“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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          Luise Hensel (1798 - 1876)

           

          Ich schau’ empor, die Hügel 

           

          Ich lieg’ im dunkeln Thale,

          So öd' und schauerlich,

          Und sehne nach dem Strahle

          Des neuen Morgens mich.

           

          Es hat mit Eis umgeben

          Der Winter meine Brust;

          Es schwieg in mir das Leben,

          Der Liebe reine Lust.

           

          Noch Dem ich mich muss bangen,

          Der einzig treu und rein:

          Ich kann Ihn nicht erlangen

          Und kann nicht ohn' Ihn sein. -

           

          Weht hin, ihr milden Lüfte,

          Durch Seiner Locken Zier

          Und bringt der süßen Düfte

          Von Seinen Bergen mir! -

                                                                  (1822)

 

              

In dem Liebesgedicht „Ich schau empor die Hügel“ von Luise Hensel (1788 – 1876) geht es um die erste richtige Liebe einer Frau, die verzweifelt versucht den Mann ihres Lebens zu erlangen, dieses aber nicht schafft. Trotzdem möchte sie die Erinnerung an ihn nicht verlieren.

 

Von der äußeren Form her ist das Gedicht in vier Strophen zu je vier Versen aufgeteilt. Es herrscht ein relativ gleichmäßiges Metrum vor mit einem dreihebigen Jambus und abwechselnd männlicher und weiblicher Kadenz (w m w m).  Auch liegt ein regelmäßiger Wechselreim (abab, cdcd, efef, ghgh) vor.

 

Von der inneren Form her ist das Gedicht in zwei Sinnabschnitte aufgeteilt. Der erste Sinnabschnitt reicht von der ersten bis zur dritten Strophe. In ihm „beschreibt“ die Frau, d.h. das lyrische Ich ihre/ seine Sehnsucht nach dem Mann, der unerreichbar scheint. Die Gleichmäßigkeit der einzelnen Strophen verdeutlicht die Einsamkeit und Ruhe in dem Leben der Frau. Sie selbst beschreibt ihre Einsamkeit besonders in der ersten Strophe, wo sie ihre Gefühle lokalisiert (I,1: „ich lieg im dunklen Tale“). Da   > dunkle Tal> <  ist als Metapher für die Einsamkeit und Trauer zu verstehen, die das Befinden der Frau zu diesem Zeitpunkt umschreibt. Sie sehnt sich nach einem Schimmer Hoffnung (I, 3: „sehne nach dem Strahle“) aus dieser Misere herauszukommen und wünscht sich einen zuversichtlichen Neuanfang (vgl. I, 4: wünscht sich einen neuen Morgen ihres bis jetzt schlecht verlaufenen Lebens).

In der zweiten Strophe verdeutlicht die Frau an Hand der Naturgestalten ihre Kälte und Unbelebtheit, die in ihrem Herzen war (II, 1 und 2). Das Wort „Eis“ ist zu vergleichen mit dem Wort „dunkel“, da es nur im Winter vorkommt und der Winter für eine dunkle und traurige Jahreszeit steht. Das Wort „Brust“ stellt den Schutz um das Herz, das im Allgemeinen für Liebe steht, dar. Die Traurigkeit und Verzweifelung der Frau sind auf Grund des Eises, also der Trauer, nicht zu heilen, da noch kein weiterer Hoffnungsschimmer, d.h. „Lichtstrahl“ (>Wärme<) in Sicht ist. Das Besondere in der zweiten Strophe ist auch, dass nur die Vergangenheit angesprochen wird. Dieses zeigt, dass die Frau einst aus dem Zustand des Unglücklichseins (s. II, 1 u 2) durch den Mann befreit wurde und sich jetzt wieder in Trauer um diesem Mann befindet. (II, 3 u 4: „Es schwieg in mir das Leben, der Liebe reine Lust.“) Der Mann hat ihr die Lust am Leben und an der Liebe gezeigt und ihr deshalb etwas Schönes und Fröhliches gebracht. Jetzt, da der Mann fort ist, bangt sie darum, der Einsamkeit ‚die Treue  schenken’ zu müssen und für immer allein zu bleiben (III, 1 und 2). Sie hat Angst vor der Einsamkeit und möchte ihre verloren gegangene Liebe wieder erlangen. Die Frau ahnt aber, dass sie alle Hoffnungen aufgeben muss, da sie den Mann nicht zurückbekommen kann (III, 3).

