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  Lesen schadet den Augen

 

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        Die „Stunde Null“ in der Lyrik

 

          Hans Bender © (1919 - 2015)

          Heimkehr

           

          Im Rock des Feindes,

          in zu großen Schuhen,

          im Herbst,

          auf blattgefleckten Wegen

          gehst du heim.

          Die Hähne krähen

          deine Freude in den Wind,

          und zögernd pocht

          dein Knöchel

          an die stumme,

          neue Tür.

                                                   (1954)

 

aus:

Hilde Domin (Hrsg.), Nachkrieg und Unfrieden. Gedichte als Index 1945 – 1970, Luchterhand Verlag , Neuwied und Berlin 1970, S. 22 .

Hans Bender bietet hier auch den biographischen Anlass des Gedichts: Erst 1949 aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt, wird er im Heimatdorf (Mühlhausen im Kraichgau) von dem kleinen Neffen Rainer mit einem Zweizeiler auf einer Tafel begrüßt.

Der kindliche Impuls macht dem gerührten Autor zugleich erinnernd bewusst, dass sein Heimkehrer-Gedicht nur noch notiert werden musste. denn  „lediglich zwei Sätze einer langen Erfahrung“  waren festzuhalten.

                                                                 *

Ich danke dem Autor sehr herzlich für die Abdruckerlaubnis und seinen zustimmenden Brief.   

                                                                                             Erich Adler, Bad Essen  Juni 2008:

„Sie erfreuen mich mit Ihrem Brief und mit der Interpretation meines Gedichts „Heimkehr“. Sagen Sie bitte der Schülerin Narne Hinrichsmeyer, wie sehr mir diese Interpretation gefällt. Sie dürfen davon Gebrauch machen. Auch anderswo hat gerade dieses „typische >Nachkriegsgedicht“ – wie Sie es einordnen – Zustimmung gefunden. Es wurde in etliche Anthologien aufgenommen, vor zwei Jahren auch in die berühmte, immer wieder aufgelegte Lyriksammlung >Der ewige Brunnen<.“

                                                                      (Hans Bender, Köln 30. 05. 2008 - Briefauszug)

                                                                            Hans Bender verstarb am 28. Mai 2015.

                 *

Das Gedicht „Heimkehr“ von Hans Bender aus dem Jahr 1954 handelt von der Rückkehr eines Soldaten in seine Heimat. Der Autor möchte mit diesem Gedicht auf alle die Veränderungen aufmerksam machen, mit denen ein Heimkehrer nach dem Kriegsende konfrontiert wurde.

Der Text enthält insgesamt nur elf kurze Verse, die nicht in Strophen unterteilt sind. Er ist in freien Versen geschrieben, da kein durchgehend festes  Metrum vorliegt. Das Gedicht besteht aus zwei Sätzen, welche zugleich auch zwei kurze Sinnabschnitte kennzeichnen.

Im ersten Satz wird der Leser (bzw. das lyrische Ich im Selbstgespräch) direkt mit der zweiten Person Singular angesprochen (vgl. Z 5 „gehst du heim“). Hans Bender führt so den Leser in die Situation des Gedichts ein, indem er sprachlich sehr nüchtern beschreibt, wie jemand heimkehrt. Dabei handelt es sich offensichtlich um einen Kriegsgefangenen, der nach mehreren Jahren  Gefangenschaft – in welchem Land wird nicht gesagt - endlich zurück in seine Heimat kehren darf. Die Armut des Kriegsgefangenen wird verdeutlicht, indem Bender ihn „im Rock des Feindes“ (Z. 1) und „in zu großen Schuhen“ (Z. 2) nach Hause gehen lässt.  Der Soldat scheint also mittellos und hat kein Geld, um sich eigene, passende Kleidung zu kaufen.

Im zweiten Satz und somit im zweiten Sinnabschnitt erfährt der Leser etwas über die Gefühle des Beschriebenen. Er ist offensichtlich voller Freude, welche die Hähne, an denen er vorbeikommt, in den Wind krähen (vgl. Z. 6f), was sich auf den konkreten ersten Eindruck der Heimat bezieht, aber natürlich auch metaphorisch  gemeint ist. Hähne stehen für die Aufbruchstimmung, für ein Wachwerden und einen neuen Tag. Der Heimkehrer steht schließlich vor einem Haus, in dem er vor dem Zweiten Weltkrieg gewohnt zu haben scheint. Auch hier erhält der Leser wieder einen kurzen Einblick in die Gefühle des Soldaten. Dieser zögert nämlich, bevor er an die Tür klopft. Dieses Zögern lässt vermuten, dass der Heimkehrer Angst vor dem hat, was ihn nach dem Öffnen der Tür erwartet. Diese Angst scheint – ähnlich der Heimkehrersituation in Wolfgang Borcherts Hörspiel „Draußen vor der Tür“ – berechtigt, da wohl viele Veränderungen eingetreten sind, seit der Sprecher in den Krieg gezogen ist. (Beim Exilautor Bert Brecht heißt es im Gedicht Rückkehr (1943) „Die Vaterstadt, wie find ich sie doch?. . . “ ; Ad.)

Doch nicht nur die Umgebung, sondern auch der Heimkehrer selbst hat sich stark verändert. Sowohl physisch - er ist abgemagert („dein Knöchel“ Z. 9) - als auch psychisch trägt er Folgeschäden wie Kriegstraumata in seine Heimat.

Der Autor Hans Bender hat mit seinem Gedicht „Heimkehr“ ein typisches Nachkriegsgedicht der “Stunde Null” geschaffen, das ein wichtiges Thema anspricht, nämlich die Schwierigkeiten der Integration zurückkommender Kriegsgefangener. Obwohl der Text so kurz ist, vermittelt er konkret und im übertragenen Sinn etwas von der  schwierigen Situation vieler Kriegsheimkehrer „vor der stummen, neuen Tür“ (Z. 11).

                                                Narne Hinrichsmeyer ©   GBE J. 13    03 - 2008 (Hausaufgabe)

                                      

Foto:  Erich Adler ©

            Zu Besuch bei Hans Bender in der Kölner  Taubengasse – 26. 01. 2010

 

Wir sprechen über mein Lyrikschadchen, meine eigenen Gedichte,  vor allem aber über

seine wunderbaren Vierzeiler, die unter dem Titel “ Wie es kommen wird ” im Hanser

Verlag 2009 erschienen sind. Und ich darf auch einen Blick werfen auf die noch nicht

veröffentlichten.

Zufall oder eher glückliche “Synchronizität der Ereignisse” (Elisabeth Mardorf): die

Abendveranstaltung in der Stadtbibliothek, leider in Abwesenheit des Autors, zum

Briefwechsel  zwischen Hans Bender und Rose Ausländer:

 

     Ich habe eine gute Nachricht für Sie ,   Rimbaud Verlag, 2009 

            s.  Stunde Null > literarisches Kommunikationsmodell

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