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  Lesen schadet den Augen

 

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          Klausur - Thema:    Entwicklungsroman

      Johann Wolfgang von Goethe, Die Leiden des jungen Werther

 

Aufgabenstellung:  Bearbeiten Sie bitte eines der folgenden Themen!

Thema Nr. 1:

Am Silvesternachmittag sitzt Lotte auf ihrem Kanapee und wartet auf Albert, der noch dienstlich unterwegs ist. Sie denkt darüber nach, ob sie sich mit Albert aussprechen soll. Seit Werthers Tod haben es beide vermieden, auf das in den Tagen vor Weihnachten Geschehene zu sprechen zu kommen.

- Schreiben Sie diesen inneren Monolog, in dem Lottes Gedanken um Werther, seinen Tod und um ihre Ehe kreisen!

- Begründen Sie Ihren Entwurf unter Berücksichtigung des vorliegenden Romans!

 

Thema Nr. 2:

Analysieren Sie den Abschiedsbrief „nach eilfe.", indem Sie

- erläutern, in welcher äußeren und inneren Verfassung sich Werther befindet, bevor er den Abschiedsbrief

   konzipiert;

- erarbeiten, wie er den Selbstmord hier motiviert und bewertet;

- prüfen, inwiefern die Sprache des Briefes Werthers innere Situation spiegelt.

  (Ziehen Sie einen stilistischen Vergleich zu der Sprache des sich anschließenden Herausgeberberichts über

   Werthers Ende!)

                                                                                  *

Klausurlösung Catharina

             

Thema Nr. 1    Innerer Monolog Lottes am Silvesternachmittag:

 

I.

„Es ist schon spät und Albert wollte doch bereits zurück sein! Wo er wohl bleiben mag?

Eigentlich habe ich  Angst vor seiner Rückkehr. Dann muss ich mit ihm sprechen – ich muss! Es ist nicht gerecht, ihm zu verbergen, was passiert ist. Sonst wird dies wohl immer auf unserer Beziehung lasten. Ich merke ja, dass es komisch geworden ist zwischen uns. Früher konnten wir über alles reden, doch sobald heute das Gespräch auf Werther schwenkt … sofort versuchen wir, das Thema zu wechseln und nicht über das Geschehen zu sprechen.

Aber in meinem Kopf ist alles das noch zu wach! Ich kann  ihn noch genau spüren, seine Lippen auf den  meinigen, seine Brust gegen meine gedrückt . . . Nein, ich darf nicht daran denken! Ich bin Alberts Frau und solche Gedanken darf ich nicht haben!

Ich darf solche Gefühle nicht haben, nicht für einen anderen Mann außer dem meinigen!

Ich muss es 1 ihm  sagen, sonst wird er es sowieso bemerken. Albert kennt mich so gut und ich war immer offen zu ihm. Wie kann ich ihm weiter in die Augen schauen, weiter seine Lippen küssen und solch ein Geheimnis vor ihm haben? Aber was, wenn er mir dann nie wieder vertrauen kann? Was, wenn er nicht mit dem Gedanken leben kann, dass ich mehr für Werther empfinde als für ihn, so wie er es immer schon geahnt hat? Hat er es überhaupt geahnt? Vielleicht versteht er mich falsch und nimmt an, dass es zu diesem Kuss kam, weil ich es wollte!

Aber ich habe ja nach meinen Freundinnen schicken lassen, dies kann das Mädchen bezeugen!

Was, wenn er es nicht versteht? 2 Wenn er fragt, wieso wir gerade den Ossian lesen mussten, wo der doch voll Trauer und Leid und soviel Gefühl steckt? Ich weiß keine Antwort auf all diese Fragen und doch weiß ich, dass ich es ihm sagen muss. Jedoch fürchte ich mich sehr davor!

Wo ich mir doch schon selbst nicht getraut habe, mit Werther allein zu sein, wieso habe ich ihn nicht nach Hause gesandt, als meine Freundinnen sich entschuldigen ließen?

Ich habe so viel Fragen an mich selbst, doch brauche ich sie mir nicht zu beantworten – jetzt nicht mehr!  3

Werther ist tot und kein Gedanke mag daran etwas ändern. Ich wusste Bescheid und doch habe ich nichts unternommen! Ich wusste von Werthers Leidenschaft,    von seiner Verzweifelung und dennoch ließ ich ihm die Pistolen aushändigen. Ich fürchte, ich bin Schuld an Werthers Tod! Nein, ich weiß es! Ich habe so oft seine Hinweise gesehen und so soft war ich mir sicher, Werther würde es nicht tun. Sogar mit Albert habe ich darüber gesprochen. Wir hätten ihn retten können, ganz bestimmt!

