“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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  Oskar Loerke (1884 – 1941) - Auswahl

 

                Wanderschaft (Berlin,  1911) 

 

Oskar Loerke (1884 – 1941)

Die beiden unsichtbaren Heere

 

Da vor dem Fenster hängen Berge, Berge

Von Nacht. Sie taumeln düster durcheinander,

Zermahlen sich ... da steigt ein Bergmann-Ferge:

 

Er gräbt sich durch des Dunkels Felsgewichte,

Sein grauer Mantel flattert nah und näher,

Nun stürzt er her, gelockt von meinem Lichte,

 

Und ist ein Schmetterling, wie eine Nonne,

Die ihrem Stift entfloh. Da tanzt sie gierend

Und scheu um die verglaste Lampensonne

 

Und nickt am Tischrand, bebt, wie wenn sie grüßte,

Ich sehe hinter ihr die Bergesnächte -:

Das Linnen wächst zum Schneefeld, wächst zur Wüste

 

Im starren Blicke und im kühlen Brande,

Der jäh in mir geheime Tiefen schüttelt.

Die Nonne sitzt am letzten Wüstenrande.

 

Was rinnt auf ihrer Hülle grauem Mehle?

Ein Licht ? Sie stiert, doch seh ich nicht ihr Auge.

Sie fragt, doch zugeschnürt ist ihre Kehle.

 

Und röchelt sie mit atemkalten Lungen?

Sie zittert wie vor riesigen Gesichten,

Sie bebt, umschauert von Erinnerungen.

 

Sie scheint uralt und wie von Runzelrillen

Zerfurcht am Kopf. Sie wiegt ihn, scheint zu suchen

Nach gleichem Alter, gleichem Grüblerwillen.

 

Sie bannt mich, zwingt mich in ihr dumpfes Leben:

Bin auch ein Wesen aus dem schwarzen Wahnsinn

Da draußen, könnte irr darin verschweben.

 

Mein Blut fährt dunkel weither, und am Rande

Des Lebens hebt es an sich zu bewegen,

Da glühts wie Umriß schleichender Gewande,

 

Verlorne Stimmen sind da eingegraben

In einem blutig warmen Totengarten;

Die gehen um mit ihren Geistergaben:

 

Wer je und je geatmet und gehandelt,

Er hat in mir den roten Totengarten,

Er atmet noch, schlafwandelt, doch er wandelt.

 

Da plant der große Friedrich seine Kriege,

Ein Kaiser Roms spielt falsch und irr Theater,

Maria spricht zu Jesu in der Wiege.

 

Und andre noch darunter, leiser, grauer,

Und halb geahnte Echos, immer tiefer,

Sie glühen in mir seltsam alte Schauer.

 

Und alle steigen heute wie zur Sonne

- Ich zittere in einer Feuerohnmacht —

Und grüßen, die sie rief, die graue Nonne.

 

O, meine Ältermütter, welche Reise

Bis in mein Blut! o, meine Älterväter!

Wir Jungen, Glühenden, was sind wir Greise!

 

Hat denn mein Licht und Herz nicht einen Tropfen

Zu eigen, daß sie alle, alle, alle

In meinem Licht, in meinem Herzen klopfen?

 

So hebe ich die Hand, um dich zu schlagen,

Du graues Gegenüber! - bittren Neides:

Denn dein Flug hat nichts als dich selbst zu tragen.

 

Und Friedrich, Jesus und Maria beben

In meinem Arme mit, weil sie und alle

Und ich in meinem armen Schädel leben.

 

Doch zuckt die Faust und fällt auf dich nicht nieder.

Hast du auch ein Geheimnis zu bewahren?

Und scheu und langsam sinkt die Hand mir wieder.

 

Ich sehe wieder deine Runzelrillen

Am Kopf und weiß, das Ahnenalter in mir

Erwachte nur um deines Alters willen.

    

In dir auch wohnen Große deinesgleichen!

Wer waren sie? Ihr graues Heer ist in dir.

Du lebst, und also bist du meinesgleichen.

 

Und ahnungsvoll wirfts sich vor dir zu Füßen,

Erkennend, alle Kraft ist nur ein Gleichnis,

Das Heer der Geister in dir zu begrüßen.

 

Sie fragen dich, die mir im Blute wohnen:

Du bist vielleicht der Ältre, Größere

Als wir, die vielen Generationen ?

 

Du trägst vielleicht den größeren Totengarten

Im knochenlosen engen Brei des Körpers

Und in der stumpfen Haut, der graubehaarten. -

 

Und in der Nacht hebt sich ein großes Rauschen.

Das spricht: Die Kräfte bleiben nicht in Grenzen

Gezirkt, und Tier und Mensch und Pflanze tauschen.

 

Da fliegt die Motte in das Feuerklare

Und stürzt betäubt und ohne Laut zur Erde.

