“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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        Gedichtsvergleich  „Sachliche Romanze“ (Kästner) – „Neben dir“ (Linvers) 

 

Aufgabe:

Interpretiere und vergleiche die beiden vorliegenden Gedichte unter dem Gesichtspunkt der jeweiligen Beziehung beider Menschen zueinander.

 

In der folgenden Ausarbeitung möchte ich die beiden Gedichte „Sachliche Romanze“ von Erich Kästner (1899 – 1974) und Edith Linvers (* 1940) „Neben dir“ unter besonderer Betrachtung der jeweiligen Beziehung der beiden Menschen zueinander vergleichen.

Gemeinsames Thema beider Werke ist die Liebe in Zusammenspiel mit Vernunft und Realität. Erich Kästners Paar ist das Gefühl der Liebe nach acht Jahren abhanden gekommen, der Bund zwischen den Partnern gründet, anstatt von Gefühlen geprägt, nun auf Vernunft und Vertrautheit bzw. Alltagsroutine. Im Gedicht „Neben dir“ wird vom lyrischen Ich eine vernünftige, realitätsnahe Betrachtungsweise als Basis des Zusammenseins vorausgesetzt. Dennoch ist im Unterschied zu Kästners Gedicht hier das Gefühl der Liebe vorhanden. Das lyrische Ich  hat den Wunsch, Naivität abzulegen, während Erich Kästners Paar der anfänglichen Liebe, die mit eben dieser Naivität verbunden war, nachtrauert. Zur Bestätigung dieser Hypothese bedarf es einer genaueren Überprüfung.

Das Gedicht „Sachliche Romanze“, welches 1929 von Erich Kästner verfasst wurde, thematisiert das plötzliche Verschwinden des Liebesgefühls zwischen einem langjährigen Paar. An Stelle dessen treten nun Routine, Gewohnheit und Vernunft, die die Beziehung aufrechterhalten und die Partner aneinander binden.

Das Gedicht besteht aus vier Strophen zu jeweils vier Versen, welche abwechselnd mit männlicher und weiblicher Kadenz enden. Kästner hat den Paarreim verwendet (abab) und im Metrum herrschen Daktylus und Trochäus vor. Eine Ausnahme bildet die vierte Strophe, sie hat fünf Verse und enthält einen umarmenden Reim. Auf diese Auffälligkeit werde ich im späteren Verlauf meiner Deutung zurückkommen.

Das gewählte Metrum ist regelmäßig und harmonisch, ebenso wie der Reim und die Kadenzen. Diese Regelmäßigkeit ist sicher auch in Form von Routine und Gewohnheit in der bereits acht Jahre andauernden Beziehung wieder zu finden: Alltagstrott, in dem die Liebe keinen Bestand hat. Durch Regelmäßigkeit, sowie einfache, unkomplizierte Sprache erweckt das Gedicht beim Rezipienten sofort ein vertrautes Gefühl. Auch das Paar ist nach all den Jahren tief miteinander vertraut. („und man kann sagen: sie kannten sich gut“, Str.1, Z.2).

Doch das Gefühl der Liebe ging ihnen mit einem Mal verloren „Wie anderen Leuten ein Stock oder Hut. (Str.1, Z.4)“  Liebe ist etwas subtiles, man kann sie weder erzwingen noch festhalten. Dies verursacht bei den beiden Partnern Verzweiflung, denn sie wollen es sich nicht eingestehen, versuchen so weiterzumachen wie bisher, bis sie schließlich keine Kraft mehr hat und  die Frau zu weinen beginnt. Diese Entwicklung wird in der gesamten Strophe 2 dargestellt:

    Sie waren traurig, betrugen sich heiter,/ versuchten Küsse, als ob nichts sei.

    Und sahen sich an und wussten nicht weiter./ Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

Mit dem letzten Vers dieser Strophe bricht alles zusammen, weil sie diesen Schein der bewahrt wurde. nicht mehr aufrechterhalten kann. Hilflosigkeit und Verzweiflung kommen ganz klar zum Ausdruck. Anstatt sie zu trösten steht er dabei und weiß nicht, wie er sich verhalten soll.

            Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken  (Str.3, Z.1)

Die hier beobachteten Schiffe können als Sinnbild für die fort gefahrene Liebe verstanden werden. Die folgenden Verse beinhalten Elemente und Gewohnheiten aus ihrem Alltag wie das Kaffeeritual und den Klavierspieler:

      Er sagte, es wäre schon viertel nach vier/ Und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.

      Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Alles ist wie immer und doch ganz anders. Die beiden klammern sich an die Routine und ihre Vernunftbeziehung. Eine Beziehung, von der nicht losgelassen  werden kann.