Doch was hätte ich tun sollen? Er war in diesem Liebeswahn nicht zu stoppen, missachtet mein Gebot, vor Weihnachten nicht wiederzukommen.

Und dennoch – ich habe nur zugesehen, wie Werther langsam von innen gestorben ist und schließlich habe ich ihm selbst das Mordwerkzeug überreicht!

Gerade deswegen war ja sein Tod ein solcher Schock für mich! Als ich die Schelle hörte, wusste ich bereits, was passiert sein musste.

Und ich habe ihn nicht davon abgehalten!

Wird Albert mich für den Gang der Dinge verantwortlich machen, wenn ich es ihm erzähle? Schließlich trage ich Schuld; ich hätte Werther helfen müssen!

Bin ich nicht gerade deswegen schuldig?

Ich muss es Albert sagen - wenn nicht, so werde ich an diesen Schuldgefühlen ersticken. Außerdem verdient Albert die Wahrheit zu kennen, er ist mein Mann. Ich hoffe, er nimmt es mit Vernunft auf und lässt sich nicht von seinen Emotionen leiten, etwas Dummes zu tun. Aber Albert denkt rational, so ganz anders, als Werther es war!

Wenn Albert heimkommt, werde ich es ihm sagen; er verdient es und Werther verdient es auch. Er würde es sicher nicht wollen, dass er auch jetzt, wo er tot ist, noch zwischen uns steht. Ich werde mit Albert glücklich sein, so wie es meine Mutter wollte und so muss ich auch ehrlich zu ihm sein!

Und ich werde ehrlich sein! Auch wenn es für Werther bereits zu spät ist; meine Ehe zu Albert lebt noch und nur, wenn ich ehrlich und offen mit ihm rede, können wir glücklich weiter zusammen sein. Unsere Ehe ist mir so wichtig und ich werde alles daran setzen, sie zu retten!

Ich werde es ihm sagen!“  

 

II. Begründung für meinen Entwurf:

 

Ich habe meinen inneren Monolog auf diese Weise verfasst, da ich glaube, dies entspreche am ehesten Lottes Charakter.

Sie ist eine gute Frau, deshalb bin ich mir sicher, dass sie sich Albert anvertrauen und ihm von dem Kuss erzählen wird. Dass sie jedoch erst zweifelt, wird besonders im Roman (s. HL S. 101) deutlich, wo sie bereits, direkt nach dem Kuss, überlegt, ob sie es Albert sagen soll oder nicht.

Dort werde viele ihrer Gedanken wiedergegeben, die ich in meinem Monolog mit einfließen lasse. Außerdem habe ich aus mehreren kleineren Textstellen, wie etwa ihrem Zittern beim Überreichen der Pistolen (HL S. 103), entnommen,  dass sie schon vorher vom Vorhaben Werthers, sich selbst das Leben zu nehmen, gewusst hat und sich deshalb Vorwürfe macht. Auch ihr Zusammenbruch an Werthers Totenbett 5 macht dies deutlich (S. 106). Auf Grund dieser Textstellen habe ich Lottes Befürchtungen, an Werthers Tod mit Schuld zu sein, in den Monolog eingebracht.

Außerdem ist im Roman an mehreren Stellen die Rede davon, dass Albert und Lotte versuchen, ein Gespräch über Werther zu umgehen. Und auch in der Aufgabenstellung war gesagt, dass die beiden es vermieden haben, über Werthers Tod zu sprechen.

Ich denke, dass dies die sensible Persönlichkeit Lottes bedrücken würde und habe die Zweifel an ihrer Ehe deshalb in den inneren Monolog mit einbezogen. Und gerade auf Grund dieser Wesensmerkmal Lottes denke ich nicht, dass sie Albert weiterhin den Kuss verschweigt, 6  auch oder gerade weil sie so von Schuldgefühlen geplagt ist.

Auch deswegen denke ich, dass dieser Monolog sowohl zu Lotte als auch zur gegebenen Situation passt.