Ich mache meine zage Hand zur Bahre

 

Und trage sie, das Meer von Weltgeschichte,

Zum Rand der Nacht. Sie schwirrt, jäh aufgerichtet,

Durchs Fenster und entschwindet dem Gesichte.

 

                      *

 

      Pansmusik (Berlin, 1916/ 1929)

 

Oskar Loerke (1884 - 1941)

Pansmusik

 

Ein Floß schwimmt aus dem fernen Himmelsrande,

Drauf tönt es dünn und blaß.

Wie eine alte süße Sarabande.

Das Auge wird mir naß.

 

Es ist, wie wenn den weiten Horizonten

Die Seele übergeht,

Der Himmel auf den Ebnen, den besonnten,

Aufhorcht wie ein Prophet

 

Und eine arme Weise in die Ohren

Der höhern Himmel spricht:

Das Spielen wankt, im Spielen unverloren,

Das Licht wankt durch das Licht.

 

Heut fährt der Gott der Welt auf einem Floße,

Er sitzt auf Schilf und Rohr,           

Und spielt die sanfte, abendliche, große,

Und spielt die Welt sich vor

.  

Er spielt das große Licht der Welt zur Neige,

Tief aus sich her den Strom

Durch Ebnen mit der Schwermut langer Steige

Und Ewigkeitsarom.

 

Er baut die Ebenen und ihre Städte

Mit weichen Mundes Ton

Und alles Werden bis in dieses späte

Verspieltsein und Verlohn:

 

Doch alles wie zu stillendem Genüsse

Den Augen bloß, dem Ohr.

So fährt er selig auf dem großen Flusse

Und spielt die Welt sich vor.

 

So fährt sein Licht und ist bald bei den größern,

Orion, Schwan und Bär:

Sie alle scheinen Flöße schon mit Flößern

Der Welt ins leere Meer.

 

Bald wir die Grundharmonika verhallen,

Die Seele schläft ein,

Bald wird der Wind aus seiner Höhe fallen,

Die Tiefe nicht mehr sein.

 

               *

 

      Die heimliche Stadt ( Berlin, 1921)

 

Oskar Loerke (1884 - 1941)

Aliang

 

Landüber klagt die Stimme des Dichters Yan-tse-tsai,

Bedeckt mit der Süße der Ferne,

Umwunden von Linien des Vogelflugs, beschüttet mit Mai,

Von Wolken gedämpft, dem Rauche des großen Feuers der Höhe,

Erhört von der Heimat, klagt die Stimme des Dichters Yan-tse-tsai:

 

»Ist's nicht, wie wenn sie vorüberhusche?

Bist du es, Töchterchcn Aliang ?

Klare Pupillen wie kleine Tupfen Tusche

Strahlten dein Leben, Aliang.

Ich formte dir einen Gong aus Eis

Auf dem See, dein Auge sah zu,

Noch liegt auf dem Stein aus Wasser der steinerne Kreis

Aus Wasser und schmolz nicht, und du,

Du bist mir hingeschmolzen, Aliang.«

 

      *

 

      Der längste Tag  (Berlin,  1926)

 

Oskar Loerke (1884 – 1941)

Hinter dem Horizont

 

Mein Schiff fährt langsam, sein Alter ist groß,

Algen, Muscheln, Moos,

Der Kot des Meeres hat sich angesetzt.

Eine bunte Insel, fast steht es zuletzt.

 

Soll ich noch fahren ? Ich fahre nicht mehr.

Aber alle Dinge kommen,

Kontinente, frachtenschwer

Nun wie fremde Schiffe zu mir geschwommen.

 

Vorbei ist der Menschen feste Küste

Wie der Donner im Winter,

Übriggeblieben im Gewölke

Der prophetische Vogelflug.

 

Steigender, stürzender Völker beharrendes Bild!

Soviel Blut und soviel Leid!

Und alles, was da gilt,

Geschieht doch in der Einsamkeit.

 

 

      Atem der Erde (Berlin, 1930)

 

Oskar Loerke (1884 - 1941)

Wüstenreiter

 

Halb füllt der Sand das Welten-Ei.

Unter dir rinnen fühlst du die Uhr,

Hinter dir saugts deines Tieres Spur.

Du siehst keine Lichter,

Überhörst das Bazargeschrei,

Bist hängenden Kopfes der Stadt vorübergeritten.

Übernachte nun, Dichter,

Wüsteninmitten.

 

           *

 

    Der Silberdistelwald (Berlin 1934)

 

Oskar Loerke (1884 - 1941)

Die Wüste

 

Immer wieder schwillt die Wolke,

Immer wieder fliegt der Sand

Hinter dem Ende der Augenwege

Über den Wohnungen Fleiß und Verstand.

 

Ist die Wüste müde zu fliegen

Und streut nieder, so deckt sie zu

Völkerträume, die eben versiegen,

Brüder von Babel und von Peru.