In der letzten Strophe wird den Partnern, obgleich sie nicht verbal kommunizieren der Verlust der Liebe richtig bewusst. Sie rühren in ihren Kaffeetassen wie in alten Erinnerungen:

          Sie saßen allein, und sprachen kein Wort  (Str.4, Z.4)

Obwohl sie zusammen das Café aufgesucht haben und auch zusammen an einem Tisch sitzen, ist doch jeder für sich allein. Das Bindeglied Liebe ist verschwunden. Dies ist ein Bruch von Gewohnheit und Routine, ein Ablegen der Masken, daher auch der andere Aufbau der letzten Strophe. Der umarmende Reim (Str.4, Z.2-5), der ebenfalls etwas umschließt, ist wie die Beziehung, in der die Partner gefangen sind, obwohl sie sich des Verlustes der Liebe nun bewusst sind. Somit kann ich im Anschluss meiner Beobachtungen bestätigen, dass hier eine Beziehung vorliegt, die nur noch auf Vernunft und Pflichtbewusstsein gründet und aus der sich die Partner nicht lösen können oder wollen.

             

            Edith Linvers  (* 1940)

            Neben dir...

            Die rosarote Brille
            abnehmen
            Blauäugigkeit
            verbergen
            auf den siebten
            Himmel pfeifen
            schwebend neben dir
            immer wieder aus
            allen Wolken
            fallen

 

 In Edith Linvers Gedicht „Neben dir“ (1992) geht es um die Liebe, welche das lyrische Ich vernunftgemäß und realitätsnah betrachten möchte. Es ist verliebt in seinen Partner; dieses anfänglich enthusiastische Gefühl soll jedoch nicht als Basis für die Beziehung dienen.

Das Gedicht besteht aus einer Strophe. Trotz der vielen Enjambements wirkt es eher stockend, da oft eine Zeile nur ein einziges Wort beinhaltet. Form und Gestaltung sind schlicht und einfach. Genauso klar und ungeschminkt möchte das lyrische Ich die Liebe betrachten. Es erscheint dem Leser geradezu nüchtern. Auf alle Schnörkel und Schönrederei, das Betrachten durch „die rosarote Brille“ (Z.1), wird verzichtet. Blauäugigkeit soll verborgen werden (Z.2f). Diesen mit der Liebe einhergehenden Zustand hat das lyrische Ich wohl möglicherweise auch schon durchlebt. Ebenso schwebt es neben seinem Partner. Es lebt und genießt das Verliebtsein. Aber es fällt immer wieder aus allen Wolken (Z.8ff), kommt zurück auf den Boden der Realität:

                                           auf den siebten/ Himmel pfeifen  (Z.5f)

Direkt, klar und ehrlich nimmt es hin, dass das anfängliche „Kribbeln“ nachlassen wird, dass es nicht auf ewig im siebtem Himmel leben kann.

Somit kann ich bestätigen, dass für dieses lyrische Ich Vernunft und Realitätsnähe als Basis einer Beziehung dienen sollen, was Liebe jedoch keineswegs ausschließt. Ein gewisses Maß an Bodenständigkeit wird jedoch benötigt.

Im Vergleich beider Gedichte lässt sich als roter Faden die Rolle der Vernunft finden. Beide Beziehungen gründen auf Vernunft. Erich Kästners Paar wird nur noch durch Vernunft aneinander gekettet, somit hat ihre Beziehung etwas Frustrierendes, es ist das Erfüllen einer Pflicht. In der von Edith Linvers beschriebenen Beziehung findet man sowohl Vernunft, die dieses Paar aneinander bindet, als auch Liebe. Beide Aspekte werden miteinander verbunden zu einer vollkommenen Beziehung, die einen standhaften Eindruck hinterlässt. Kästners Paar führt ein zwanghaftes Zusammensein, Linvers’ Paar hat eine glückliche Beziehung. Dies stellt einen elementaren Unterschied beider Beziehungen dar. 

                         12 Pkt

 

                    Tanja Kuhlenschmidt ©  Gymnasium Bad Essen Jg. 11 / 2007 (Th. Seiters)

        Edith Linvers  einen herzlichen Dank für die Abdruckerlaubnis des Gedichts aus dem                          Band  “Berührungen” (1992), sowie der beiden folgenden Gedichte.

         

            Edith Linvers

            YESTERDAY

            Mit sechs sammelte ich Murmeln

            mit sechzehn Platten von den Beatles

            danach nur noch Erfahrungen

            gestern gab ich eine Annonce auf:

            Tausche Erfahrungen

            gegen

            eine bunte Glaskugel

            und

            Yesterday

                    *

            Edith Linvers

            NA UND...

            Oldies hören

            vom Winde verweht lesen

            Fotos aus vergangenen

            Zeiten betrachten

            sich in eng gewordene

            Jeans zwängen

            in den goldumrandeten

            Spiegel schauen

            Na und...

            alles nur Lachfalten

                          *

                                                   

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