                                                      

Anm.:

1  Was genau? Es dürfte um mehr als um den Kuss gehen! Lotte muss über ihre Gefühle für Werther und für Albert         sprechen.

2  Führen Sie hier näher aus: Alberts verletzte Gefühle, seine Enttäuschung.

3  Eigentlich doch, wenn es Lotte um Ehrlichkeit und Klarheit für die Zukunft geht.

4  Lotte könnte sich an Situationen erinnern, in denen sie seine Gefühle auch bestärkt hat (Kanarienvogel-Szene).         Lotte müsste sich fragen, warum sie erst, als Albert etwas sagte, Werther angesprochen hat.

5  Lotte bricht bereits bei der Nachricht von Werthers Selbstmordversuch zusammen.

6  Es geht um mehr als um den Kuss. 

 

Insgesamt gesehen ist Ihr Monolog stimmig. Alle wesentlichen Aspekte der Aufgabenstellung werden angesprochen. Lottes Entscheidung wird nachvollziehbar vorbereitet. Ihre Reflexion ist plausibel. Allerdings beschränken Sie sich auf den Kuss, der zu gestehen ist;  Lotte muss sich sicher aber viel mehr von der Seele reden und Albert dürfte, wenn sie von ihren Gefühlen für Werther spricht, verletzt sein.

                                                                       11 Punkte  (We)

 

                                 Catharina Hagemann ©   - GBE   De 1.1  10/2007 (Wiese) - zweistündig

                ***

                 

                      Klausurlösung Daniel  -    Thema 2

 

Der Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ von Johann Wolfgang von Goethe, erschienen im Jahre 1774, handelt vom Schicksal eines äußerst emotionalen jungen Mannes, der sich in eine bereits verlobte Frau unglücklich verliebt und aus Enttäuschung und Verzweifelung über seine Lebenssituation den Freitod wählt.

Meine Aufgabe ist es, Werthers Abschiedsbrief in Hinblick auf seine Motivation zum Selbstmord und dessen Bewertung zu analysieren. Weiterhin soll Werthers äußere und innere Verletzung erläutert werden, bevor er den Brief schreibt, und die Sprache auf Widerspiegelung seiner Gefühle geprüft werden.

Werther befindet sich in einer ruhigen, resignativen Stimmung, bevor er den Brief verfasst. Die letzte Begegnung mit Lotte und der Abschied von ihr wühlen die Gefühle des Romanhelden erst richtig auf, „segnen“ jedoch seinen Entschluss ab, sich das Leben zu nehmen, sodass Werther mit relativer Gelassenheit die Planung seines Freitodes in Angriff nimmt. Er „schlief lange“ (S. 99, Z.12) und bittet Albert, den Ehemann seiner Angebeteten Lotte, ihm seine Pistolen zu leihen. Seine innere Ruhe findest auch Erwähnung am Anfang des Briefes  „Nach eilfe“ (vgl. S. 104, Z. 21).

Werther sieht sich selbst in Kontakt mit Gott, der ihm zu seinem bevorstehenden Schritt in den Tod „Wärme“ und „Kraft“ (Z. 21f) gegeben habe. Dieser religiöse Bezug ist für Werther kein Widerspruch, er glaubt an eine Erlösung nach seinem Suizid (vgl. Z. 27). Die Sterne, die Werther – wie er in dem Brief beschreibt – oft beachtet habe, stehen für eine Verbindung zum Göttlichen, zur Ewigkeit, die Werther anstrebt (vgl. Z. 24 – 32). Werther erachtet den Selbstmord somit, seinem individuellen Gottesverständnis entsprechend, nicht als Gang in die Hölle, sondern zu Gott. Überdies hat sein Vorhaben auch insofern eine religiöse Komponente, als dass er sich selbst eine Erlöserfunktion zuschreibt:

„Dass ich des Glückes hätte teilhaftig werden können, für dich  zu sterben! Lotte, für dich mich hinzugeben!  Ich wollte mutig, ich wollte freudig sterben, wenn ich dir die Ruhe, die Wonne deines Lebens wieder schaffen könnte. Aber ach! Das ward nur wenigen Edlen gegeben, ihr Blut für die Ihrigen zu vergießen und durch ihren Tod ein neues, hundertfältiges Leben ihren Freunden anzufachen.“ (S. 105, Z. 17 – 23).