In dem zweiten Sinnabschnitt und somit der vierten und letzten Strophe geht es um den Aufruf und die Aufforderung der Frau an die >milden Lüfte<, die Erinnerungen an den Mann zu erhalten.  Sie sollen ihr seine „süßen Düfte“ (IV, 4) bringen und ihr dadurch wieder ein Stück Liebe und Glücklichkeit geben. Auch ist in dem letzten Vers von „seinen Bergen“ die Rede, was vielleicht die Fülle an schönen Dingen, die ihm eigen waren, bedeuten soll.  Auch ist das Wort „Berg“ ein Gegensatz zu dem Wort „Tal“, der Metapher ihres inneren Gemütszustandes,  und steht deshalb für etwas Positives.

Das  ganze Gedicht strahlt eine gewisse Trauer auf mich aus, da es ein verzweifeltes Liebesgedicht ist und keinerlei Hoffnung zum Ausdruck bringt. Die Frau ist durch einen Mann, der anscheinend sehr jung und schön ist (IV, 2: „ seiner Locken Zier“) erst richtig glücklich geworden und hat den Sinn des Lebens und die Lust an der Liebe entdeckt. Dann, als sie der Mann verlassen hat, ist sie wieder sehr unglücklich und möchte ihr Glück, den Geliebten, wiederhaben. Dieses scheint jedoch unmöglich, da der Mann für sie unerreichbar geworden ist. Trotzdem möchte sie nicht von ihren schönen Erinnerungen lassen und erzwingt somit allgegenwärtige, ewige Trauer.

Ich finde das Gedicht sehr gelungen, da es auch einmal die andere Seite der Liebe zeigt.

 

                                              Heide Küpker ©   Kl. 10  (zweistündig)  GBE  03/ 2000

 

            Der Schülerin  - was ich damals bei der Textauswahl (Deutsch Oberstufe, Sprache und Literatur

             hrsg.  Th. Pelster/ K. Krebs. bsv 1992, S. 251, ohne Hinweis !) noch nicht wusste -  lag nur eine

              gekürzte Version des  10 - strophigen Gedichts  vor (s. u.).

 

        Luise Hensel(1798 - 1876)

        Ich schaue nach den Bergen, von denen mir Hilfe kommt

         

        Ich lieg’ im dunkeln Thale,

        So öd’  und schauerlich,

        Und sehne nach dem Strahle

        Des neuen Morgens mich.

         

        Es hat mit Eis umgeben

        Der Winter meine Brust;

        Es schwieg in mir das Leben,

        Der Liebe reine Lust.

         

        Noch Dem ich mich muss bangen,

        Der einzig treu und rein:

        Ich kann Ihn nicht erlangen

        Und kann nicht ohn’  Ihn sein. -

         

        Weht hin, ihr milden Lüfte,

        Durch Seiner Locken Zier

        Und bringt der süßen Düfte

        Von Seinen Bergen mir! –

         

        Ich schau" empor, die Hügel.

        Sie stehn so eng’  um mich;

        O, hätt’ ich Taubenflügel,

        Mein Freund! ich fände Dich. -

         

        Wann kommst Du, mein Verlangen?

        Wann küsset mich Dein Mund?

        Wann wird von stetem Bangen

        Mein sterbend Herz gesund?

         

        O, mächt’ ich Deine Spuren

        In dieser Wüst’ erspähn:

        Es würden bald die Fluren

        In hellen Blüthen stehn.

         

        O, dürft' ich Licht und Wonne

        Aus Deinen Augen ziehn,

        Mir brauchte keine Sonne

        Am Himmel mehr zu glühn! -

         

        Ohn' Ihn ist Alles trübe,

        Das Herz so krank und schwer,

        Kein Trost und keine Liebe

        Auf weiter Erde mehr.

         

        O, daß die Still' erbebte

        Von Seinem süßen Ruf!

        O, daß Er mich belebte.

        Der mir das Leben schuf!              

                                                                                    Sondermühlen, 1822.

 

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