatt“

 

         Ludwig Uhland „Im Herbste

         

        Seid gegrüßt mit Frühlingswonne

        Blauer Himmel, goldne Sonne!

        Drüben auch aus Gartenhallen

        Hör ich frohe Saiten schallen.

         

        Ahnest du, o Seele wieder

        Sanfte, süße Frühlingslieder?

        Sieh umher die falben Bäume!

        Ach! Es waren holde Träume.

 

 

„Im Herbste“ von Ludwig Uhland ist ein Herbstgedicht, das aus zwei vierzeiligen Strophen besteht. Jede Strophe enthält einen Paarreim (aa bb). Das Versmaß dieses Gedichts ist regelmäßig und hat die Form eines vierhebigen Trochäus.

In diesem Gedicht spricht das lyrische Ich nicht unmittelbar über den Herbst. Der Text beginnt mit einer Anrede, die - schon in Frühlingsstimmung - an die Natur gerichtet ist. Schon hier drückt der Sprecher seine frohe, hoffnungsvolle Stimmung aus. Er begrüßt den blauen Himmel und die goldene Sonne, als seien sie alte Freunde. Aus den umliegenden Gärten vernimmt er Musik, die ihm fröhlich erscheint und die seine „gute Laune“ noch untermauert.

In der zweiten Strophe führt er diesen Gedanken weiter und fragt die Seele, ob sie schon die Frühlingslieder höre. Es wird hier deutlich, dass das lyrische Ich sich auf den kommenden Frühling freut und sich fast danach sehnt.

Die letzten beiden Zeilen greifen das Thema „Herbst“ direkt auf und der Sprecher baut hier das meistgebrauchte Motiv  des Herbstes ein, indem er - wie in vielen Herbstgedichten - die falben Bäume anspricht. Insgesamt wagt der Sprecher in diesem Gedicht einen Ausblick auf die Frühlingszeit, die er mit Freude erwartet. Schon jetzt ist er positiv gestimmt und nimmt die Schönheit dieser Zeit mit Augen und Ohren wahr. Am Ende des Textes scheint in ihm dann doch ein bisschen Wehmut aufzukommen, wenn er über „holde Träume“ spricht. Ihm wird plötzlich klar, dass die schöne Frühlingszeit noch nicht da ist und er noch auf sie warten muss. Er hat davon geträumt, da ihm der Herbst zu kalt und kühl erscheint.

Insgesamt gefällt mir dieses Gedicht, da es eine sehr positive Stimmung vermittelt, was in Ausdrücken wie „froh“, „sanft“, „süß“ etc. deutlich wird.

               

 

Mascha Kaleko     Ein welkes Blatt

 Ein welkes Blatt - und jedermann weiß: Herbst. 

Fröstelnd klirren die Fenster zur Nacht.

……………………                                                    (leider nicht copyfrei)

  

 Das Herbstgedicht „Ein welkes Blatt“ von Mascha Kaléko besteht aus sieben strophenähnlichen Abschnitten. Diese Abschnitte enthalten zwei bzw. drei Zeilen, von denen keine ein festes Versmaß nutzt. Auch ein bekanntes Reimschema ist nicht zu erkennen. Jedoch liegen Reime vor, die z.T. Paarreime ergeben.

Dieses Gedicht weist den typischen Inhalt eines Herbstgedichts auf. Es wird auf sehr viele herkömmliche Bilder zurückgegriffen. Das lyrische Ich erwähnt gleich zu Beginn die welkenden Blätter, die Herbstfarben und die Kälte. Der Sprecher beobachtet weiter die nach Süden ziehenden Vögel, den Wind. Er scheint traurig darüber zu sein, dass die Vögel fortziehen und vermisst ihre Lieder. Diese werden in der Zeile „Wie letzte Früchte…“ mit den Herbstfrüchten verglichen. Im Anschluss daran wird der Wind personifiziert und als in den Zweigen hausend „beschrieben“. Auch die Menschen werden in diesem Gedicht genannt. „Die Alten im Park“ werden hier erwähnt, die, vom Wind dazu getrieben, ihre Köpfe senken. Die Aussage, dass sich im Herbst alles zur Ruhe begibt und still wird, ist auch in der Zeile „Die Schwäne am Weiher schlafen im Nebenlicht“ wiederzufinden. Das lyrische Ich scheint betrübt über die Jahreszeit Herbst zu sein und denkt an den schönen Sommer zurück. Es möchte lieber eine andere Zeit erleben und quält sich mit dem Gedanken, dass der Frühling noch weit entfernt ist. Nach diesem Gedankenspiel wird der Sprecher wieder mit der Realität konfrontiert, indem er ein welkes Blatt sieht und ihm klar wird: Es ist Herbst. Mit dem Wort endet sowohl die erste als auch die letzte Zeile. Der Sprecher scheint sich in dieser einsamen Zeit regelrecht eingeschlossen zu fühlen, was ihn ein wenig deprimiert.

Insgesamt gefällt mir auch dieses Gedicht, da es leicht verständlich ist und die Wirklichkeit  wiedergibt.

 

Die beiden Herbstgedicht „Im Herbste“ und „Ein welkes Blatt“ weisen eine sehr unterschiedliche Form auf und drücken auch verschiedene Stimmungen aus. „Im Herbst“ hat ein regelmäßiges Reimschema und Versmaß, was bei „Ein welkes Blatt“ nicht der Fall ist. Das erste Gedicht vermittelt eine sehr positive Stimmung, auch wenn sie am Ende gedämpft wird durch die Einsicht, dass der Frühling noch auf sich warten lässt. Das Gedicht bietet also eine Art Ausblick. Das zweite Gedicht dagegen spricht von der jetzigen Situation, dem Herbst. Das lyrische Ich ist nicht fröhlich, sondern traurig.

                                                                                                        Sylvia Bartosch © GBE Kl. 10  - 1993  

  Lehrerkommentar:

 Mit dem subjektiven Qualitätsurteil „verständlich“ musst du vorsichtig umgehen. Leichte Verständlichkeit ist kein Kriterium wahrer Qualität. Schlagertexte sind auch leicht verständlich, aber…

Die Textarbeit - Umsetzung der Bilder, Bewertung rhetorischer Figuren etc. - könnte man sich noch intensiver vorstellen. Die sprachliche Souveränität deiner Darstellung ist aber eine Streicheleinheit für jeden Deutschlehrer.

 

(Anm.: Die Schülerin lieferte diese insgesamt sehr gute Arbeit noch vor der Einführung des „Mini-Abiturs“  und der neuen Rechtschreibung  fehlerfrei in nur zwei Stunden ab.)

 

PDF Uhland - Kaleko Vergleich

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