Er möchte sich für Lotte opfern, um ihr Leben wieder zu verbessern. Hierdurch werden Parallelen zum Martyrium Jesu auffällig, die jedoch nur in Werthers Auffassung bestehen. Dennoch respektiert Werther auch die Einstellung derer, die den Selbstmord als unchristlich auffassen, indem er festlegt, dass sein Leichnam abseits der „frommen Christen“ (Z. 7) beerdigt werden solle.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Lotte in Werthers Glauben seinen Plan zum Suizid unterstützt (vgl. S. 105, Z. 12 – 17), wodurch er ihn zusätzlich zu legitimieren glaubt. Er sieht seine „Wünsche und Hoffnungen“ (Z. 15)  auf Erden als erfüllt an.

Dadurch, dass Werther in dem Brief die Beweggründe für seinen Todeswunsch und auch Teile seiner Vergangenheit rekapituliert, kommt sein natürlicher Erfindungsreichtum zum Vorschein, was auch seinen Niederschlag in der Sprache findet. Werther sucht nach ausdrucksstarken Worten und verwendet vereinzelte Hyperbeln, wie etwas „Merksteine meiner Seligkeit“  (S. 104, Z. 32) oder „Taumel des Todes“   (S. 105, Z. 13). Besonders zum Ende des Briefes wird er immer aufgewühlter. Dies äußerst sich in zahlreichen Ellipsen (vgl. S. 105, Z. 33ff). Auch erscheint seine Sprache sehr symbolisch; so personifiziert er „den Wagen …“ (S. 104, Z. 28)  und stellt ihn als Symbol der Ewigkeit der Schnelligkeit und Vergänglichkeit der Natur gegenüber (vgl. S. 104, Z. 25), was – genauso wie die vereinzelten Parenthesen (S. 104, Z. 33f; S. 105, Z. 28f) – charakteristisch für seine übersteigerte Emotionalität ist, die, bedingt durch seine existentielle Situation, in starkem Maße zur Entfaltung kommt. Zahlreiche Interjektionen und Ausrufe verleihen seinen Äußerungen großen Nachdruck (vgl. S. 105, Z. 37 ff).

Die Sprache des Herausgebers ist hingegen überwiegend von Satzreihen gekennzeichnet (vgl. S. 105, S. 40 ff). Sie wirkt eher nüchtern und schmucklos und weist eine starke Gedrängtheit auf, welche das Tempo dieser letzten Szene erhöht. Das Ende des Romans steht damit in einem eher objektiveren Licht, ohne seine tragische Wirkung zu verfehlen. Die sachliche Sprache, welche auf rhetorische Stilmittel verzichtet, ist also ein Kontrapunkt zu Werthers poetisch gehobenem, empfindungsreichem Schreibstil, der seine enorme Subjektivität transportiert.

Letztendlich bleibt festzuhalten, dass Werther in seinem bevorstehenden Selbstmord eine Erlösung für sich als auch für Lotte sieht, und seinen Entschluss unter anderem durch Lottes Handeln – sie hat seinem Diener die Waffen gegeben – gefestigt worden ist.  Der sprachliche Umschwung von Werthers Abschiedsbrief zu dem  Brief des Herausgebers hebt die Distanzlosigkeit und verengende Wirkung um Werther und den Leser auf3 und setzt dem Roman ein objektives Ende, welches zudem die Glaubwürdigkeit des Dargestellten unterstreicht.

Anm.:

1  Auf diese letzte Begegnung hätten Sie kurz eingehen können.

2  Die Anmerkungen beziehen sich auf die Hamburger Leseheft-Ausgabe  Husum 2007

3  Auch: Kontrakt zwischen dem inszenierten Tod und der „banalen“, grausamen Wirklichkeit

Insgesamt haben Sie in angemessener Sprache das Wesentliche erarbeitet, hätten aber im ersten Teil Ihrer Klausur genauer verdeutlichen können, in welcher Situation bzw. Verfassung sich Werther befindet, bevor er den letzten Brief an Lotte schreibt  ( > Entschluss zum Selbstmord; „Abschiedsbesuch“ mit Ossian-Lektüre; Spaziergänge usw.)

Der Inhalt des Briefes wird in Ihrer Analyse deutlich. Ihre Beobachtungen zur Sprache sind angemessen.

                                                                    12 Punkte    (We)

 

          Daniel Hinrichsmeyer © GBE   De 1.1  10/2007 (Wiese) - zweistündig

 

> PDF - Abschiedsbrief

 

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