 

Eben ertrinken im Gelben, Weichen

Ruinenquadrate mit hartem Rand,

Gewittergüsse, Sonnenbleichen

Drücken die steinerne Fatmehand.

 

Starre Völker von Stachelkakteen

Stehn hier, stehn da wie Beduinen,

Doch zeltlos, und keine Worte gehen

Und keine Lieder zwischen ihnen.

 

Und schon ist hundert Jahre leer

Der letzte reisende Wasserschlauch,

Und tausend Jahre schon steht nicht mehr

Die letzte Säule Rauch.

 

Und schon wieder schwillt die Wolke,

Und schon wieder fliegt der Sand

Über den Wohnungen Fleiß und Verstand

Hinter dem Ende der Augenwege.

 

                  *

 

      Der Wald der Welt (Berlin, 1936)

 

Oskar Loerke ( 1884 - 1941)

Der Herr der Donner

 

Der Donner dröhnt, doch schweigt. Was er verschweigt,

Betritt mein Ohr nicht. Wo geschieht sein Wille?

Das Blitzschwert rast. Wohin der Schliff, der Knauf?

Das Wasser gießt. Woher die Wasserstille ?

 

- Du schlugst das Buch der Weltgeschichte auf,

Mein Knecht: das Ohr ertaubt, das ihr sich neigt.

 

Gewissenszwang und Sklaverei und Mord.

Es klafft und blutet, nie jemals zu stillen.

Nur tiefer, wo kein Herz in Angst mehr schlägt

Noch Licht erpocht, rollt nun der Donner fort:

 

— Ich, der die Menschenmartern auch erträgt,

Ich schuf die Welt nicht um der Menschen willen.

 

 

      Der Steinpfad (Berlin, 1938)

 

Oskar Loerke (1884 - 1941)

Ohrenklingen in der Winterstille

 

Nun du dein Schweigen im Spiegel erblickst,

Deine Augen mit deinen Augen ringen,

Und keine Flucht will den vier Ernsten glücken,

Kommt dir lieblich ein Ohrenklingen,

Aus Verschloßnem eine Gegirr -

Was scheust du auf und erschrickst?

 

Geschwader silberner Schlitten

Sind vom Himmel rasch geglitten

In fallenden Bogen,

Delphinengezogen.

Dicke Schellenkapseln klirren

Auf den glatten Rücken.

 

In der Nähe peitscht es, gellt

Und verstreut sich durch die Welt.

Im Spiegelraum geschah es nicht,

Und trug er die Welt, sie sah es nicht,

Und nicht die Feinde, nicht das Ringen.

Stille wächst auf allen Dingen.

 

 

      Kärntner Sommer 1939 (Berlin, 1939)

 

Oskar Loerke (1884 - 1941)

Der Bergbach

 

Der Weg noch keiner Seele blieb ganz kahl:

Sie zählt sich fort an Dingen ohne Zahl.

 

Ich kam ins Kärntner Land uneingeweiht,

Doch seine Sonne gab mir das Geleit.

 

Zu Riesen kamen Riesen, Berg an Berg,

Dann Maulwurf, schwarze Schnecke, Zwerg zu Zwerg.

 

Wie bald lag meine Seele, nicht mehr fremd,

Am Gipfel im zerschlißnen weißen Hemd!

 

Und nun hält dieses schwanke Wasserseil,

Wie es sich flicht und löst, mein Leben feil.

 

Ich weiß, wir schenkten uns ein Gleich-Gesicht.

Ich weiß, der Geisterklang zerreißt mir nicht.

 

Wir wissen, Urbeschütztes drängt und wiegt,

Dem Erdgeist eingesenkt und angeschmiegt.

 

 

         

      Die Abschiedshand (Berlin 1949)

       

Oskar Loerke (1884 - 1941)

Die Abschiedshand

                                                                  Nach Todesschrecken

Was ich erfuhr, das habt ihr nicht erfahren.

Ich barst, der Angstschweiß hing mir in den Haaren.

Da tat ich, was die Ahnung ernst verwehrt:

Ich habe mich, ihr Lieben, umgekehrt.

Ich sah auf euch zurück in großer Trauer,

Denn alle schient ihr mir wie meine Kinder,

Ihr licht noch Wachsenden, jedoch nicht minder

Ihr ändern. Schwielenharten, die ihr grauer

Als ich seid. -

 Plötzlich kam das Händereichen:

Ihr unter Waage, Stier und allen Zeichen

Des Zodiaks Heimischen, lebt wohl, ihr alle

Am Himmelsrad und seinem Stieg und Falle!

 

Ihr überseht die Hand, nicht frech und nicht verschüchtert;

Nicht trunken war die Hand, nun ist sie nicht ernüchtert.

Sie sinkt, und unter Wünschen, vielen, vielen,

Kehrt einer immer wieder: Mögt ihr, Kinder, spielen!

 

 

           

Lyrikschadchen   -  Oskar Loerke - Gedichtauswahl   -   01-2012

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